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Victor Farias,
Los nazis en Chile.
Seix Barral, 586 S.
Eine deutsche Übersetzung liegt noch nicht vor.




Dr. Victor Farias
Foto: privat

   
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Felicitas von Aretin

Victor Farias‘ Energie ist sprichwörtlich. Wer das beengte Büro im Lateinamerika-Institut am Rüdesheimer Platz betreten hat, wird Zeuge, wie der chilenische Philosoph den Raum beherrscht: Auf dem Stuhl sitzend, im Hintergrund eine elektrische Schreibmaschine, zieht er ein Buch der Gesamtausgabe Pablo Nerudas hervor, deutet auf den Aktenstapel mit Geheimunterlagen, um aufzuspringen, den Schrank zu öffnen und sein neuestes Buch „Los Nazis en Chile” herauszuholen. Fast meint man, einen Getriebenen vor sich zu haben, wäre nicht die leichte Melancholie des Südamerikaners spürbar, der – mit Unterbrechungen – seit seinem 27. Lebensjahr in Deutschland lebt.

Der Weg führte über die Philosophie. Ein Lehrer in der Schule in Santiago de Chile habe ihn für Husserl und Heidegger begeistert. Farias studiert daraufhin Philosophie und Germanistik an der katholischen Universität, erhält ein Stipendium und findet sich mit seiner Frau und zwei kleinen Kindern in den sechziger Jahren in einer Freiburger Mansarde wieder. In einem Fahrstuhl kommt es zu einer folgenreichen Begegnung. „Ich habe ihre Doktorarbeit gelesen”, spricht Martin Heidegger den verdutzten Chilenen an „und hätte noch ein paar Fragen zum Verhältnis von Husserl und Brentano”. Rasch wird Farias in den Schülerzirkel des berühmten Philosophen und Meisters aufgenommen. Beide treffen sich donnerstags zum Wandern, montags im privaten Seminar. „Heidegger war ein hervorragender Lehrer und ein schlechter Philosoph”, erinnert sich Farias.

In einem mühsamen Häutungsprozess hat sich Farias von Heidegger befreit. Dessen berühmte Sentence: „Die Gedanken, Sitz des Seins, sind das Eigentum der deutschen Sprache”, wird für den Chilenen zum Stein des Nachdenkens. Mit dem Zweifel über die Integrität Heideggers, kommen Fragen nach dessen Rolle im Dritten Reich. Farias beginnt im Geheimen, Material über den Philosophen zu sammeln – bis sich das Puzzle zusammensetzt.

Die Studie „Heidegger und der Nationalsozialismus” – zunächst in einem kleinen französischen Verlag 1987 erschienen – schlägt ein wie eine Bombe. Farias stößt Heidegger buchstäblich vom Sockel, indem er die Kontinuität eines autoritären und nationalistischen Gedankenstranges von der ersten bis zu den letzten Schriften des Philosophen nachweist. Nicht jedem hat dies gefallen. Farias ist Anfeindungen ausgesetzt, die ihn als Verräter seines Lehrers beschimpfen oder ihm mangelnde Intellektualität vorwerfen. „Wenn Leute mir vorwerfen, ich würde positivistisch denken”, sagt der 60-Jährige, „dann kann ich nur lächeln”. Doch die Stimme verrät, dass ihm dieses Lächeln manchmal im Gesicht erfroren ist, auch wenn die Fotografien von Laurel und Hardy, Woody Allen oder Charlot an der Bürowand eine andere Sprache sprechen.

Er liebe „die Archäologie der Quellen”, sagt der akribisch arbeitende Chilene, der ursprünglich Psychiater werden wollte. Ein Beruf, der in der Familie liegt: Der Großvater Farias’ ist bei Freud in die Analyse gegangen und hat dessen Methode in Südamerika verbreitet. Der Onkel leitete die Psychiatrie in Santiago. Dort macht Farias nach dem Abitur ein Praktikum, hält die verschobene Welt der Patienten nicht aus und verabschiedet sich von seinem einstigen Berufswunsch. An der Archäologie des Textes hält er unbeirrt fest: Sei es, ob er das geheime Frühwerk von Jorge Luis Borges herausgibt oder frühe Gedichte von Pablo Neruda dem Vergessen entreißt.
Chile ist Farias’ wahre Heimat

Als Philosoph ist Farias ein Grenzgänger. Als Chilene, der in Deutschland über Südamerika forscht, ebenso. Rückhalt für diesen Balance-Akt findet er in seiner Familie, bei seiner Frau, der Malerin Teresa Zurita, und bei seinen drei Kindern, auf die er stolz ist. „Wegen des Lichtes und der Farben kann meine Frau in Chile besser malen”, sagt Farias und macht damit auf die ihm eigene charmante Weise deutlich, dass Chile seine wahre Heimat ist. Seine Tochter, eine Buchdesignerin, lebt schon dort und bereitet den „Landeplatz für später” vor – unter General Pinochet eine unvorstellbare Idee. Nur einmal ist Farias während seiner langen deutschen Jahre für länger zurückgekehrt. Wie viele Linke hoffte er mit dem Regierungsantritt Allendes auf Änderung. „1971 wollte ich mich in die Politik stürzen”, erinnert sich Farias. Die Universität Valparaiso bot ihm einen Posten. Die chilenische Geschichte dem Volk nahe zu bringen, lautete die Devise jener Jahre. An die klugen Fragen der Matrosen und Arbeiter erinnert er sich noch heute. Das Experiment endet mit dem Putsch General Pinochets am 11. September 1973. Schon vorher ist Farias’ Büro in Flammen aufgegangen. Später durchsucht das Militär sein Haus – da ist die Familie bereits auf der Flucht zurück nach Deutschland.

Farias beendet sein Heidegger-Buch und stößt durch seine Archiv-Arbeit auf sein nächstes Thema: Chiles Verwicklungen in den Nationalsozialismus. „Die chilenische Gesellschaft ist wie eine Lasagne”, erzählt Farias und wird beim Reden immer schneller, „sie besteht aus Juden, hohen ehemaligen SS-Leuten, Freimaurern und Margot Honnecker”. Was zunächst amüsant klingt, lässt dem Zuhörer rasch den Atem gefrieren. Akribisch weist Farias auf 600 Seiten nach, wie die chilenische Elite in den dreißiger und vierziger Jahren in Ideologie und Verbrechen des Nationalsozialismus verstrickt war. Nicht nur, dass in Chile die Auslandsorganisation der NSDAP bereits 1932 gegründet wird und Chile ab 1940 Juden die Einreise verweigert. „Die größte deutsche Kolonie im Ausland war noch rassistischer als in Deutschland”, resümiert Farias sein monatelanges Quellenstudium. So werden Kinder jüdischer Herkunft von deutschen Pfarrern in Chile nicht getauft. Den deutschen Nationalsozialisten gelingt es, die chilenische Elite mit NS-Gedankengut zu infiltrieren. Zum Dreh- und Angelpunkt wird das Ibero-Amerikanische Institut und sein damaliger Direktor Wilhelm Faupel.

Deutsche Wissenschaftler weisen die Auslandsdeutschen in Chile auf die politische und genetische Gefahr einer Vermischung mit der „Bastardbevölkerung” hin. Mit Unterstützung der chilenischen Universität und einiger katholischer Orden werden über 400 Waisenkinder aus der Provinz Concepcion für die so genannte Rassenforschung missbraucht. Die Elite der chilenischen Ärzteschaft bildet sich bis 1943 in deutschen Forschungsstätten über deutsche Rassenhygiene fort, die sie praktisch im Konzentrationslager erlernt. Die chilenische Lehrerschaft wird in Förderprogrammen ideologisch in Deutschland „aufgerüstet”. Auch das hohe Militär und Diplomaten sind anfällig: Chile nimmt im Spanischen Bürgerkrieg die Interessen Deutschlands wahr, wofür die chilenischen Diplomaten von Hitler mit den höchsten Orden ausgezeichnet werden. Der Generalkonsul Chiles in Berlin nimmt begeistert an Bücherverbrennungen teil und versucht seinen Dresdner Kollegen an die Gestapo auszuliefern, da er Jude ist. Delikat sind auch die letzten beiden Kapitel von Farias’ Buch, in denen er den chilenischen Pianisten Claudio Arrau wegen seiner Konzertauftritte während der NS-Zeit in Misskredit bringt und Salvador Allende auf Grund seiner Weigerung, den ehemaligen SS-Standartenfüher Walter Rauff auszuliefern, kritisiert. In dieser unkommentierten Auflistung hat der FAZ-Redakteur Paul Ingendaay jüngst etwas „Perfides” gesehen. Farias argumentiert, er wolle die Dokumente für sich sprechen lassen. Und das kann in der Tat perfide sein.

 
 
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