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[Irakische Sozialwissenschaftler zu Gast an der FU]


Britischer Soldat patrouliert in Basra.


„In Deutschland wird sehr wenig gesprochen, selbst im Bus ist es still! Und wenn einer was sagt, wird er gleich komisch angeschaut“ sagt Hafedh Alwan Hamadi von der Universität Bagdad. Er ist im Rahmen des Fortbildungskurses, den die Arbeitsstelle Politik des Vorderen Orients der Freien Universität Berlin im Februar veranstaltete, für drei Wochen in Berlin zu Gast. Zum ersten Mal trafen sich hier irakische Hochschullehrer – zum Kennenlernen und Austauschen. Die Professoren und Dozenten der Universitäten Bagdad, Basra, Dohuk und Sulaimaniya beschäftigten sich zusammen mit deutschen Experten mit den Herausforderungen, denen sich ihr Land nach dem Irakkrieg stellen muss. Insgesamt standen dafür 250.000 Euro zur Verfügung – Restmittel, aus der Geberkonferenz für den Wiederaufbau des Iraks, die aufgrund der Sicherheitslage im Irak nicht ausgegeben werden konnten. Ende letzten Jahres stellte die Bundesregierung die Mittel dem DAAD zur Verfügung, da das Geld sonst verfallen wäre. Fünf Universitäten veranstalteten daraus zum Teil sehr verschiedene Programme: Dortmund, Marburg, Mainz, Erlangen-Nürnberg und die FU Berlin.

Vor allem drei Aspekte wurden im Berliner Winterkurs diskutiert. Der Aufbau einer demokratischen Ordnung nach einer langen autoritären Herrschaft. Die Bedeutung der föderativen Strukturen für die Demokratisierung der politischen Kultur und die ökonomische und kulturelle Selbstbestimmung der Region. Und schließlich die Bedeutung der Zivilgesellschaft als eine wichtige Ebene zwischen Gesellschaft und Staat. Denn alle Ansätze einer vom Staat unabhängigen Zivilgesellschaft zu zerstören, gehörte zu den ersten Maßnahmen, die die Baath-Partei nach der Machtübernahme 1968 eingeleitet hatte. In diesen drei Bereichen konnten die Iraker sich anhand der deutschen Geschichte Anregungen holen, etwa wie ein föderales System aufzubauen ist, das einem Vielvölkerstaat, wie es der Irak ist, gerecht wird. Ehsan Abdul Hadi Al Naib, Dozent am Institut für Europastudien der Universität Bagdad: „Wie es Deutschland nach dem Zweiten Weltkrieg innerhalb von vier Jahren geschafft hat, einen funktionierenden Staat aufzubauen, ist für uns natürlich ein Vorbild.“


Beim Anschlag verletzt.

In der zweiten und dritten Woche standen Besuche unter anderem beim Bundesrat, bei der Bundesstelle für die Sicherung der Stasi-Unterlagen, der Stiftung Wissenschaft und Politik, dem Deutschen Institut für Menschenrechte und Transparency International, einer Organisation, die sich mit Korruption in Politik und Wirtschaft befasst, auf dem vielseitigen Programm, das sehr kurzfristig zusammengestellt werden musste. Von der Initiative erfuhr Professor Ferhad Ibrahim an einem Donnerstag, schon am Montag mussten die fertigen Anträge beim DAAD vorliegen. „Der schnellste, aber auch einer der erfolgreichsten Anträge meines Lebens,“ so Friedemann Büttner, der zusammen mit Ferhad Ibrahim das Programm entwickelte. Damit fing die Arbeit aber eigentlich erst an. Vor allem die Schwierigkeiten, E-Mail- und Telefonkontakte in den Irak herzustellen und rechtzeitig Visa zu bekommen, machten den Organisatoren das Leben schwer. Die Berliner legten Wert darauf, nicht einfach Teilnehmerlisten der Iraker zu übernehmen, die vor allem Funktionsträger umfassten, sondern verstärkt Nachwuchswissenschaftler einzubinden. Die meisten Teilnehmer waren Politikwissenschaftler, aber auch ein Jurist, ein Ökonom und ein Psychologe waren dabei.

Es wurde auf Arabisch, Deutsch, Englisch und Französisch kommuniziert; wo Worte fehlten, mussten Gesten weiterhelfen. Sogar auf die Kaffeepause verzichteten die Teilnehmer mitunter, um mehr Zeit für Diskussionen zu haben. „Leider waren die Diskussionen mit den Professoren nicht immer so ergiebig, wie ich es mir gewünscht hätte, das ist aber vor allem ein sprachliches Problem. Dolmetscher unterbrechen einfach den Argumentationsfluss.“ berichtet Hafedh Alwan Hamadi ein wenig enttäuscht. „Ziel war für uns vor allem, eine Infrastruktur zwischen den irakischen Wissenschaftlern herzustellen“ sagt Friedemann Büttner. Gute Englischkenntnisse waren eigentlich Voraussetzung – leider waren sie nicht immer vorhanden, insbesondere bei denjenigen, die zum ersten Mal im Ausland waren. „Wenn so ein Seminar noch einmal stattfindet, müssten wir die sprachlichen Voraussetzungen besser klären.“


Straßenszene in Bagdad.

Nach einer Doppelstunde Vortrag mit Diskussion war eine zweite Doppelstunde unter den Irakern für die Zukunfts- und Vergangenheitsbewältigung vorgesehen. Prof. Hamadi weiter: „Die Deutschen sind sehr gut organisiert, aber sie hetzen sich und schauen immer auf die Uhr, da bleibt leider wenig Zeit zu diskutieren.“ Mohammed Jawad Ali hat einen ähnlichen Eindruck von den Deutschen: „In Deutschland arbeiten die Leute nur für sich und leben nur für sich. Das ist im Irak ganz anders. Wenn ich zuhause meine Straße entlanggehe, kennen mich alle und ich unterhalte mich mit allen. Die Zivilgesellschaft ist eine ganz andere; die Menschen leben viel enger zusammen – das ist vielleicht auch nicht immer gut. Deswegen bin ich auch sehr skeptisch, ob sich eine westliche Demokratie ohne weiteres auf den Irak übertragen lässt.“

Die Probleme im Irak konnten natürlich in diesen drei Wochen nur andiskutiert werden. Der Winterkurs hat aber einen wertvollen Beitrag zum Entstehen von Netzwerken zwischen den irakischen Wissenschaftlern geleistet, wertvolle Kontakte untereinander und zu deutschen Kollegen sind entstanden. Beeindruckend war die Art, wie die heterogen zusammengesetzte Gruppe aus Sunniten und Schiiten, Arabern und Kurden untereinander äußerst kontrovers diskutierte und trotz verschiedener Herkunft und Geschichte zusammenarbeitete. Zur Normalität eines solchen Umganges ist es im Irak noch ein weiter Weg, aber ein erster Schritt wurde getan.

Gesche Westphal

Fotos: http://healingiraq.blogspot.com


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