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Ein Buch wie Schokolade

„A book like this is even better than sex!” Über das Urteil des Time Magazine mag man geteilter Meinung sein, fest steht: Wer diesen Roman aufschlägt, lässt sich auf eine wilde Reise durchs bunte, brutale und dreckige Leben im viktorianischen London ein. Die Hauptperson ist Sugar, eine neunzehnjährige Prostituierte. Ihre Mutter, Mrs. Castaway, betreibt in der verrufenen Silver Street ein Bordell und hat dafür gesorgt, dass Sugar seit ihrem dreizehnten Lebensjahr im Betrieb mitarbeitet. Während Mrs. Castaway im Erdgeschoss an einem Sammelalbum mit Heiligenbildern bastelt, muss die Tochter sich im oberen Geschoss den Freiern hingeben. In ihrem reichen Verehrer William Rackham wähnt die junge Frau nun endlich ihre einmalige Gelegenheit, der Mutter zu entkommen und sich sowohl finanziell und sozial abzusichern. William wiederum will sich mit ihr von seiner durch religiösen Wahn und Tumoren gequälten Frau ablenken. Zunächst schwelgt William geradezu in seiner süßen Leidenschaft für Sugar. Sie nutzt seine Abhängigkeit geschickt zu ihrem Vorteil aus und bindet ihn immer mehr an sich. Dabei spielt sie ein gefährliches Spiel, denn zuviel Zucker, das weiß jeder, ist gar nicht gesund ... Michael Faber hat ein komplexes Meisterwerk im Stil von John Fowles’ „The French Lieutenant’s Woman“ geschaffen. Es macht schon mit der ersten seiner über tausend Seiten süchtig nach mehr und bleibt bis zum Schluss ein Genuss. Nur gut, dass Buchstaben keine Kalorien haben.

Gesche Westphal


Michael Faber: Das karmesinrote Blütenblatt (im Original: The Crimson Petal and the White), 1055 Seiten, 24,90 Euro, August 2003 im List Verlag erschienen.



Die kosmische Schlange

Doppelhelix des Lebens, Humangenom, Klone: Keine Wissenschaft hat in den vergangenen Jahren derart die öffentlichen Diskussionen bestimmt wie die Erforschung des menschlichen Erbmaterials. Der Schweizer Anthropologe Jeremy Narby wagt den Weg zurück an die Anfänge der molekularen Biologie. Ihm hilft ein Schamane aus dem brasilianischen Urwald, der zur Heilung und für Visionen eine Pflanze namens Ayahuasca verwendet. Sie wächst eigentümlicherweise in einer Doppelhelix. Chemisch gesehen ist die aus ihr gewonnenen Droge das komplexeste botanische Halluzinogen überhaupt. Als Narby die während der Visionen gezeichneten Bilder einem befreundeten Biologen vorlegt, stellt dieser verblüffende Übereinstimmungen mit den Strukturen im Zellinnern fest. Geschrieben wie ein wissenschaftlicher Detektivroman kommt Narby dem Geheimnis des Lebens – und damit unseres Wissens – auf eine neue Spur. Die Methode der Schamenen, Wissen zu sammeln und weiter zu geben, erscheint in ganz neuem Licht: Sie erkennen die Aura eines Menschen; sie verstehen, wie alles Lebendige in einem Netz verknüpft ist. Neueste Forschungen bestätigen, dass Desoxyribonukleinsäure (DNS) einem Quarz gleich Photonen aussenden kann. Narby vereint Molekularforschung, Biophotonik und Anthropologie zu einem neuen Ansatz. Um es mit dem Apollo-Astronauten Edgar Mitchell zu sagen: „Narbys Pionierarbeit schiebt die Grenze des Wissens ein Stück weiter hinaus zum grundsätzlichsten Geheimnis unserer Zeit: der Rolle des Bewusstseins im evolutionären Muster des Universums.“

Heiko Schwarzburger


Jeremy Narby: The Cosmic Serpent - DNA and the Origins of Knowledge, erschienen bei Tarcher/Putnam, New New York, 1998 (auf deutsch bei Klett Cotta)



Das Spiel ist aus!?

„Les jeux sont faits“ ist der Spruch, der bei Roulette die Einsatzphase beendet. Jean-Paul Sartre veröffentlichte 1947 unter diesem Titel sein erstes Drehbuch. Er erzählt darin eine Liebesgeschichte, die ironischerweise mit dem Tod beginnt. Pierre Dumain, Arbeiter und Widerstandskämpfer, stirbt am Vorabend der Revolution, ermordet von einem Verräter. Zur gleichen Zeit stirbt Èvelin Charlier, eine vornehme Dame und Mitglied des faschistischen Establishments. Ihr Mann, der Polizeichef, entpuppt sich schnell als ruchloser Mitgiftjäger, der seine Frau vergiftet, um Èves jüngere Schwester trösten und später heiraten zu können. Die beiden Toten treffen sich schließlich im Jenseits. Sie wandeln als Geister durch ihre Heimatstadt. Und obwohl sie beide aus so unterschiedlichen Welten stammen, entwickelt sich eine zarte, aber innige Liebe. Grund genug den Tod zu reklamieren. Die zweite Chance, von Sartre elegant als Verwaltungsfehler des Totenreichs in Szene gesetzt, erweist sich als schwere Bürde für die Liebe. Denn einerseits müssen Ève und Pierre sich innerhalb von 24 Stunden vorbehaltlos lieben, andererseits fühlen sie sich jedoch gezwungen, das Wissen aus dem Totenreich mit ihren Gefährten zu teilen. Beide sind Gefangene ihrer Welten. Scheinbar in einer Nebenhandlung schaffen sie es dennoch den Tod zu überwinden, indem sie ein Leben retten. Damit setzten sie über ihr Ende hinweg ein Zeichen. Ähnliches mag Sartre im Sinn gehabt haben als er 1964 den Nobelpreis für Literatur ablehnte.

Florian Hertel

Jean-Paul Sartre: Das Spiel ist aus, neu aufgelegt bei Rowohlt Taschenbuch, Reinbek 2003, 4,90 Euro.


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