Clemens VI. (links) gegen den Strich gebürstet
Avignon inspiriert. Und wer dann noch den wuchtigen Papstpalast betritt, in die architektonisch vollkommen gestaltete Kapelle im oberen Stock gelangt, meint jenen Papst um die Ecke kommen zu sehen, den moderne Kirchenlexika noch immer als Unglück für Papsttum und Kirche schildern. So ist es vor Jahren auch Dr. Ralf Lützelschwab ergangen, der in der Papstkapelle von Avignon sein Interesse an Clemens VI. entdeckte. Seit Petrarca gilt der französische Adlige auf dem Stuhl Petri als Sinnbild für Verdammnis und Hurerei. Das meiste, was an Negativem über das Leben dieses Papstes bekannt ist, lässt sich anhand der zahlreichen Quellen nicht belegen, erzählt der 33-jährige Badenser. Den jungen Mediävisten interessiert denn auch weniger der extravagante Lebenswandel Clemens VI. als vielmehr dessen Machtanspruch gegenüber seinen Kardinälen. Denn Clemens, der zwischen 1342 bis 1352 auf dem Heiligen Stuhl saß, trotzte der Großen Pest von 1348 durch das Entfachen von Feuern. Er sah sich als vicarius Dei, als Stellvertreter Gottes auf Erden, und forderte Allmacht für alles Geistliche und Weltliche.
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Wichtigste Quelle für Lützelschwabs mit dem Friedrich-Meinecke-Preis ausgezeichnete Dissertation waren bisher nie systematisch ausgewertete Predigttexte des Papstes, die so genannten collationes. Dabei hat sich Lützelschwab von der wortmächtigen Rhetorik Clemens nicht beeindrucken lassen, sondern die Texte gekonnt gegen den Strich gebürstet, bis die Pauke der Predigt (= Clemens VI) sein wahres Gesicht zeigte und die versteckte Kritik und die angeblichen Verfehlungen der Kardinäle ans Licht kamen. Auch für seine Habilitation bewegt sich der junge Forscher weiterhin auf geistlichen Spuren.
Diesmal war es die besondere Stimmung an einem sonnigen Morgen in der Pariser Sainte-Chapelle, die Lützelschwab auf die Idee brachte, über den Reliquienkult in Herrscherkirchen vom 12. bis 16. Jahrhundert zu habilitieren. Auch bei den Reliquien geht es letztlich um Macht. Zwar spielt bei Ludwig dem Heiligen auch eine tiefe persönliche Frömmigkeit eine Rolle, als er 1238 die Dornenkrone von den Venezianern für ein Drittel des französischen Staatshaushaltes kaufte und dafür die Sainte-Chapelle errichten ließ. Doch gleichzeitig wollte der fromme König Paris dadurch zu einem zweiten Rom oder einem neuen Jerusalem ausbauen und seine eigene Stellung als allerchristlichster König untermauern.
Lützelschwabs Begeisterung für geistige Themen rührt aus der frühen Jugend her. Obwohl in der Nähe von Basel geboren und aufgewachsen, hat er keine typisch katholische Sozialisation genossen. Als Protestant bewahrte er sich im katholischen Umfeld einen gewissen Abstand. Meine erste Anstellung bei der Kirche hatte ich im Alter von zwölf Jahren, erzählt Lützelschwab. Er berichtet von seiner Leidenschaft für die Kirchenmusik, insbesondere die Orgel. Neben seinem Zivildienst belegte er in Basel Kurse an der Schola Cantorum Basiliensis und studierte anschließend mittelalterliche Geschichte in Freiburg, Toulouse und an der Freien Universität. Hier ist er seit kurzem wissenschaftlicher Assistent. Er bietet im Wintersemester ein Proseminar zur karolingischen Bildungsreform an und wird sich im Rahmen eines Forschungsprojekts mit livländischen Urkunden beschäftigen.
Felicitas von Aretin
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