Die Deutsche Forschungsgemeinschaft hat an der Freien Universität zum Beginn dieses Jahres den neuen Sonderforschungsbereich Ästhetische Erfahrung im Zeichen der Entgrenzung der Künste eingerichtet. Sprecher ist Prof. Dr. Werner Busch vom Fachbereich Geschichts- und Kulturwissenschaften.
Ausgangspunkt des Sonderforschungsbereichs bilden zwei in jüngerer und jüngster Zeit zu beobachtende Entwicklungen: zum einen die zunehmende intermediale Vernetzung der Künste untereinander, zum anderen die Tendenz, die Grenze zwischen Kunst und Nicht-Kunst im Zuge einer durchgreifenden Ästhetisierung der Lebenswelt aufzuheben. Es gehört zur Signatur der Moderne, die Grenze zwischen Kunst und Nicht-Kunst beständig in Frage zu stellen und wieder neu zu ziehen. In jüngster Zeit ist nun aber zu beobachten, dass das Interesse an der Grenze selbst bzw. an der &Mac226;Grenzperformanz der Kunst abzunehmen scheint. Ein Anzeichen hierfür ist der Wunsch von Künstlern und Kuratoren, dem eigenen Tun, das der leeren Spielerei in einem autonomen, aber wirkungslosen &Mac226;Betriebssystem Kunst verdächtigt wird, eine neuerliche Relevanz zu verleihen. In beispielhafter Weise manifestierte sich dieser Wunsch in den Konzeptionen der beiden letzten Documenta-Ausstellungen. Sie versuchten, die Kunst aus ihrer Autonomie zu lösen und dem politischen und soziologischen Diskurs anzunähern. Die hier sichtbar gewordene Ausweitung der Kunst auf die Felder von Soziologie, Politik, Ökonomie oder gar Wissenschaft hat eine Parallele in einem Weltzugang, der, über die Kunst hinaus, zunehmend ästhetisiert erscheint. Die Ästhetisierung der Lebenswelt erfasst dabei alle Lebensbereiche, vom Umgang mit dem eigenen Körper bis zur Vermittlung politischer Inhalte.
Die zweite, sich in der jüngsten Vergangenheit beschleunigende Entgrenzungstendenz betrifft das Verhältnis der Künste untereinander. Die meisten der Kunstformen, die seit den 1960er Jahren entstanden Konzeptkunst, Performance, Videokunst, Klanginstallation, neuerdings Computer- und Netzkunst zeichnen sich durch mehr oder minder ausgeprägte Intermedialität aus und entziehen sich der Zuordnung zu den klassischen künstlerischen Disziplinen.
Angesichts dieser Entgrenzungstendenzen zwischen den Künsten einerseits, zwischen Kunst und Nicht-Kunst andererseits stellt der Sonderforschungsbereich die gegenläufige Frage, ob und inwieweit von der Eigenart ästhetischer Erfahrung die Rede sein kann, ob es innerhalb des Ästhetischen eine Eigenart der Kunsterfahrung, und schließlich, ob es innerhalb der Kunst eine besondere Erfahrung der einzelnen Künste gibt. Das Ziel besteht darin, die Ursachen und Motivationen, aber auch die Konsequenzen dieser Entgrenzungstendenzen zu ergründen. Zugleich geht es um die Frage, wie die Kunstwissenschaften angemessen auf die beschriebenen Entwicklungen reagieren können.
Die Destabilisierung der Konzepte der Kunst und des Ästhetischen zwingt dazu, diese Fragen in Verbindung ganz unterschiedlicher Perspektiven zu stellen. Am Sonderforschungsbereich arbeiten daher folgende Disziplinen zusammen: die Philosophie, die Kunstwissenschaften also Literatur-, Kunst, Musik-, Theater- und Filmwissenschaft , die Klassische Philologie, die Indologie, die Wissenschaftsgeschichte sowie die Wahrnehmungs- und Kognitionspsychologie. Die insgesamt 13 Teilprojekte sind in drei Projektbereichen zusammengeschlossen: Der erste Bereich widmet sich den Transformationen der ästhetischen Erfahrung, der zweite der Spezifik der ästhetischen Erfahrung in den einzelnen Künsten, der dritte der Reichweite des Konzepts der ästhetischen Erfahrung.
Die Deutsche Forschungsgemeinschaft fördert den Sonderforschungsbereich in der ersten, vierjährigen Laufzeit mit insgesamt 4,2 Mio. Euro. Zusammen mit dem Interdisziplinären Zentrum für Kunstwissenschaften und Ästhetik, das an der Freien Universität jüngst ebenfalls eingerichtet wurde, wird er demnächst ein Haus in unmittelbarer Nähe zum Botanischen Garten beziehen.
Dr. Michael Lüthy
Der Autor ist Geschäftsführer des Sonderforschungsbereichs und Leiter eines seiner Teilprojekte