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[Caipirinha mit Wimperntierchen]




Wer sich für Naturwissenschaften interessiert, der kennt sie, die Polarstern. Die Biologin Dr. Désirée Dietrich aus der Arbeitsgruppe Protozoologie von Prof. Klaus Hausmann am Institut für Biologie der Freien Universität konnte in diesem Sommer für zwei Monate mit an Bord gehen, um für ihre Forschung Eis- und Wasserproben im Polarmeer zu gewinnen. Ihr wissenschaftliches Interesse gilt Einzellern in dieser nur scheinbar lebensfeindlichen Umgebung. Hier ist ihr Bericht aus der Welt des ewigen Eises.

Am 23. Juni dieses Jahres stand ich mit den anderen Teilnehmern der Expedition ARK XVIII/1 in Bremerhaven am Kai bereit, um für zwei Monate festen Boden und gutes Wetter hinter mir zu lassen. Kreuzfahrtgedanken verschwinden spätestens als die Polarstern, unser 118 m langes Schiff, zwei Tage später die Meeresstraße zwischen Schottland und den Shetland-Inseln passiert und wir es ab diesem Zeitpunkt mit dem offenen Atlantik zu tun haben. Wie die meisten plagt mich die Seekrankheit. Mit Schwindel und Übelkeit eigentlich genug beschäftigt, taumele ich über das schwankende Schiff und soll schnell das Labor einrichten, weiß aber nicht einmal, welche Treppe wohin führt. Das sind ganz normale Eingewöhnungprobleme auf diesem schwimmenden Großforschungslabor, dem Stolz der deutschen Polarforschung, dass neben der Besatzung bis zu 50 Wissenschaftlern und Technikern Platz bietet. Bis minus 50 Grad Außentemperatur hält das Schiff locker aus und notfalls kann man mit ihm im Eis überwintern. Ganz so schlimm wird es bei uns nicht kommen. Im Gegenteil, manchmal hätte es ruhig etwas mehr Eis sein können – doch dazu später mehr.


Trittbrettfahrer der Ozeanographen

Den ersten Monat der Expedition werden wir vor der Ostküste Grönlands verbringen, dann soll ein Teil der wissenschaftlichen Besatzung auf Spitzbergen wechseln und die Forschung in der Framstraße beginnen. Markus Weitere, Stefanie Moorthi vom Alfred-Wegener-Institut (AWI) und ich wollen auf dieser Expedition die Bedeutung von Einzellern im Stoff- und Energiefluss des Polarmeeres untersuchen: Bakterien, Geißeltierchen, Wimpertierchen und Algen leben in den eisigen Fluten. Aber nicht nur im freien Wasser, sondern auch in den Salzkanälchen des Meereises lauern unsere kleinen Lieblinge. Mit Wasserproben allein ist es also nicht getan. Doch erst einmal sind andere dran: Anfangs gehört das Schiff den Geologen, die vor Grönland ihre Sedimentkerne hochholen, um 150.000 Jahre Klimageschichte zu erforschen. Wir müssen warten, denn wir sind sozusagen Trittbrettfahrer auf den Sonden der Ozeanographen. Die Ozeanographen wollen Tiefenprofile für die Temperatur, die Dichte und den Salzgehalt des Polarmeeres erstellen. Glücklicherweise sind die Sonden mit einem Wasserschöpfer kombiniert. Die lässt man dann einfach in bestimmten Tiefen schließen und wir haben unsere Proben. Die Auswertung wird sich zwar noch viele Monate hinziehen, denn Daten zur Biomasse sind nicht zwischen Tür und Angel auszuwerten und Wachstumsraten nicht so schnell errechnet, um nur zwei Beispiele zu nennen. Doch bereits an Bord kann die Arbeit losgehen: Die Polarstern ist für eine Fülle von Forschungsvorhaben beispielsweise aus der Biologie, Chemie, Geologie, Meteorologie und Ozeanographie ausgerüstet. Neun Laboratorien und Kühlräume, die sogar den Transport von lebenden Meerestieren erlauben, gehören nebst gewaltigen Kränen und einem Hubschrauber zur Ausstattung dieses modernsten Polarforschungsschiffes der Welt. Zwar bekommen wir unsere Proben aus dem freien Wasser relativ einfach, doch für unsere Eisproben gestaltet sich die Sache schwieriger. Denn nur selten knirschen Eisschollen an der doppelten Eisbrecherwand der Polarstern. Wenn aber doch, muss es schnell gehen, damit wir etwas Eis fürs Labor abbekommen. Dann sitzen wir mit unseren Proben an Deck und zerkleinern die Eisbrocken. Ob sie denn für Caipirinhas seien, fragen uns einige Kollegen gelegentlich ironisch, als wüssten sie nicht, weshalb wir hier sind. Vielleicht ist es auch nur die Sehnsucht nach der Copacabana und tropischer Wärme. Hier tröstet die gar nicht mehr versinkende Sonne kaum über sommerliche sechs Grad Außentemperatur und Nebel hinweg. Auch der dreimal pro Woche von den Wissenschaftlern und Wissenschaftlerinnen organisierte Umtrunk in der Bordkneipe erinnert eher an eine Stammtischrunde in einem rustikalen Ecklokal als an brasilianische Strandbars. Viel Spaß haben trotzdem alle und wer abschalten will, kann sich über das bordeigene Videosystem ab 20 Uhr berieseln lassen.

Ansonsten wird ernsthaft gearbeitet an Bord. Der erste Termin des Tages ist die Besprechung mit dem koordinierenden Fahrtleiter Prof. Peter Lemke. Hier erfährt man, welche Experimente von wem demnächst durchgeführt werden und die verschiedenen Arbeitsgruppen berichten von ihren Forschungsvorhaben. Fast der wichtigste Punkt bei dieser Besprechung ist aber stets die Frage nach dem Wetter: „Kann das Arbeitsprogramm durchgeführt werden oder kommt Sturm?“ Dann geht die Arbeit los. Probeentnahmestation anfahren, ständiges Überprüfen der Geräte, Dauereinsatz für diejenigen, deren Experiment gerade auf dem Terminplan steht. Da bleibt nur wenig Zeit, um in der Mannschaftsmesse etwas zu essen.



Désirée Dietrich auf Erkundungsflug mit dem Hubschrauber der Polarstern.


Tiefseewirbel entdeckt

An einem Tag haben wir besonders viel Glück und finden einen Tiefseewirbel. Erst seit kurzem weiß man überhaupt um dieses Phänomen. Zehn Kilometer im Durchmesser dreht der Wirbel langsam in Tiefen zwischen 500 und 2500 m. Diese Wirbel könnten eine wichtige Rolle bei der Neubildung von Tiefenwasser spielen. Auch unsere Einzeller sind von diesem Austausch von Oberflächen- und Tiefenwasser betroffen. Fast jeder an Bord hat irgendein Interesse an diesen Wirbeln und so arbeiten alle zusammen. Es gelingt, den Wirbel von vielen Seiten zu beleuchten. Wir nehmen erstmals Planktonproben und sind mehr als zufrieden mit diesem Tag.

Ruhiger und fast schon ungewohnt ist unser Landgang in Longyearbyen auf Spitzbergen. Wir sind nun bereits einen Monat unterwegs; zehn Stunden festen Boden unter den Füßen. Einige der Wissenschaftler treten den Heimflug an und neue kommen dazu. Wir sitzen im nördlichsten Café der Welt und genießen den bestimmt besten Milchkaffee auf Erden. Wir haben gerade Halbzeit und es lockt noch ein voller Monat auf hoher See.

Noch spannender als an Bord der Polarstern zu sein, ist es mit dem Helikopter vom Schiff aus in die Eiswüste zu fliegen und auf einer Scholle zu landen, die groß und kalt im Atlantik treibt. Dort schöpfen wir Proben aus den Eisschollentümpeln. Ruhe und unvergessliche Weite. Fast möchte man hierbleiben im Eismeer, aber unsere Proben harren der Auswertung und die ab und zu auftauchenden Eisbären erinnern uns auch daran, dass dies nicht unser Platz ist.

Am Morgen des 24. August laufen wir im Hafen der nordnorwegischen Stadt Tromsö ein. Strahlender Sonnenschein empfängt uns zurück in menschlichen Gefilden. Wir verlassen die Polarstern, die schon bald zu ihrer nächsten Expedition aufbrechen wird. Vielleicht sind wir auch irgendwann mal wieder dabei. Zurück bleiben Erinnerungen an das tiefblaue Meer, das Eis, das intensive Licht unter dem blaugrauen Himmel und jede Menge Daten: Es gibt noch viel zu tun, packen wir es an...

Désirée Dietrich

Fotos: Weitere




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