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[Wie Physiker die Chemie neu gestalten]

Oben: Aufbau eines „Quantenlabors“ aus 51 Silberatomen.
Unten: Je größer die Energie, desto kleiner die Wellenlänge. Stehende Elektronenwellen unterschiedlicher Energiezustände, angeregt durch die RTM-Spitze.

Das bloße Betrachten von Oberflächenstrukturen ist Prof. Karl-Heinz Rieder und seinen Mitarbeitern zu langweilig. Sie machen sich die haarfeine Spitze des Rastertunnelmikroskops als Werkzeug zu Nutze, um dicht am absoluten Nullpunkt (bei 5-10 Kelvin) in Physik und Chemie des Subnanobereichs vorzudringen. Dorthin wo einzelne Atome und Moleküle sich nicht mehr bewegen und als stehende Elektronenwolken erkennbar sind. Die Experimente bestätigen sichtbar die Theorien der Quantenphysik. Und sie werfen viele neue Fragen auf.

„Oh, nein!! Nun können wir das Experiment vergessen.” Um Leo Groß’ Mundwinkel zuckt es leicht, sonst bleibt er erstaunlich gelassen. Vermutlich ist er nur höflich, denn schuld bin ich. Was ist passiert? Während der Doktorand am stahlblitzenden Rastertunnelmikroskop (RTM) Details erklärt, habe ich vor Begeisterung rasch das Notizbuch hinter mich gelegt. Peinlich. Der vermeintliche Tisch ist Teil des gerade aktiven RTM und nicht aus Jux aufwendig luftgefedert. &Mac226;Please do not touch. We are scanning. Thank you!’ warnte ein Schild vergeblich. Die Erschütterung, die das Buch auslöste, kam für die laufende Messung einem starken Erdbeben gleich. Die empfindliche Spitze des Mikroskops – nur wenige Nanometer (0,000.000.001 m) von der Probenoberfläche entfernt – dürfte wie ein Schlagbohrer in das Kupferplättchen gefahren sein. Aber, Gott sei Dank, das Gerät blieb heil. „Nur“ ein halber Tag Arbeit umsonst. Das Monitorbild ist nun deutlich unschärfer. Eben waren hier noch, erbsengroß, zwei wolkige Objekte zu sehen. Große Kohlenwasserstoffmoleküle (C90H98), mit länglichem Körper und vier Füßchen, Landers genannt. Mühsam hatte Leo Groß das eine mit der RTM-Spitze nahe an das andere herangeschleift – Nanometer für Nanometer. Jetzt wollte er versuchen, sie mittels Tunnelelektronen zusammenzuschweißen. Ein winziger molekularer Draht könnte so entstehen, gut isoliert zur Oberfläche durch viele kleine Füßchen.



Letzte Kontrolle vor Versuchsbeginn:
Leo Groß am Rastertunnelmikroskop.

Eine chemische Bindung mittels RTM zu induzieren gelang Prof. Karl-Heinz Rieder zusammen
mit Dr. Sav-Wai Hla bereits an kleineren Molekülen. Sie nahmen zwei Benzolringe, die jeweils ein Jodatom tragen, zupften mit der Spitze die Jodatome ab und zogen diese beiseite. Dann schoben sie die beiden Benzolringe dicht zusammen und schweißten sie aneinander. Genial! Einzelmolekülchemie mit Mitteln der Physik und alles unter Sichtkontrolle. Noch niemand vor ihnen hatte das geschafft. Selbst gestandene Kollegen vom benachbarten Institut für Chemie waren schwer beeindruckt. Doch die renommierte Zeitschrift Nature lehnte die Veröffentlichung des Papers ab. Das hat den sympathischen Burgenländer wirklich geärgert. „Aber dann!“ Rieder lacht. 2001 wählte die American Physical Society genau diese Arbeit zum „Highlight of the Year 2000“. Bei aller Bescheidenheit, die ihm eigen ist: Das gehört zu den Dingen, auf die er stolz ist – auch weil es „die von Nature geärgert hat“.

Die Manipulationsmöglichkeiten mit dem RTM sind vielfältig. Moleküle lassen sich nicht nur schieben und verbinden, sondern auch gezielt verbiegen (konformativ verändern). Rieders Mitarbeiterin Dr. Francesca Moresco zeigte dies an verzweigten Phorphyrinen, großen Makrozyklen, die in der Natur als Basis von Pigmenten weit verbreitet sind. Etwa im Chlorophyll oder als Teil des roten Blutfarbstoffs Hämoglobin. Mittels Tunnelspitze lassen sich deren Beinchen nach Belieben wegknicken und wieder aufstellen. Dadurch ändert sich der elektrische Widerstand des Moleküls erheblich. Ideal für einen „Molekularen Schalter“, doch Anwendungen in der Nanoelektronik interessieren den Experimentalphysiker eher sekundär. „Wir probieren, was geht und was nicht. Aber bei vielen Dingen, die passieren, wissen wir noch nicht wie und warum.“ Und so sucht sich Rieders Forschung manchmal selbst ihren Weg.


Manipulieren mit dem RTM

Ein einzelnes Atom lässt sich wahlweise wie ein Fußball vor der Spitze her kicken oder wie ein Anhänger mitziehen. Die Kraft zwischen Spitze und Partikel kann auch zum horizontalen Transport dienen. Wie mit einem Kran können Teilchen angehoben und an beliebiger Stelle wieder abgesetzt werden. Durch Aufnehmen eines Kohlenmonoxid-Teilchens wird die Spitze funktionalisiert. Dadurch verändert sich der Bildkontrast „chemisch“. Die Sauerstoffatome bleiben dunkel, CO wird hell.




Arbeit im Quantenlabor

Den Umgang mit einzelnen Atomen beherrscht die Gruppe mittlerweile aus dem Eff-Eff. Das Brandenburger Tor oder chinesische Schriftzeichen aus Silberatomen? Kein Problem. Doch solche Fingerübungen sind meist nur das Vorspiel. Präzise aufgebaute Strukturen ermöglichen die direkte Untersuchung diverser physikalischer Phänomene, die bisher eher theoretisch an Modellen erforscht wurden. Quantenphysik – ein Gebiet, bei dem sich so manchem Nichtphysiker die Nackenhärchen sträuben – lässt sich hier live und auf Wunsch auch in Farbe erleben. Ein Kreis oder Triangel aus Atomen wird zum „Quantenlabor“, in dem sich die Energiezustände von Elektronen unter dem Mikroskop studieren lassen. Quantenröhren, angelegt aus geordneten, gegenüberliegenden Reihen von Silberatomen, ermöglichen in ihrem Inneren die Beobachtung der anziehenden und abstoßenden Wechselwirkung zweier Partikel.

All das ist möglich, weil im Vakuum und bei Temperaturen dicht am absoluten Nullpunkt von –273 °C gearbeitet wird. Dort wo die Eigenschwingungen der Atome quasi eingefroren sind. Die Vorbereitung der Experimente ist aufwendig, dauert zwei bis drei Tage. Der „Arbeitstisch“ – meist ein 3 x 3 Millimeter großes Kupferplättchen – muss glatt und frei von Dreck sein. „Dreck“ sind in diesem Fall Metalloxide. Sogar Gasatome stören. Deshalb werden die Plättchen evakuiert und mit Edelgas-Ionen „abgespritzt“. Dieses Ionenstrahlätzen hinterlässt Schäden auf der Oberfläche, die durch Erhitzen wieder ausgeglichen werden. Etwa 100°C unterhalb der Schmelztemperatur hüpfen Atome freiwillig in eine energiearme Position und nehmen ihren optimalen Platz im Kristallgitter ein. Dann wird mit flüssigem Helium heruntergekühlt. Nun lassen sich Atomhaufen herausschlagen, aus denen – Atom für Atom – ein Mini-Quantenlabor aufgebaut wird, oder Moleküle für gezielte Einzelreaktionen aufdampfen.


Prof. Karl-Heinz Rieder

Als Karl-Heinz Rieder 1985 den Ruf an die FU annahm, hatte er bereits zwei wesentliche Karrierestationen absolviert. Von 1971 bis 1975 forschte er am Max-Planck-Institut für Festkörperforschung (Stuttgart). Dann folgten elf prägende Jahre in den legendären IBM Research Laboratories im schweizerischen Rüschlikon. Heute arbeiten bereits einige seiner Schüler dort, so auch Dr. Gerhard Meyer, der die ersten Spezialapparaturen und die ausgefeilten Computerprogramme für die FU-Gruppe entwickelte. Die RTM-Arbeiten sind übrigens nur ein kleiner Ausschnitt dessen, was das Team an Festkörper- und Oberflächenphysik betreibt. Rieder initiierte den Sonderforschungsbereich 290 „Metallische dünne Schichten“, dessen Sprecher er auch in der vierten Förderperiode noch ist.

Catarina Pietschmann


Mikroskopaufnahmen: Rieder
Fotos: Pietschmann


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