Bereits zum 90. Mal fand vom 23. bis 28. Juni ein Workshop der Dahlem Konferenzen statt, und wie immer bei diesen Veranstaltungen hatten die Teilnehmer das Ziel vor Augen, interdisziplinäre Ansätze für bisher wenig beachtete Probleme zu finden und der Wissenschaft neue Impulse zu verleihen. Diesmal ging es um das Phänomen der Evolution der Kooperation. Dabei ging es dem interdisziplinären Ansatz entsprechend nicht nur um die Ausbildung von Kooperationen in der genetischen Evolution, sondern auch in der kulturellen Evolution. Doch bereits der Begriff Kooperation ist in diesem Zusammenhang erklärungsbedürftig, denn die biologische Evolutionslehre ist in ihren Grundzügen eine Theorie der Konkurrenz um Überleben und Fortpflanzung. Sie wird daher oft mit Metaphern wie dem Kampf ums Dasein in Verbindung gebracht. Dabei wird nur allzu leicht übersehen, dass die erstaunlichsten Leistungen der Evolution in der Erzeugung kooperativer Phänomene bestehen. Zum Beispiel kooperieren Gene innerhalb von Zellen in einem solchen Ausmaß, dass letztere uns wie hoch organisierte Hightech-Fabriken erscheinen. Zellen wiederum arbeiten so wirkungsvoll zusammen, dass daraus Organismen mit all ihren Fähigkeiten entstehen.
Raumflüge sind zweifellos Glanzstücke menschlicher Planung und Kooperation. Verblüffend ist aber, dass große kollektive Leistungen auch ohne Planung und ohne die ordnende Hand eines Organisators zu Stande kommen können. Als Musterbeispiel kann in diesem Zusammenhang das nicht-kommerzielle Betriebssystem Linux angesehen werden, das in der Szene der Programmier-Tüftler in einem anarchisch anmutenden Prozess entstand und der kommerziellen Konkurrenz dennoch neue Qualitätsmaßstäbe setzte. Im Fehlen der ordnenden Hand und der verblüffenden Güte des anarchisch und gleichsam aus dem Chaos entstandenen Produkts zeigen sich bemerkenswerte Parallelen zwischen genetischer und kultureller Evolution.
Wie aber sind genetische und kulturelle Evolution in der Lage, derartige Kooperationen zu erzeugen? Zu dieser Frage sind in den letzten Jahren neue Forschungsansätze entstanden. Konkrete Fragestellungen des Workshops sind zum Beispiel:
Wie wurden Bakterien in andere Zellen integriert, denen sie heute in Form der Mitochondrien als Kraftwerke dienen? Unterscheiden Putzerfische bei Fischen, die sie putzen, zwischen Lauf- und Stammkundschaft? Wie werden im Tierreich die Früchte der Kooperation unter den Kooperierenden aufgeteilt? Was charakterisiert menschliche Freundschaften? Warum werden Normen selbst dann noch respektiert, wenn sie eigentlich schon längst überholt sind?
All diese und noch viele weitere Fragen wurden unter Vorsitz von Professor Peter Hammerstein, Sprecher des gerade an der Humboldt-Universität gegründeten Sonderforschungsbereichs Theoretische Biologie von den namhaften Teilnehmern aus dem In- uns Ausland eine Woche lang diskutiert.
FU-N
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