Zum 1. März 2002 richtete die Deutsche Forschungsgemeinschaft die Forschergruppe Innovative Arzneistoffe und Trägersysteme an der Freien Universität ein. Die Gruppe wird von Prof. Monika Schäfer-Korting, der Prodekanin des Fachbereichs Biologie, Chemie, Pharmazie, geleitet.
Etablierte Zytostatika wie Cisplatin sind nicht nur für Tumorgewebe toxisch, sondern schädigen auch gesunde Zellen. Weniger brisant, aber für die Betroffenen ebenfalls unangenehm sind die Hautschäden in Folge einer langfristigen lokalen Cortisontherapie etwa bei Psoriasis (Schuppenflechte). Diese und andere auf den ersten Blick sehr unterschiedlichen Erkrankungen haben etwas gemeinsam: die Teilungsgeschwindigkeit bestimmter Zellen ist verändert. Vielfach kommt als weiteres Krankheitszeichen eine Entzündung hinzu. Die Therapieerfolge mit herkömmlichen Medikamenten sind oft unbefriedigend. Ursachen dafür sind wenig geeignete Arzneistoffe oder das Fehlen von Methoden, um die Substanzen zielsicher an den Krankheitsherd zu bringen und damit Nebenwirkungen zu minimieren.
Neue Substanzen, die das Zellwachstum hemmen (Physiologische Chemie): Kontrollzellen (links), behandelte Hautzellen (rechts).
Die Kenntnisse über die Entstehung von Krankheiten auf zellulärer Ebene haben sich dank intensiver molekularbiologischer Forschung in den vergangenen Jahren stark erweitert. Wesentliche Signalwege der inter- und intrazellulären Kommunikation wurden aufgeklärt und damit neue Zielstrukturen (Targets) für Arzneimittel identifiziert. Vor diesem Hintergrund gilt es, neue, hochaktive Arzneistoffe zu entwickeln und gleichzeitig nach der jeweils besten Applikationsform zu suchen, um die Substanz ganz gezielt an den Wirkort heranzubringen. Diesen integrativen Ansatz werden FU-Wissenschaftler nun gemeinsam und mit einigen externen Kollegen verfolgen. In der neuen DFG-Forschergruppe Innovative Arzneistoffe und Trägersysteme (FOR 463) werden sie Wirkstoffe Peptide (Eiweißkörper), Lipide (Fette), Platinkomplexe und maßgeschneiderte Trägermaterialien wie Polymerkügelchen und feinste Lipidteilchen quasi auf einander zu entwickeln.
Die Forschergruppe wird für zwei Jahre (mit Aussicht auf Verlängerung von zunächst einem weiteren Jahr) durch hohe Sach- und Personalmittel gefördert. Überzeugt hat die Gutachter vor allem der sehr interdisziplinäre Ansatz, denn in den acht Teilprojekten werden Pharmazeuten mit Biochemikern, Humanmedizinern, Chemikern und Physikern über die Grenzen ihrer Disziplinen hinweg zusammenarbeiten. Ganz im Sinne des ursprünglichen Gedankens von Universitas, meint Prof. Monika Schäfer-Korting.
Tumorwachstum im Mausmodell (Medizin)
Kreativität durch Grenzüberschreitung
Ein spannendes Projekt bei dem kreatives Querdenken angesagt ist, denn die Interdisziplinarität geht auch quer durch die Teilprojekte. Zum Beispiel, wenn es um die Erforschung der Signalwege von Sphingolipiden geht. Diese neuartigen Wirkstoffe sollen gegen Hauterkrankungen wie Psoriasis eingesetzt werden, bei denen es zu einer überschießenden Produktion von Hautzellen kommt. Dazu tun sich Naturstoffchemiker (AG Reißig) mit Pharmakologen (AG Kleuser) zusammen. Bei entzündlichen Erkrankungen spielen Zelladhäsionsmoleküle wie das L-Selektin eine tragende Rolle. In der AG Tauber (Klinische Chemie am Fachbereich Humanmedizin) sucht man nach spezifischen Selektin-Inhibitoren, um Entzündungsreaktionen hemmen zu können.
Neuartige Phospholipide, die mit einer Glukoseeinheit verknüpft sind, sind gegen Hauterkrankungen wirksam hemmen aber auch das Tumorwachstum. Durch physiologische Untersuchungen wollen die Gruppen Reutter und Danker (beide Biochemie im Fachbereich Humanmedizin) dem Wirkungsmechanismus dieser Substanzen auf den Grund gehen.
Solid lipid nanoparticle unter dem Rasterkraftmikroskop.
Da sich viele der Wirkstoffe, die von der Gruppe erforscht werden, von körpereigenen Substanzen wie Zuckern, Fetten oder Steroidhormonen ableiten, scheinen Trägersysteme auf Lipidbasis besonders geeignet. Wie und ob Arzneistoffe, verpackt in kleinsten Fetttröpfchen, die Blut-Hirnschranke durchqueren können, ist Thema der Kooperation zwischen FU-Medizin (AG Liesenfeld) und dem Forschungsinstitut für Molekulare Pharmakologie Berlin-Buch (AG Dathe). Cortison ist eine der wirksamsten Substanzen zur lokalen Therapie vieler Hauterkrankungen. Leider dringt das Steroidhormon dabei oft tiefer in die Haut vor als erwünscht. Durch Kopplung an lipidbasierte Träger wie Liposomen oder Lipidnanopartikel könnte sich die Eindringtiefe gezielt steuern lassen. Nach geeigneten Lösungen suchen die Gruppen Schäfer-Korting (Pharmazie), Mehnert (Pharmazeutische Technologie) und Korting (Dermatologie, LMU München)
Die Wirkstoff-Träger-Kopplung bzw. die Träger selbst stehen auch im Fokus von drei weiteren Projekten. Chemisch gebunden an fein verästelte Kunststoffkügelchen (Dendrimere) werden platinhaltige Zytostatika vielleicht einmal selektiv nur in Tumorzellen wirksam. Ob das funktioniert, erforscht die AG Schlüter (Polymerchemie) mit der AG Gust aus der Pharmazie (siehe auch FU-Nachrichten 2/2002). Biologisch abbaubare Polymermikropartikel als Wirkstoffdepots, die sich erst in situ also nach Injektion unter die Haut oder in den Muskel bilden, erforscht die AG Bodmeier (Pharmazeutische Technologie). Mit High-Tech-Methoden lassen sich die Oberflächenstrukturen der Partikel sowie deren Wechselwirkungen mit der Zellmembran genau untersuchen ein Fall für die Physik (AG Niehus, HU und AG Kramer, FU).
Ausschnitt aus einem Dendrimer-Zytostatika-Konjugat (Polymerchemie)
Was die insgesamt 15 Forschungsgruppen eine bunte Mischung aus Nachwuchswissenschaftlern und alten Hasen mit gebündeltem Sachverstand betreiben, ist absolute Grundlagenforschung auf Gebieten, die die Pharmaindustrie bisher nicht anfasste. So viele Spezialisten zu vereinen, um ein derart facettenreiches Projekt auf völlig neuartigem Terrain zu bewältigen, gelingt nur in der akademischen Forschung. Durch kurze Wege bis auf eine Gruppe arbeiten alle Wissenschaftler in Berlin soll die Entwicklung vom Wirkstoff über den Träger bis zur ersten Anwendung am Menschen rasch voran gehen. Bei Null fängt man allerdings nicht an. Die meisten Projekte laufen bereits seit Monaten, manche schon einige Jahre.
Prof. Monika Schäfer-Korting
Dass die DFG dem Antrag zustimmte, sieht Prof. Schäfer-Korting als Indiz für die Leistungsstärke der FU-Pharmazie, der Naturwissenschaften der FU insgesamt und der sinnvollen Vernetzung mit der Humanmedizin. Wenn alles gut klappt, könnte die Forschergruppe vielleicht noch vergrößert und in einen Sonderforschungsbereich überführt werden. Voraussetzung dafür ist, dass es uns gelingt, alle Beteiligten in Berlin zu halten und exzellente neue Wissenschaftler dazu zu gewinnen, weiß Prof. Schäfer-Korting. Letzteres wird nicht einfach werden nicht nur wegen der Finanznöte der FU, sondern auch wegen der Unwägbarkeiten des neuen Hochschulrahmengesetzes.
Catarina Pietschmann
Bild Zellen: AG Dathe Bild Maus: FU Bild nanoparticle: AG Niehus, HU Berlin Bild Polymerchemie: AG Schlüter, FU Berlin
Beteiligte Arbeitsgruppen / Teilprojekte
Arbeitsgruppen innerhalb der FU
Fachbereich Biologie, Chemie, Pharmazie
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Institut für
Pharmazie
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Prof. Roland Bodmeier |
P7 Polymermikro-
partikel
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Prof. Ronald Gust |
P1 Zytostatika
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Dr. Burkhard Kleuser |
P3 Signalwege von
Sphingolipiden
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Dr. Wolfgang Mehnert |
P4 Lipidnanopartikel
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Prof. Monika Schäfer-Korting |
P4 Dermatopharmaka
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Institut für
Chemie
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Prof. Hans-Ulrich Reißig |
P3 Spingosin-
Derivate/Organische Chemie
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Prof. A. Dieter Schlüter |
P1 Dendrimere/
Polymersynthese
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Fachbereich Physik/Experimentalphysik
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Prof. Klaus Kramer
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P8 Medizinische Physik
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Institut für Molekularbiologie/
Biochemie
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Prof. Werner Reutter |
P2 Glykosidierte
Phospholipide
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Priv.-Doz. Kerstin Danker |
P2 Zellbiologie
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Institut für
Klinische Chemie/
Pathobiochemie
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Prof. Rudolf Tauber |
P5 Selektine
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Institut für
Infektionsmedizin |
Prof. Oliver Liesenfeld |
P6 ZNS-Infektion/
Blut-Hirnschranke
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Arbeitsgruppen außerhalb der FU
Institut für Physik (HU) |
Prof. Horst Niehus |
P8 Oberflächenphysik
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Forschungsinstitut
für Molekulare
Pharmakologie
(Berlin-Buch)
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Dr. Margitta Dathe |
P6 Peptidchemie
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Klinik und
Poliklinik für
Dermatologie/
Allergologie
(LMU München)
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Prof. Hans Christian Korting |
P4 Klinische Prüfung,
Elektronen-
mikroskopie
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