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[Vorträge und Laborversuche für Schüler am Fachbereich Physik]

Eine Schülergruppe lässt sich im Tieftemperaturlabor die Helium-Verflüssigungsmaschine erklären.

Die Luft ist stickig und es ist warm im Saal. Ein stetiges Gemurmel bildet die Geräuschkulisse aus dem Zuschauerraum, der bis auf den letzten Platz besetzt ist. Vorne, „auf der Bühne“, sind eine Gitarre, Lautsprecher und ein Verstärker aufgestellt. Dahinter steht ein großer Mann mit schlohweißem Haar und Vollbart und bläst mit dicken Backen angestrengt in eine Orgelpfeife. Kammermusik? Kabarett? Was wird hier gespielt? Die Antwort: Prof. Erwin Klein, Physiker an der Freien Universität, präsentiert Schülern der Sekundarstufen I und II „Experimente mit Tönen und Klängen“.

Prof. Klein hält den ersten von fünf Vorträgen, die der Fachbereich Physik in der Woche vom 11. bis 15. März für etwa 1.200 Berliner Gymnasiasten und Gesamtschüler veranstaltet. Parallel zu den Vorlesungen werden von Montag bis Freitag zusätzlich Versuche in den Labors des Fachbereichs gezeigt, an denen etwa die Hälfte der Besucher teilnimmt. Die graue Theorie des schulischen Physikunterrichts soll anhand von praktischen Experimenten veranschaulicht werden. „Physik zum Anfassen“, die – so die Hoffnung am Fachbereich – auch der Nachwuchswerbung dient. „Letztes Semester hatten wir 26 Studienanfänger“, erzählt Dr. Zsolt Szücs einer Gruppe Jugendlicher, die zu ihm ins Tieftemperaturlabor gekommen ist, um sich seine Ausführungen zur Kältemittelversorgung der FU und zu supraleitenden Magneten anzuhören. „Das Betreuungsverhältnis bei uns ist optimal!“ Der Lehrer der Schülergruppe schmunzelt, doch Dr. Szücs macht keine Witze: Seit dem Sommersemester 1998 lag die Zahl der Neuimmatrikulierten in der Physik bis jetzt sogar unter 20. Werbung hat der Fachbereich also bitter nötig. Ein- bis zweimal im Jahr finden deshalb Vorträge und Laborbesuche für den interessierten Nachwuchs statt.

Apropros interessierter Nachwuchs: Wie steht´s denn so mit dem Wissensdurst der Schüler? Während Prof. Klein die Orgelpfeife weglegt und dazu übergeht, ein Menuett von Haydn abzuspielen und laut mitzusummen, schnipsen sich die Jungs in der letzten Reihe gegenseitig hinter die Ohren. „Zwei Stunden Schule statt sechs – das ist doch ein Geschäft“, bringt eine Lehrerin die Motivation von einem Großteil ihrer Schützlinge auf den Punkt. „Ob das Ganze auch Interesse an der Physik wecken kann, weiß ich nicht.“ Zum Schluss jedoch ködert Prof. Klein sie alle: Er inhaliert Helium aus einem Ballon und erklärt danach mit Mickey-Maus-Stimme: „Man sollte das hier nicht zu oft machen. Helium ist zwar nicht giftig, aber man erstickt, wenn man es zu oft inhaliert!“ Brüllendes Gelächter. Dann stürzen sich alle auf die vorbereiteten Ballons, um das Experiment selbst auszuprobieren.

Physik bei sehr tiefen Temperaturen: Kryophysik

Helium spielt nicht nur bei Prof. Klein, sondern während der gesamten fünf Schülertage eine wichtige Rolle. Für Technik in der Raumfahrt oder für Untersuchungen mit einem Rastertunnel-Mikroskop beispielsweise sind sehr tiefe Temperaturen notwendig. Flüssiges Helium wird hier als Kühlmittel eingesetzt. Die FU besitzt eine eigene Helium-Verflüssigungsmaschine. Prof. William Brewer erklärt den Schülern und Schülerinnen in seinem Vortrag über „Physik bei sehr tiefen Temperaturen“ wie diese Maschine funktioniert:

Im gasförmigen Helium schwirren unzählige Gasteilchen mit einer hohen kinetischen Energie wild durcheinander. Je höher die Temperatur, desto höher ist ihre Geschwindigkeit und ihre „Entropie“, ein Maß für die Unordnung, mit der die Teilchen durcheinander fliegen. Wenn die Teilchen „Arbeit“ verrichten müssen, verlieren sie kinetische Energie und werden langsamer. Die Temperatur sinkt. In der Helium-Verflüssigungsmaschine müssen die Helium-Teilchen Arbeit gegen einen Kolben verrichten, den sie nach oben drücken sollen. Das Gas kühlt sich wegen des Energieverlusts immer stärker ab und wird flüssig. Dabei können Temperaturen von minus 200 Grad und tiefer erreicht werden. Selbst am absoluten Nullpunkt wird Helium nicht wieder fest. Diese Eigenschaften macht man sich vor allem beim Einsatz von Supraleitern und supraleitenden Magneten zu Nutze, die sehr tiefe Temperaturen benötigen, um zu funktionieren. Supraleitende Magneten haben eine fünf mal stärkere Anziehungskraft als normale und werden heute fast überall eingesetzt, wo sehr starke Magnetfelder vonnöten sind. Die FU liefert beispielsweise flüssiges Helium an Berliner Krankenhäuser, wo man das Kühlmittel für die supraleitenden Magnete in Nuclear Magnetic Resonance (NMR-) Tomographen benötigt. Durch das sehr starke homogene Magnetfeld, das mit Magneten aus herkömmlichen Materialien gar nicht erzeugt werden könnte, werden in einem Tomographen die Protonen im Körper eines Menschen angeregt und wie kleine Magnetnadeln ausgerichtet. Wenn sie wieder in ihre Ausgangsposition zurückfallen, geben sie ein elektro-magnetisches Signal ab, aufgrund dessen ein Mediziner genau bestimmen kann, aus welchem chemischen Verband das Proton stammt und um welches Gewebe es sich demnach handelt. Dank supraleitender Magneten kann man also eine „innere Landkarte“ des Menschen anfertigen.

Euro im Härtetest

Die Schüler sind von den Möglichkeiten der Kryophysik fasziniert, wahrscheinlich auch deswegen, weil es in den Veranstaltungen zum Thema wirklich „Physik zum Anfassen“ gibt, was bei anderen Vorlesungen und Laborversuchen oft ein wenig zu kurz gekommen ist. Bei Prof. Brewer jedoch können die Schülerinnen und Schüler sogar regelrecht in die Physik „eintauchen“: Nach dem Vortrag darf jeder, der sich traut, seine Hand für den Bruchteil einer Sekunde in flüssigen Stickstoff eintunken. Der ist zwar nicht ganz so kalt wie Helium, hat aber immerhin auch eine Temperatur von minus 196 Grad. Bedenkt man, dass eine minimale Zeitüberschreitung Brandblasen hervorrufen kann, wie das ja auch bei Plusgraden in dieser Höhe der Fall sein würde, kostet das eiskalte Bad schon einige Überwindung. Außer einem kurzen Zischen beim Eintauchen – vergleichbar mit dem Geräusch, dass Wassertropfen auf einer heißen Herdplatte auslösen – ist das Experiment aber unerwartet unspektakulär und hinterher klagt zum Glück keiner über Verletzungen.

Taucht man dagegen elastische Materialien in flüssigen Stickstoff, so werden diese nach ungefähr einer Minute spröde und lassen sich ohne Probleme mit dem Hammer zerbröseln. Dr. Udo Ruppert von der zentralen Kältemittelversorgung demonstriert diese Veränderung von Materialeigenschaften nach einem Stickstoffbad mit einem Blatt von seiner Zimmerpflanze. Als ein Schüler seine Bankkarte als weiteres Versuchsobjekt zur Verfügung stellt, ist der Andrang um den Stickstoffbehälter groß. Zur Enttäuschung aller hält die Plastikkarte den Minusgraden stand. „Eine russische Karte eben“, ruft der Besitzer stolz. Das kann man als Westeuropäer nicht auf sich sitzen lassen: „Der Euro ist übrigens auch resistent“, ruft ein Lehrer wenig später und hält die „gebadete“ Münze an einer Pinzette triumphierend nach oben. Da soll noch einer sagen, wir hätten keine harte Währung. Die meisten Schülerinnen und Schüler fanden die Laborbesuche „interessant“. Ein Physik-Studium konnten sich aber die wenigsten vorstellen. Katja, vor einigen Augenblicken noch emsig bemüht, ihren Namen auf ein Blatt Papier zu schreiben, indem sie dabei nicht auf das Blatt, sondern in einen darüber liegenden Spiegel sieht, schüttelt entsetzt den Kopf: „Physik studieren? Nein, danke!“

Dass die Schüler-Woche keine „Invasion“ der Studienanfänger zur Folge haben würde, war den Veranstaltern natürlich auch klar. Wenn aber diejenigen, die bereits mit einem Physik-Studium geliebäugelt haben, durch die Schüler-Tage in ihrem Entschluss bestärkt werden, ist für den Fachbereich schon viel gewonnen.

Franziska Garbe

Foto groß: Dahl

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