[Freie Universität Berlin] [FU-Nachrichten - Zeitung der Freien Universität Berlin]
 
  
TitelAktuellInnenansichtenLeuteWissenschaftStudierendeDie Letzte
FU Nachrichten HomeFU-Nachrichten ArchivFU Nachrichten SucheLeserbrief an die RedaktionImpressumHomepage der FU Pressestelle
Vorheriger Artikel...
Nächster Artikel...

[Interview mit Prof. Dr. Gisela Klann-Delius, Vizepräsidentin der Freien Universität Berlin]

Kein Zweifel, Klatsch ist in aller Munde; zumal in den Zeiten des Internet. Die modernen Medien haben das Klatschbedürfnis nicht verringert, den „ungesicherten Informationen“ – den Gerüchten, dem Geschwätz, dem Klatsch und Tratsch – wurden hier vielmehr neue Kanäle gebaut. Davon ist Birgit Althans, Wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Allgemeine Pädagogik des Fachbereichs Erziehungswissenschaft und Psychologie der Freien Universität überzeugt. Auch seriöse Medien sieht sie bei Christoph Daums Drogenkonsum, Joschka Fischers Vergangenheit und Boris Beckers Scheidungsgeschichte in bester Klatschreportagetradition. Althans wollte dem Klatsch auf die Spur kommen und hat die Ergebnisse ihrer Forschungen jetzt vorgelegt. Mit ihrer im Campus-Verlag als Buch erschienen Dissertation „Der Klatsch, die Frauen und das Sprechen bei der Arbeit“ lädt sie zu „einer Expedition durch die Geschichte des Klatsches“ ein. Die führt von den Waschplätzen der Frauen über das Kaffeehausgerede der Männer unter die Röcke der Hofdamen des 18. Jahrhunderts und die Couch Sigmund Freuds.

Die „Ur-Szene“, an die das lautnachahmende Wort Klatsch erinnert, sind die Waschplätze der Frauen. Hier wurden nicht nur mit weithin schallenden Schlägen die anstößigen Flecken aus der Wäsche, sondern auch arbeitsbegleitend „mit dem Maule gewaschen“, wie Luther beanstandete, und genüßlich über die (sexuelle) Herkunft der Flecken spekuliert. Das Wäschewaschen war traditionellerweise reine Frauenarbeit, ebenso wie die anderen Tätigkeiten der winterlichen Munkel- und Kunkelstuben, die allegorisch mit dem „Klatschen“ in Verbindung gebracht werden, wie etwa das Nähen und Flicken („jemandem am Zeug flicken“), oder die Flachsverarbeitung („jemanden durchhecheln“). Beim Klatsch handelte es sich zunächst um ein spezifisches, ins Auge fallendes, weibliches Genießen des Sprechens bei langwieriger, monotoner und teilweise sehr harter körperlicher Arbeit, die durch die Lust der arbeitenden Frauen am Klatsch, am Gespräch über das »Allerletzte«, kompensiert wurde.

Für Frauen Genuss – für Männer Arbeit

Männer wurden von diesen weiblichen Informationszentralen durch obszöne Gesten (Heben der Röcke und Entblößen des Geschlechts) und die verbale und manuelle Schlagfertigkeit der Frauen ferngehalten: Klatsch! Der Kitzel des Waschplatzklatsches sollte allein den Frauen vorbehalten bleiben, die damit auch die soziale Kontrolle der sexuellen Angelegenheit bewahrten: Auf dem Waschplatz wurden junge Mädchen über die Geheimnisse der Sexualität aufgeklärt, hier erörterte man sexuelles Fehlverhalten, uneheliche Schwangerschaften. Der ins Auge fallende körperliche Genuss, der Frauen am Sprechen, wenn sie zusammen arbeiteten, irritierte männliche Beobachter wie Luther oder die Aufklärer Diderot und Rousseau, aber auch spätere Beobachter arbeitender Frauen, wie die Vertreter des Scientific Managements und der Human-Relations-Bewegung Anfang des 20. Jahrhunderts. Der Klatsch der Frauen bei der Arbeit enthielt (und enthält) sowohl das Moment der notwendigen Verschwendung, der Verausgabung, die der französische Schriftsteller, Soziologe und Philosoph George Bataille in seiner Kritik an der „beschränkten“ Ökonomie ausgemacht hat, wie auch destruktive Anteile, die der Psychoanalytiker Jacques Lacan in seinem Begriff des Genießens aufgezeigt hat.

Die »Sprech-Performance« widersprach in ihrem starkem Genuss-Aspekt nicht nur den Anforderungen der protestantischen Ethik auf eine maßvolle Lebensführung, sondern auch den Regeln des vernunftbetonten Informationsaustausches, des »nüchternen Gesprächs«, das in den englischen Kaffeehäusern des achtzehnten Jahrhunderts entstand. Die Kaffeehäuser waren die männlichen Informationszentralen, die die neuen Welten der Finanzen, des Handels und der Politik, die neue „bürgerliche Öffentlichkeit“ also, mit Nachrichten versorgten. Dort wurden die Gesten und Rituale der Rationalität entwickelt, die zumindest die Illusion erlaubten, aus den neuesten Gerüchten, seriöse, „verlässliche“ Nachrichten zu machen, die man für Geschäftsabschlüsse und politische Entscheidungen nutzen konnte. Der Genussaspekt beim Informationsaustausch musste in dieser neuen Welt betonter Rationalität vermieden, auf jeden Fall aber geleugnet werden, obwohl Beschreibungen aus der Frühzeit der Kaffeehäuser darauf hindeuten, dass es ihn durchaus gegeben hat. Auch die betont rational agierenden, nüchternen Geschäftsmänner des achtzehnten Jahrhunderts haben in ihren Kaffeehäusern müßig geklatscht (Kaffeeklatsch) – anders als beim Waschplatzklatsch der Frauen war ihr Sprechen jedoch kein Reden bei der Arbeit, sondern die Installierung eines Sprechens als Arbeit. Aus diesen Gründen wird verständlich, dass Männer bestrebt waren, das eigene Klatschverhalten durch die betonte Rationalisierung der Informationskultur zu maskieren und den Klatsch als „gender“, als spezifisch „Weibliches“ in den Bereich der „fiction“ zu verschieben. Diese Tradition wurde von den Autoren der Aufklärung in ihren Bildungsromanen fortgeschrieben und trug so zur Kultivierung der Geschlechtscharaktere bei.

Eine besondere Rolle spielte dabei der Begriff des credits und der damit verbundene credit-Diskurs, eine Entdeckung, auf die Althans besonders stolz ist. Credit bedeutet im Englischen nicht nur finanzielle, sondern auch moralische Glaubwürdigkeit. Bei der Konstituierung der modernen Finanzwelt und der „professionellen“ Politik spielte er eine zentrale Rolle. Einerseits wird ein Politiker oder ein Geschäftsmann erst „gemacht“, indem man ihn ins Gerede bringt und so seinen credit gewissermaßen performativ erzeugt, andererseits kann sein credit ebenso durch abfälliges Gerede im Nu vernichtet werden.

Klatsch versus Rationalisierung

Der Aufklärer Rousseau erfand mit seiner Konzeption des „typisch“ schamhaften weiblichen Sprechens die moderne indirekte Klatschkommunikation („Ich will ja nichts sagen, aber…“), das Spiel mit den Andeutungen, mit dem Freud in der Psychoanalyse zu kämpfen hatte. Mit seinem Forschungstrieb, seinem „Begehren zu wissen“, spielten seine Patientinnen (die dies als Klatschinteresse empfanden) ebenso wie die Arbeiterinnen in den Human-Relations-Experimenten des frühen Managements, die sich ausdrücklich mit den menschlichen Beziehungen am Arbeitsplatz beschäftigten. Dort taucht der Klatsch der Arbeiterinnen wieder – wie bei den Wäscherinnen zu Beginn als Sprechen bei der Arbeit – auf und wurde vom Management massiv bekämpft.

Gerade die Geschichte der Aufklärung zeigt, so Althans, dass auch Männer von jeher exzessiv klatschen. Dabei wird aber auch deutlich, dass sie sich das für den Klatsch so wichtige Genießen systmatisch aberzogen haben, um die Fiktion des seriösen Sprechens, einer auf Fakten beruhenden Informationskultur zu erzeugen, auf der die Finanz- und Geschäftswelt gründet. Und eben das macht ihrer Meinung nach den Klatsch im Internet gefährlich; denn der Klatschaspekt von Information ist nicht mehr identifizierbar. Althans Fazit: Identifizierbar ist der Klatsch nur durch den speziellen Genuss, der mit ihm einher geht – und den erkennt man nur beim Klatsch von Frauen.

Birgit Althans/Anne Schillo

Birgit Althans: Der Klatsch der Frauen und das Sprechen bei der Arbeit, Campus Verlag, Frankfurt/New York, ISBN: 3-593-36633-9, 473 Seiten, 78,- DM

    Zum Anfang des Artikels...