Der Wissenschaftsrat hat in seiner Studie festgestellt, dass die Studienzeiten an der FU in den meisten Fächern überdurchschnittlich lang sind. Was sind Ihrer Meinung nach die Gründe dafür?
Dafür lässt sich nicht ein einfacher Grund nennen, man muss schon die Fächergruppen unterscheiden, denke ich. Problematisch sieht es in einigen Lehramtsfächern aus. In den Bereichen, wo ein relativ reglementierter Studienablauf vorgesehen ist, also etwa Zahnmedizin, Humanmedizin, Veterinärmedizin und so weiter, entsprechen die Studienzeiten in etwa den Regelstudienzeiten. Im Mittelfeld liegen die Geistes- und Sozialwissenschaften.
Sehen Sie Handlungsbedarf?
Aber entschieden! Ich würde das allerdings gerne ein bisschen differenzieren: Es geht mir nicht darum zu sagen, lang wäre in solchen Fällen immer schlecht. Es gibt bestimmte wichtige Gründe, weshalb da Handlungsbedarf besteht. Ein notorisches Argument ist: Unsere Absolventen kommen in der Regel zu spät auf den Arbeitsmarkt. Die Industrie will mit solchen alten Zauseln nichts Rechtes mehr anfangen. Ein anderer wichtiger Anlass, etwas zu tun, ist in Berlin aber auch, dass in der Zuweisung der Finanzen für die Hochschulen mittlerweile sogenannte Leistungsparameter eine Rolle spielen. Ein wichtiger Leistungsparameter ist zum Beispiel die faktische Studienzeit im Verhältnis zur Regelstudienzeit und die Anzahl der Absolventen. Also die ganzen quantitativen Parameter des Studienerfolgs. Die sagen nun nicht so schrecklich viel über die Qualität des Studiums aus. Es gibt immer das Lob für die angelsächsischen Studierenden, dass sie relativ bündig studieren. Von den Kollegen aus diesen Ländern hört man aber auch häufig den neiderfüllten Kommentar, dass sie gern so selbständige und so umfassend gebildete junge Leute wie bei uns hätten.
Wo liegen denn die Ursachen dafür, dass gerade in den Geistes- und Kulturwissenschaften in einer Reihe von Studiengängen bei uns bis zu fünf Semester länger studiert wird als an den schnellsten Hochschulen in Deutschland? Ist das ein hausgemachtes Problem: Haben wir unsere Studiengänge vielleicht nicht angemessen organisiert und strukturiert?
Da gibt es sicher mehrere Faktoren. Ein wichtiger Faktor ist ein relativ hohes Anspruchsniveau unter den Studierenden und den Dozierenden. Gerade in den Geisteswissenschaften herrscht so ein bisschen das Klima: Man lernt nie aus und man kann eigentlich nie genug lernen und dazulernen. Ein weiterer Grund ist, dass insbesondere im Hauptstudium relativ wenig Struktur vorgegeben wird. Auffällig ist ja ich spreche jetzt für meinen Bereich Philosophie/Geisteswissenschaften dass in der Regel das Grundstudium relativ zügig durchlaufen wird. Erst nach der Zwischenprüfung kommt die große Hängepartie. Das liegt zu großen Teilen daran, dass das Angebot im Hauptstudium nicht ersichtlich genug auf mögliche Abschlüsse hin angeboten wird. Auch das Betreuungsverhältnis ist nicht optimal. Es ist schwierig, in einem Seminar mit 60 Teilnehmern alle Arbeiten sorgfältig zu korrigieren und zugleich persönlichen Kontakt zu den jungen Menschen zu unterhalten.
Welche Maßnahmen schlagen Sie vor, um die Studienorganisation zu verbessern?
Es gibt verschiedene Vorstellungen, die in den Fachbereichen entwickelt wurden. Dazu gehören Mentorenmodelle, Verlängerung und Intensivierung der Beratungstätigkeit, stärkere Strukturierung der Angebote im Hauptstudium, gezieltere Abschlussberatung. Eine andere Maßnahme eher technischer Art ist ebenfalls vielversprechend: Geblockte Prüfungszeiten. Wenn es klar wäre, wie das in manchen Bereichen schon üblich ist, dass die erste Semesterwoche Prüfungszeit ist, gäbe es mehr Übersichtlichkeit und Verlässlichkeit.
Was erwarten Sie von den neuen Bachelor- und Master-Studiengängen?
Wenn sie intelligent modularisiert sind, erwarte ich davon, gerade weil sie mit einem studienbegleitenden Prüfungssystem verbunden sind, eine deutliche Verkürzung der Studienzeiten. Insgesamt erhoffe ich mir, dass keine Qualitätsreduktion des Studiums eintritt, sondern vielmehr eine größere Verbindlichkeit und auch die Möglichkeit, etappenweise die Prüfungsleistungen abzuarbeiten.
Wie stehen Sie zu Studiengebühren?
Ich denke, in einer Gesellschaft, die so viel privaten Reichtum akkumuliert hat, der allerdings nicht gleich verteilt ist, ist es legitim darüber nachzudenken, ob nicht Studiengebühren sinnvoll wären. Das macht aber nur unter zwei Bedingungen Sinn. Zum einen dürfen keine sozialen Härten geschaffen werden. Es ist im Moment schon so, dass der Anteil der Studierenden aus den sogenannten schwächeren sozialen Schichten immer mehr zurückgeht. Dieser Trend sollte durch Studiengebühren keinesfalls befördert werden. Eine Gesellschaft braucht die Möglichkeit, alle intellektuellen Kapazitäten auszuschöpfen. Die zweite Bedingung ist die, dass Studiengebühren nur dann Sinn machen, wenn die Universität diese Gebühren auch selber zur Verbesserung der Lehre und der Studienbedingungen nutzen kann. Das allerdings ist nach meinem Wissen nicht gesichert.
An der TU Dresden werden Germanistik-Studierende, die nach fünf Semestern keine Zwischenprüfung und nach 13 Semestern noch kein Examen haben, gnadenlos exmatrikuliert. Halten Sie ein solches System für sinnvoll?
Also nach fünf Semestern ohne Zwischenprüfung zu exmatrikulieren, halte ich für ziemlich absonderlich. Die meisten und in der Regel nicht immer die schlechtesten Studierenden brauchen mindestens das erste Semester zur Orientierung. Danach ist man ganz fix bei fünf Semestern. Dann eine Strafaktion zu starten und einfach zu exmatrikulieren, finde ich unsinnig. Auf der anderen Seite denke ich, dass es sich eine Universität auch nicht bieten lassen kann, wenn eine große Anzahl von ich sag es mal despektierlich Spesenrittern an der Universität eingeschrieben ist, die bei der leistungsbezogenen Mittelvergabe durch den Senator mitgezählt wird und uns durchaus was kostet. Solchen Personen sollte man Sanktionen durchaus zumuten.
Kann die Betreuung der Studierenden nicht recht schnell durch eine Erweiterung der knappen Sprechzeiten bei den Professoren verbessert werden?
Also die Sprechzeiten sind nicht in jedem Falle knapp. Ich sehe da aber keinen prinzipiellen Hinderungsgrund. Das müsste doch leicht machbar sein. Wir sind ja gerade mit der Verbesserung der Lehre im Rahmen des Lehrevaluationsberichts befasst und das wäre eine Anregung.
In NRW gibt es eine Präsenzpflicht für Professoren. Dort können die Studierenden jetzt mehr als früher davon ausgehen, dass ihr Professor an der Uni erreichbar ist. Gibt es nachvollziehbare Einwände von Professorenseite gegen solch eine Regelung?
Ich persönlich hätte nichts dagegen, weil ich die Marotte entwickelt hatte, immer im Institut zu arbeiten, zumindest in der sogenannten Kernarbeitszeit, weil man auch als Geisteswissenschaftlerin auf Technik angewiesen sein kann. Viele arbeiten in Bibliotheken, das ist deren Arbeitsmittel, und die können sie nun wirklich nicht zur Präsenz vergattern. Aber im flexiblen Rahmen etwas mehr Präsenz und längere Beratungs- und Sprechstundenzeiten einzuführen, wäre sicherlich eine Anregung, die man mit Nachdruck weitergeben könnte.
Der französische Soziologe Pierre Bourdieu hat von einer heimlichen Komplizenschaft von Studierenden und Professoren gesprochen, nach der auf beiden Seiten der Grundsatz gilt: Forderst Du nichts von mir, fordere ich auch nichts von dir. In der Presse ist dieses Erklärungsmuster in jüngster Zeit wieder aufgetaucht. Wie stehen Sie dazu?
Das ist eine windschnittige Formulierung, die jeder sachlichen Grundlage entbehrt. Was soll ich mir denn darunter vorstellen, unter heimlicher Komplizenschaft? Die Professoren wären ja horndumm, wollten sie sich in solche Komplizenschaft hineinbegeben, denn sie lernen ja von den Studierenden: Zum Beispiel, wie sie ihre Ideen und ihr Wissen strukturiert rüberbringen. Das ist ein wunderbares Feedback, das man bekommt. Ich kann mir schwer vorstellen, dass diese Komplizenschaft durchgängig wäre. Den Tenor, dass man eigentlich nichts miteinander zu tun haben will, halte ich für ziemlich abseitig.
Gibt es auch Defizite auf Seiten der Studierenden, die lange Studienzeiten bedingen?
Ich würde das nicht Defizit nennen. Studierende geraten häufig, aus welchen Gründen auch immer, in persönliche Krisen und haben dann natürlich große Schwierigkeiten, das Studium zu bewältigen. Häufig sind es überzogene Selbstansprüche, gepaart mit dem Ausstieg aus der aktiven Beteiligung, mit Schreibschwierigkeiten und, und, und. Manche sind auch einfach schlicht überfordert. Denen wurde nicht rechtzeitig gesteckt: Ich glaube, Studium ist nichts für Dich. Da glaube ich, sollten wir auch deutlich tätig werden und die Professoren ermuntern, die Zwischen- oder Vordiplomprüfungen auch als Anlässe zu nutzen, diesen Studierenden alternative Ausbildungswege zu empfehlen.
Auch die Studienzeiten in den Lehramtsfächern sind an der FU recht lang. Was wird dort in nächster Zeit geschehen?
Was die Senatsverwaltung offenkundig tun wird, ist die überaus schleppenden Prüfungsabläufe zu durchforsten. Es dauert mindestens ein Jahr, bis so ein Staatsexamen abgeschlossen ist. Auch muss man schauen, ob die relativ hohen Anforderungen in den Lehramtsstudiengängen nicht neu überdacht werden können. Man sollte versuchen, auch die Lehrerausbildung in die gestuften Studiengänge (Bachelor- und Masterstudiengänge, Anm. der Red.) einzubeziehen. Das wäre sicherlich eine sehr förderliche Maßnahme.
Trotz der schlechten Zahlen: Was spricht für die FU Berlin als Studienort?
Ein auch von externen Gutachtern immer wieder hochgelobtes Faktum ist, dass wir in vielen Bereichen ungewöhnlich selbstständige, ungewöhnlich kritisch denkende und kluge Studierende haben. Auch haben wir nicht allzu wenige engagierte, kritisch denkende Lehrkräfte unter den Professoren, wie im Mittelbau. Die Infrastruktur der FU ist, was Bibliotheken, also Bücherversorgung und so weiter anbelangt, trotz aller Kürzungen vergleichsweise gut. Was die neuen Technologien anbelangt, kann man nur hoffen, dass es demnächst moderner zugehen wird. Da sind wir in vielen Bereichen hoffnungslos veraltet.
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