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FU-Nachrichten 11-12/99
Wissenschaft

Von der Entwicklung neuer Medikamente am Computer
Das virtuelle RNA-Labor oder – Ist die "Nass-Chemie" out?

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Von der Entwicklung neuer Medikamente am Computer


Das virtuelle RNA-Labor oder –
Ist die "Nass-Chemie" out?


von Claudia Kurreck

Ein Labor ist ein Ort für – z.B. medizinische – Experimente. Und was ist ein virtuelles Labor? Phantasie? Oder Zukunftsmusik? Im Konrad-Zuse-Zentrum, Bereich Numerische Mathematik und Visualisierung ist es Wirklichkeit, und dort wird ernsthaft und enthusiastisch die Möglichkeit erprobt, Medikamente am Computer zu entwickeln. Gelingt den Wissenschaftlern dieses Experiment, könnte die oftmals langwierige und kostspielige Forschung vom Labor an den Rechner verlagert werden, wären viel Chemie und quälende Tierversuche zumindest teilweise vermeidbar.

Die Arbeitsgruppe von Professor Dr. Peter Deuflhard, Fachbereich Mathematik und Informatik der FU, arbeitet mit Hochdruck virtuell an der Erforschung von Biomolekülen. In der Abteilung Visualisierung beeindruckt den Besucher eine High-Tech-Computeranlage, wie sie Otto Normalverbraucher kaum zu Gesicht bekommt. In dem völlig abgedunkelten Raum steht neben verschiedenen Computern eine Leinwand – so groß wie im Kino. Vor dieser Leinwand befindet sich im Boden versenkt ein Magnetfeld, über das es nun mit Hilfe von einer Art Joystick möglich ist, das Geschehen auf dem riesigen "Bildschirm" selbst zu bestimmen. Der Benutzer kann in einer simulierten Ribonukleinsäure (RNA) oder anderen Biomolekülen wie in einem großen Labyrinth umherfahren.

Dort werden jetzt die zu untersuchenden Objekte, je nach Bedarf, als zwei- oder dreidimensionales Bild dargestellt. Spätestens beim Aufsetzen der 3D-Brille und der scheinbar direkten Berührung mit den sehr farbigen und bewegten Molekülen hat man den Eindruck, in einem Raumschiff zu sitzen und persönlichen Kontakt mit "Captain Future" aufnehmen zu können. "Ein Kaleidoskop kann nicht schöner sein" meint Dr. Frank Cordes, Physiker und Mitarbeiter in Deuflhards Arbeitsgruppe. Recht hat er, denn was eigentlich nur aus wissenschaftlichem Interesse so bunt dargestellt wird, kann sich auch ästhetisch sehen lassen.

Zu den bisher ungelösten Problemen der molekularen Biophysik und Biochemie gehören die Strukturvorhersage und die Simulation der Faltungsvorgänge von Biomolekülen. Mit Hilfe langer und komplizierter Berechnungen von Winkeln, Abständen, Schwingungen etc. der einzelnen Atome einer RNA soll sich eine räumliche Struktur ergeben, aus der man jede Menge Schlüsse über das Verhalten dieser RNA ziehen kann. Durch spezifische Einfärbungen der Atome nach ihren Eigenschaften – wie z.B. Ladungen (positiv oder negativ) – oder ganzer Nukleinsäuren erhält man einen besseren Überblick über das zu betrachtende Molekül, eben je nach dem, welches Verhalten, welche Bereiche oder welche Eigenschaften gerade untersucht werden sollen.

Ist dann die räumliche Struktur bekannt, können sowohl Faltungs- als auch Bindungseigenschaften studiert werden. Bindet die RNA andere Moleküle, z.B. Viren oder Enzyme und wenn ja, an welchen Stellen? Ist es möglich, durch solche Bindungen bestimmte Prozesse in der Zelle zu blockieren und dadurch Krankheiten zu verhindern? Diese Fragen können dann unter Umständen beantwortet werden. In Computermodellen gewonnene Aussagen über die Wahrscheinlichkeit einer Bindung mit anderen Molekülen sind sehr gute Ergänzungen zu den Erfahrungen aus dem chemischen und biochemischen Labor.

Allerdings können bislang noch nicht alle Bedingungen und Eigenschaften eines Moleküls gleichzeitig am Computer betrachtet werden. Denn in der Natur wandert ein Molekül in der Zelle, d.h., dass sich die chemische Umgebung ständig verändert. Die im Computermodell verlässlich berechenbaren Zeitspannen liegen zur Zeit im Pikosekundenbereich (10-12 sec), was für eine genaue Darstellung dynamischer Vorgänge in der Natur aber immer noch zu kurz ist.

Trotzdem ist das virtuelle Labor eine sehr sinnvolle Einrichtung. Durch interdisziplinäre Zusammenarbeit der Mathematiker und Informatiker mit Physikern, Chemikern, Biochemikern und Biologen ist ein reger Informationsaustausch über die neuesten Forschungsergebnisse gewährleistet.

So hat sich die Arbeitsgruppe um Professor Deuflhard zur Aufgabe gemacht, praxisorientierte Softwarepakete zur Untersuchung von RNAs und anderen Biomolekülen zu entwickeln. Biochemiker sollen so in der Lage sein, ohne komplizierte mathematische Berechnungen, aber mit verlässlichen Computer-Simulationen mehr über molekulare Prozesse an RNA-Systemen in Erfahrung zu bringen.

Und vielleicht wird auch die computergestützte Entwicklung von Medikamenten in naher Zukunft Wirklichkeit werden. Denn mit den Methoden der Strukturvorhersage lassen sich dann Biomoleküle mit verbesserten oder auch neuen Eigenschaften konstruieren. Das Ziel des "drug design" nimmt immer realistischere Formen an. Die Pharmaunternehmen bekunden jedenfalls schon jetzt großes Interesse.