Gegenstände des Forschungsprojekts
Untersucht werden die rechtlichen "Schnittstellen" zwischen Arbeits-, Sozial- und Steuerrecht
einerseits und dem Recht des Ehegattenunterhalts andererseits im Hinblick auf die Vereinbarkeit mit der
Gleichberechtigung der Geschlechter und dem aktiven Gleichstellungsgebot (Art. 3 Abs. 2 GG). Aus der
kritischen Analyse der rechtlichen Schnittstellenregelungen - vor allem am Maßstab des Verbots der
mittelbaren Diskriminierung - sollen Ansatzpunkte für eine Reform gefunden und damit Wege zur
Überwindung des "männlichen Ernährermodells" in der deutschen Existenzsicherung aufgezeigt werden.
Also im Detail:
- Die rechtlichen und politischen Grundlagen des "starken" deutschen Ernährermodells
- Die Kritik an den gegenwärtigen Strukturen aus der Perspektive der Geschlechtergleichstellung
- Die reale Sicherungsfunktion von Ehegattenunterhalt und ihre Defizite, Auswirkungen der
Ehegattensubsidiarität für die Erwerbsbeteiligung und eigenständige Existenzsicherung von Frauen
- Gesellschaftliche Wahrnehmungsmuster von Ehegattenunterhalt, sozialrechtlichem Subsidiaritätsprinzip
und den damit verbundenen privaten Solidaritätserwartungen
- Überwindung des männlichen Ernährermodells durch Reformen an den "Schnittstellen" des privaten
Unterhalts mit den Bereichen des Sozial-, Steuer- und Arbeitsrechts
Die rechtlichen "Schnittstellen" von Ehegattenunterhalt mit angrenzenden Rechtsgebieten
(Steuerrecht, Arbeitsrecht, Sozialrecht)
Bei der Untersuchung der Frage, wie sich das Ernährermodell im deutschen Recht widerspiegelt, stößt
man darauf, dass das Unterhaltsrecht im Sozialrecht, Arbeitsrecht und Steuerrecht berücksichtigt wird.
Wir möchten zeigen, dass trotz des Anspruchs der Geschlechtsneutralität des heutigen Rechts spezifische
Rollenbilder in den Details der Regelung weiterhin vorausgesetzt und fortgeschrieben werden. Ausgangspunkt
unserer Untersuchung ist das Ehegattenunterhaltsrecht.
Was ist Unterhalt? mehr...
Kontext/Problemlage
Frauen sind im deutschen System der Existenzsicherung deutlich weniger als Männer in das Erwerbssystem
integriert und daher in viel höherem Maße auf Ehegattenunterhalt und/oder subsidiäre Sozialleistungen
angewiesen. Darin ist eine rechtlich relevante Benachteiligung und ein Hindernis für die Verwirklichung
von Gleichstellung zu vermuten. Das männliche Ernährermodell wird in Deutschland durch eine starke
"Ehezentrierung" in der Existenzsicherung konserviert, also an den Schnittstellen des Unterhaltsrechts
zu Steuer-, Arbeits- und Sozialrecht, auch wenn diese Rechtsgebiete formal geschlechtsneutral erscheinen.
Das lässt sich historisch nachvollziehen, weil im 19. Jahrhundert die Rollen der Ehegatten in patriarchaler
und geschlechtspolarer Weise festgelegt waren und die Ehe als einzige legitime Form des Zusammenlebens
der Geschlechter und der Sexualität galt. Die heutige Rechtsordnung schleppt diese Geschlechtsspezifik
noch immer mit sich herum. Inzwischen hat sich das normative Tauschverhältnis in der Ehe verändert,
beide Ehegatten sind zur Erwerbsarbeit berechtigt und bei Bedarf verpflichtet ebenso wie zur Sorge
für ihre gemeinsamen Kinder. Trotz der normativen Veränderung des Tauschverhältnisses zwischen den
Ehegatten und der "Geschlechtsneutralisierung" des ehelichen Unterhaltsrechts wohnt dem Erwerbs-,
Sozial- und Steuersystem ein Double-Bind-Mechanismus inne, der es Frauen trotz formaler
Geschlechtsneutralität des Rechts nahe legt, in bestimmten Situationen auf die Alternativsicherung über
die Ehe auszuweichen. Sie gelten dann als "versorgt" durch Ehegattenunterhalt. Ausgedrückt wird die
widersprüchliche Beeinflussung vor allem durch die Bevorzugung des männlichen Ernährers im Arbeitsleben,
etwa in Tarifverträgen und bei der Sozialauswahl bei betriebsbedingten Kündigungen, durch die negative
Anreizwirkung des Ehegattensplittings und durch die sozialrechtliche "Ehegattensubsidiarität"
(Nachrangigkeit von Sozialleistungen gegenüber ehelichem oder nachehelichem Unterhalt). Besonders
augenfällig wird die geschlechtsspezifische Wirkung der Ehegattensubsidiarität derzeit im Falle der
Zusammenlegung von Arbeitslosenhilfe und Sozialhilfe, besser bekannt als "Hartz IV". Schon 2003 wurde
die Anrechnung von Partnereinkommen verstärkt, nunmehr ergibt sich durch die Umstellung auf den
bedarfsorientierten Berechnungsmodus des neuen Arbeitslosengeldes II eine fast vollständige Anrechnung
von Partnereinkommen. Dadurch verlieren erheblich mehr Frauen als Männer jegliche Ansprüche auf die
neue Grundsicherung für Erwerbsfähige bei Langzeitarbeitslosigkeit.
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Fragestellung
In dem Projekt sollen die deutschen Regelungsstrukturen an den Schnittstellen von Familienrecht,
Arbeitsrecht, Steuer- und Sozialrecht unter geschlechterpolitischen Aspekten untersucht werden. Normativ
geht es darum festzustellen, inwieweit die im deutschen System relativ starke Verweisung von Frauen
auf die (Alternativ-)Versorgung durch Unterhalt mittelbar diskriminierend wirkt und gegen höherrangige
Normen verstößt. Daran schließt sich die Frage nach legislativer oder justizieller Reform bzw. Abhilfe
an. Sozialwissenschaftlich soll untersucht werden, inwieweit der soziale Wandel in den Einstellungen
und Arrangements von Frauen und Männern im Hinblick auf das Spannungsverhältnis zwischen eigenständiger
Existenzsicherung und ehelicher Unterhaltssolidarität gesetzliche Reformen nahe legt und wie diese
aussehen könnten. Dabei sind - soweit möglich - auch die volkswirtschaftlichen Veränderungsdesiderate
zu skizzieren, um Unterhalt durch Erwerbseinkommen zu ersetzen.
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Untersuchungsmethoden
Das Projekt ist interdisziplinär angelegt, d.h. es wird im Zusammenspiel juristischer,
sozialwissenschaftlicher und wirtschaftswissenschaftlicher Perspektiven und Methoden, bearbeitet.
Die juristisch-normativen Fragestellungen werden rechtsdogmatisch-hermeneutisch bearbeitet,
Rechtstatsachen und strukturelle Auswirkungen sind mit soziologischen Methoden zu erfassen, der
Reformbedarf erfordert eine politikwissenschaftliche Vorgehensweise. Die empirischen Untersuchungsteile
sind überwiegend sekundäranalytisch angelegt, die Einstellungen von Paaren zu ehelicher Solidarität
werden dagegen durch eigene qualitative Interviews der Projektbearbeiterinnen mit Betroffenen der Hartz
IV-Reform untersucht, hier geht es darum, wie sie die Zusammenlegung von Arbeitslosenhilfe und Sozialhilfe
und die damit einhergehende verschärfte Anrechnung von Partnereinkommen subjektiv wahrnehmen. Die
ökonometrischen Teile werden von einer dem Projekt mittels Werkvertrag verbundenen Wissenschaftlerin
bearbeitet, die sich vor allem mit den sozialstatistischen und ökonomischen Aspekten der Unterhaltssituation
beschäftigt.
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