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[Jedes Jahr wieder: Die Qual der Wahl – Was schenke ich zum Fest?]

[Dr. Friedrich Rost]

Dr. Friedrich Rost (53) arbeitet als Erzeihungswissenschaftler an der FU. Er forscht seit rund zwanzig Jahren über die Kunst der Gabe. Er aht 1993 über die "Theorie des Schenkens" promoviert. Das Interview führte Ulrike von Leszczynski.

Um es gleich klar zu sagen: Wir führen hier ein wissenschaftliches Gespräch. Wie definieren Sie Schenken?

Es ist eine Sonderform des Gebens und soziales Handeln par excellence. Es ist ein rituelles Überreichen in drei Phasen: einem Davor, dem Übergabeakt selbst und auch einem Danach. Das Interessante ist, dass absolut spontanes Schenken ziemlich selten ist. Es ist vielmehr ein bewusster Akt, der institutionalisiert wurde. Schenken ist also etwas, das zu ganz bestimmten Anlässen Übergänge symbolisiert und diese kenntlich macht.

Warum gibt es überhaupt Geschenke?

Schenken hat einen anthropologischen Hintergrund. Es hängt mit dem Abgeben von Nahrung zusammen. Das war eine Notwendigkeit, um in der Gruppe überleben zu können. Wobei das Teilen von Nahrung in allen Kulturen als ehrenhaft angesehen wird, aber es war noch nichts überdimensional Gutes. Es war kulturell selbstverständlich für die Gemeinschaft, ja selbst Fremden gegenüber. Viele Kulturen lieben aber nicht den Verschwender, der mit seinen Ressourcen zu großzügig umgeht und dann der Gemeinschaft zur Last fällt.

Dann kannten schon die Steinzeit-Menschen nette Gaben?

Seit ich im vergangenen Jahr gelesen habe, dass die Neandertaler Schmuck kannten, halte ich das für möglich. Den haben die nach archäologischen Vermutungen wohl auch verschenkt. Aus dem antiken Griechenland und aus der Römerzeit gibt es viele Zeugnisse für das Schenken. Vielleicht schlummern in den Archiven noch ältere Überraschungen: Viele Papyrusrollen im Ägyptischen Museum in Berlin sind ja noch gar nicht übersetzt. Die älteste schriftliche Quelle, in der sogar von Geschenkpapier die Rede ist und die ich kenne, stammt aus China, aus dem Jahr 12 vor Christus. Da hat die Kaiserin Chao ihrer Rivalin, einer Konkubine, eine Gabe bringen lassen, eingewickelt in rotes Papier. In China symbolisiert die Farbe Rot ja Glück. Der Konkubine hat das aber offensichtlich kein Glück gebracht, in dem Geschenk war nämlich... Gift.

Zur Kunst der Gabe gehört also eine gute Recherche?

Ja, und zwar das ganze Jahr über, nicht nur kurz vor Weihnachten oder vor einem Geburtstag. Recherche bedeutet, Menschen, die uns wichtig sind, zu beobachten, ihnen gut zuzuhören und uns ihre Wünsche, Neigungen oder Hobbys dann auch zu merken. Mich stören ein wenig diese ganzen Etikette-Ratgeber, auch wenn die ja nicht mehr ganz so moralinsauer sind wie früher. Mir fehlt darin der Anreiz, die Leser zum Nachdenken über das Schenken anzuregen. Es wird vielmehr eine Handlungsanweisung von diesen Werken erwartet und dann auch meistens gegeben. Das hilft aber auch nicht wirklich weiter.

Oft passieren Fehler. Das wird meistens peinlich ...

Problematisch wird es immer dann, wenn der Schenkende ausschließlich eigene Wünsche mit seiner Gabe verbindet. Da kauft dann zum Beispiel ein Mann seiner Frau ein viel zu enges Kleid, so mit dem Hintersinn: Nun nimm doch endlich mal ab, damit du da reinpasst. Oder es gibt den Mann, der Reizwäsche verschenkt, und das können viele Frauen ja überhaupt nicht leiden. Sie fragen sich dann, ob sie für ihren Mann nur ein Lustobjekt sind.

Ist Gedankenlosigkeit auch eine Schenk-Sünde?

Auf jeden Fall! Wenn ich zum Beispiel einem trockenen Alkoholiker in Gedankenlosigkeit ein gutes Fläschchen kredenze, ist das mit Sicherheit
eine Todsünde. Darüber können gute Beziehungen zerbrechen. Mir ist das selbst mal passiert, obwohl ich mich ja gut mit dem Schenken auskenne und auch oft um Rat gefragt werde, von der Familie, von Freunden oder Kollegen. Aber ich wusste eben nur, dass dieser Mensch gerne etwas trank, aber nicht, dass er ein massives Alkoholproblem hatte. Das tut mir heute noch leid, und das verzeihe ich mir auch nicht.

Schenken Männer und Frauen anders?

Ja, ganz deutlich. Frauen berücksichtigen wesentlich mehr die Beziehung. Sie sind auch kreativer in dem, was sie aussuchen. Frauen legen meist in Geschenke viel Gefühl hinein. Doch das bedeutet auch, dass sie manchmal enttäuscht sind - sowohl, wenn sie eine Gabe erhalten als auch, wenn ihre Geschenke nicht so gut ankommen. Da haben sie es eben viel schwerer, weil sie sich ja auch mehr Mühe geben als die Männer. Über solche Dinge gibt es aber keine gesicherten empirischen Ergebnisse, das sind eher Erfahrungswerte. Gesichert ist aber, dass Männer wesentlich kurzfristiger Geschenke einkaufen. Sie nehmen auch oft das Erstbeste, weil sie keine Zeit mehr haben und auf keinen Fall ohne ein Präsent da stehen wollen. Frauen planen das wesentlich besser und sind einfach einfallsreicher.

Wie schenke ich denn nun gut und richtig?

Tja, das ist eine normierende Frage, die hat die Wissenschaft ja nicht so gern. Doch es gibt – auch aus wissenschaftlicher Sicht – drei Typen des Schenkens in unserem Kulturkreis: Ursprünglich gaben die Menschen etwas von sich und wollten das auch symbolisieren. Zum Beispiel wie in der Martins-Legende mit getragener Kleidung. Mit dem Übergang zur Warenökonomie – also dem Kauf von Geschenken – suchten sie dann etwas Passendes für einen bestimmten Menschen. Da ist dann die Individualisierung schon sehr deutlich zu spüren. Der jüngste Trend ist das beziehungsorientierte Geschenk. Bei dem wird deutlich, dass wir egoistisch und nicht nur altruistisch sind. Da sagen wir: Wir machen etwas gemeinsam, was auch mir gefällt, also Essen gehen oder ab ins Kino, Theater oder in die Oper.

Ist Weihnachten in Deutschland immer noch das Hauptgeschenkfest?

Auf jeden Fall, mit ungefähr 12 Milliarden Euro Umsatz, die zusätzlich für Geschenke und Essen ausgegeben werden. Für die anderen Gaben während des Jahres werden insgesamt nur drei Milliarden Euro auf den Tisch gelegt. Die ganze Weihnachts-Schenkerei hat sich aber erst nach dem zweiten Weltkrieg so richtig ausgeweitet. In Westdeutschland kam erst mit dem Wirtschaftswunder in den 50er und 60er Jahren die Fresszeit und Konsumorgie. Da hat man neue Geschenkbeziehungen geknüpft und richtige Wahlverwandtschaften konstruiert. Nicht nur die beste Freundin kriegte etwas, sondern auch die Nachbarin. Da entstehen Netzwerke, die aber gerade an Weihnachten sehr teuer werden können, weil das so ausufert. Meine Theorie ist, dass dieses Ausufern eng mit dem 13. Monatsgehalt zusammenhängt, und das gab es tariflich erst seit den 60er Jahren in großem Stil. Es gibt aber inzwischen, in Zeiten knapperer Kassen, einen kleinen gegenläufiger Trend. Rund 20 Prozent der Erwachsenen schenken sich Weihnachten nichts mehr. Da gibt es auch keine Konflikte, wenn das gegenseitig besprochen ist. Es ist aber nicht ratsam, der Großelterngeneration die Geschenke zu verweigern. Das kann eine sehr schmerzhafte Sache für alte Menschen sein. Bei einem kargen Gabentisch ist die Vereinsamung spürbarer. Dass Kinder Geschenke bekommen, steht dagegen bei den meisten überhaupt nicht in Frage.

Und was war das schönste Geschenk, das Sie bekommen haben?

Das waren Theaterkarten für das Stück "Kunst" von Jasmina Reza. Da habe ich nach einer langen Phase als Theatermuffel wieder Lust auf das Schauspiel bekommen. Für dieses Geschenk bin ich noch immer sehr dankbar.

Foto: Außerhofer

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