[Freie Universität Berlin] [FU-Nachrichten - Zeitung der Freien Universität Berlin]
 
  
TitelAktuellCommunityStudentenWissenschaftLeuteVermischtes
FU Nachrichten HomeFU-Nachrichten ArchivFU Nachrichten SucheLeserbrief an die RedaktionImpressumHomepage der FU Pressestelle
Vorheriger Artikel...
Nächster Artikel...

[Eines der wichtigsten Institute für Altorientalistik in Deutschland reformiert sich neu]

Darstellung des Sonnengottes in seinem Heiligtum.

Die beiden trennt nur ein kurzer Gang. Auf der einen Seite befindet sich das Arbeitszimmer von Eva Canzik-Kirchbaum, auf der anderen Seite das von Jörg Klinger. Beide sind erst seit Kurzem Professoren am Institut für Altorientalistik im Hüttenweg 7. Beide halten Berlin auf Grund der einmaligen Museumslage für den besten Ort in Deutschland Altorientalistik zu betreiben. Und beide sind der Meinung, dass die Freie Universität die beste Universität für ihr Fach Deutschland weit ist. "Wo gibt es in Deutschland sonst ein Institut, in dem die Archäologie des Alten Orients im gleichen Haus sitzen?", fragt Jörg Klinger und weiß die Antwort.

"Und wo gibt es in Deutschland sonst ein Institut, bei dem die Archäologie und Philologie des Alten Orients gleichberechtigt sind", fragt Eva Canzik-Kirchbaum und weiß die Antwort auch. Beide sind fasziniert, wie sich das Denken der Menschen allmählich verschriftlicht hat und beide wollen vor allem den Prozess des Wissenserwerbs in altorientalischen Gesellschaften erforschen, die lange vor den Griechen und Römern über ein feines Netzwerk von Wissenstransfer verfügt. In einem Punkt unterscheiden sich die beiden Neuberufenen allerdings, was wiederum der Altorientalistik zu gute kommt: Eva Canzik-Kirchbaum forscht über die Assyrer, Jörg Klinger über die Hethiter. Und da die Hethiter vor den Assyrern lebten, besuchen wir zunächst Jörg Klinger in seinem Arbeitszimmer.

Jörg Klinger ist Überzeugungstäter, dessen wissenschaftliche Leidenschaft der Keilschrift und der Kulturgeschichte Vorderasiens im zweiten vorchristlichen Jahrtausend gilt. Mit der Berufung an die Freie Universität realisiert sich Klingers Traum. „Berlin ist für meine Forschung das absolute non plus ultra“, erzählt er begeistert. Auch für seine Frau, die in Lateinamerikanistik habilitiert, ist der Umzug auf Grund der exzellenten Forschungsmöglichkeiten in diesem Gebiet, ein echtes Glück.

[Jörg Klinger]Zur Altorientalistik kam der Vater eines Sohnes eher durch Zufall. Zunächst studierte er Alte Geschichte und Ägyptologie in Konstanz, später an der Ruhr Universität Bochum. Doch schon bald begegnete ihm das Volk, das ihn nicht mehr loslassen sollte: Die Hethiter. „Drei Jahrtausende lang gab es in Kleinasien einen wunderbar funktionierenden Wissenstransfer zwischen Völkern unterschiedlicher Sprachen“, erzählt Klinger. So habe beispielsweise ein Fürst aus Westkleinasien auf Akkadisch an den Pharao geschrieben mit der Bitte, ihm in Hethitisch zu antworten, was das Schreibbüro des Pharaos vor kein Problem stellte. Kleinasien umfaßte damals einen heute kaum mehr vorstellbaren Kulturraum von dem rauen Gebirge im Norden, bis hin zu Flußlandschaften, Wüste und Meer. Jedes Volk hatte dadurch mit anderen Schwierigkeiten zu kämpfen und suchte Lösungen bei anderen Völkern denen es ähnlich ging. „Mich fasziniert wie Menschen sich damals verständigt haben und wie Wissen angehäuft wurde, vor allem aber welches hohes Maß an Geschichtsbewußtsein und Mythen damals bestand“, sagt Klinger.

Seine Forschung betreibt der 44-Jährige mit Quellen, das heißt mit Originaltexten, die vor ihm oft dreitausend Jahre niemand gelesen hat. Weltweit gibt es rund 20.000 bis 25.000 hethitische Textfunde, die vor allem in der Mainzer Akademie der Wissenschaften – wo Klinger zuvor an einem Publikationsprojekt arbeitete – und im Museum in Ankara lagern. Da Ton ein „billiges“, extrem haltbares Material ist, haben sich viele Texte – von Verträgen bis hin zu Gebeten – erhalten. Jeder Kleinfürst besaß ein gut funktionierendes Schreibbüro.

Jeder Schreiber prägte durch seinen eigenen Schreibstil den Stil der Kanzlei. Anhand der eigenen Handschrift der Keilschrifttexte können Texte besser als noch vor fünfzig Jahren zeitlich zugeordnet werden. Im Institut will Klinger eine große Bilddatenbank für Keilschriften aufbauen, um die Studierenden gleich mit Originaltexten zu konfrontieren. Wie seine Kollegin Eva Canzik-Kirchbaum hält Klinger profunde philologische Kenntnisse der Studierenden für unerläßlich, um die Kulturlandschaft des Alten Orients zu verstehen. Der Troja-Spezialist Klinger arbeitet deshalb schon seit längerem an einem Lehrbuch der hethitischen Sprache. Besonders fasziniert ihn die Mehrsprachigkeit antiker Völker, der er schon in seiner Dissertation über das verschwundene Volk der Hathiter nachgegangen ist. "Die Hathiter lebten vor den Hethitern, die ihre Kultur, ihre Religion, ihren Totenkult übernommen haben", sagt Klinger, nur da das Volk noch keine Schriftsprache entwickelt hatte, verschwand es für Jahrtausende aus dem menschlichen Gedächtnis. Über die Rezeption hethitischen Gedankenguts in Mesopotamien hat Klinger habilitiert und diese These in Schultexten, Gebeten und klassischen Epen nachgewiesen. Für altorientalische Gesellschaften war es selbstverständlich, Rituale und Kunstfertigkeiten von anderen Völkern zu übernehmen. In seiner Habilitation weist Klinger an zahlreichen Gebeten, Schultexten und klassischen Epen nach, wie in Mesopotamien hethitsche Texte rezipiert wurden und welche Achtung die Völker untereinander vor dem Wissen und der Kultur anderer Völker hatten.

Im Zimmer gegenüber denkt Eva Canzik ähnlich. Auch sie ist fasziniert, welche "unglaubliche Durchschlagkraft" die Schrift hat und interessiert sich dafür, wie altorientalische Völker wie die Assyrer lange vor den Griechen und Römern auf hohem Niveau philosophiert haben, juristische Texte verfassten und komplizierte Kulte entwickelten. "Das Material zwingt uns zur Interdisziplinarität", erzählt die Tübingerin. Im Grunde müssten Altorientalisten etwas von antiker Medizin, Philosophie und Jura verstehen, um die Texte richtig deuten zu können. Intensive philologische Studien betrieb Eva Canzik-Kirchbaum in den vergangenen Jahren an akkadisch-sumerischen Texten aus den Palastwerkstätten, die aus dem Zweistromland aus der Zeit von 1400 bis 1100 v. Chr. stammen. "Aus den Keiltafeln läßt sich lesen, wie die Könige damals ihre Kriege finanzierten, was mit der Beute passierte und wie gerüstet die Krieger in die Schlacht zogen", erzählt Eva Canzik-Kirchbaum, die besonders die Kulturgeschichte des Alten Orients fasziniert.

Ursprünglich hat Eva Canzik-Kirchbaum in Tübingen mit klassischer Archäologie angefangen, was ihr auf Dauer aber zu eng war und nicht die Breite der Altorientalistik bot. Nach einem Stipendienjahr in Rom und einem Streiksemester an der Freien Universität in Berlin, machte Eva Canzik-Kirchbaum in Tübingen Magister. Unterstützt von der Gerda-Henkel-Stiftung promovierte sie in Tübingen und kam schließlich mit einer Assistenz in der Tasche an die Freie Universität, wo sie bei Prof. Dr. Johannes Renger habilitierte und anschließend drei Jahre am Helmholtz-Zentrum der HU tätig war.
"Ohne meine Familie wäre ich nicht so weit gekommen", sagt die Mutter von zwei Kindern, im Alter von neun und elf. Schon früh hätten ihre beiden Kinder gelernt, sich selbst Ravioli warm zu machen, sie gleichzeitig aber erzogen, die Familienzeiten wie den Sonntag einzuhalten. Auch ohne ihren Mann wäre eine derart schnelle wissenschaftliche Karriere mit Familienpause kaum zu realisieren gewesen. So sei ihr Mann – den sie gerne als ihre "Gegenwart" bezeichnet – fünf Jahre in Erziehungsurlaub gegangen.

Ihre Kinder haben ihr denn auch eines ihrer nächsten Bücher vorgegeben, nämlich ein Kinderbuch zu schreiben, in dem sie endlich erklärt, woran sie mit so großem Fleiß arbeitet. "Der Vergangenheit gegenüber empfinde ich eine große Verantwortung", sagt die zweite Professorin für Altorientalistik in Deutschland. Denn schon immer hätten sich die Völker mit Menschheitsphänomenen wie Macht, Kriegen, Kulturaustausch oder Liebe beschäftigt und oft könne man den Umgang mit bestimmten Dingen aus der Vergangenheit lernen.

[Eva Cancik-Kirschbaum]Damit diese nicht in Vergessenheit gerät, setzt sich die Nachfolgerin von Prof. Renger, intensiv für eine Zusammenarbeit mit Schulen ein. In Tübingen hat die Tochter eines Altphilologen die Entwicklung der Kinderuniversität miterlebt und geht seither selbst regelmäßig in Grundschulen, um Kinder für das Leben alter Völker zu begeistern. "Mir macht das unheimlich viel Spass, die Kinder bei ihrer Entdeckerfreude zu packen", sagt Eva Canzik-Kirchbaum.

Felicitas von Aretin

Fotos: FU Berlin, Nef

 Zum Anfang des Artikels...