[Freie Universität Berlin] [FU-Nachrichten - Zeitung der Freien Universität Berlin]
 
  
TitelAktuellInnenansichtenInnenansichtenLeuteWissenschaftDie Letzte
FU Nachrichten HomeFU-Nachrichten ArchivFU Nachrichten SucheLeserbrief an die RedaktionImpressumHomepage der FU Pressestelle
Vorheriger Artikel...
Nächster Artikel...

[Ausstellung zur Pflanzenwelt im antiken Griechenland im Botanischen Garten]

Bei Festgelagen bekränzten sich die antiken Griechen gern mit intensiv duftendem Goldlack.

Globalisierung ist heute in aller Munde. Das Wort steht für die Entstehung weltweiter Märkte, d. h. für die zunehmende Internationalisierung des Handels und der Kapitalmärkte sowie die internationale Verflechtung der Volkswirtschaften. Im weiteren Sinne heißt aber Globalisierung das weltweite Verbreiten eines Objekts. Die erste Globalisierung war zweifellos unsere eigene, denn alle Menschen sind Afrikaner und haben erst vor vergleichsweise kurzer Zeit den afrikanischen Kontinent verlassen und Asien, Europa, dann Australien und schließlich auch Amerika besiedelt. Die zweite Globalisierung setzte vor etwa zehn Jahrtausenden ein, als der Mensch begann, Kulturpflanzen und Nutztiere auch über größere Entfernungen zu transferieren. Die Grenze von einem Kontinent zum anderen hat er dabei erstmals auf dem Weg vom Nahen Osten nach Südosteuropa überschritten, vom Ostrand des Mittelmeeres in das Gebiet der heutigen Staaten Griechenland und Zypern. Für die Entstehung der griechischen Hochkultur war dieser Transfer die unabdingbare Voraussetzung. Hier setzt die Ausstellung Die Pflanzenwelt im antiken Griechenland ein, die im Botanischen Museum Berlin-Dahlem vom 7. März bis 29. September 2002 stattfindet.

Der Fortschritt kam aus dem Nahen Osten

Emmer, Weizen, Gerste, Erbsen, Linsen, Kichererbsen, Flachs, ebenso wie Schaf, Ziege, Schwein und Rind stammen aus dem Gebiet des so genannten Fruchtbaren Halbmonds, neolithische Siedler brachten sie als Körner bzw. als Tierherden nach Europa. Erst die Überschüsse aus Landwirtschaft und Viehzucht gestatteten Sesshaftwerdung und jene soziale Differenzierung, die für Hochkulturen typisch ist, sowie in weiterer Folge all jene Innovationen, die uns heute selbstverständlich sind – etwa Schrift und Geldwirtschaft.
Der Fruchtbare Halbmond ist ein durch Steppen gekennzeichnetes Gebiet, in dem Regenfeldbau, d. h. Landwirtschaft ohne Bewässerung, möglich ist. Halbmondförmig konfiguriert erstreckt sich dieser Bereich von Israel, Jordanien, Libanon und Syrien im Westen über den Südrand der Türkei im Norden, den Nordosten Iraks bis in den Südwesten Irans im Osten und umschließt die Halbwüsten und Wüsten der arabischen Halbinsel im Süden. Sehr lange, heiße und extrem trockene Sommer wechseln hier mit kurzen, milden und feuchten Wintern ab.

Die berühmteste Münze des antiken Griechenland, die attische Tetradrachme mit der Eule aus dem fünften vorchristlichen Jahrhundert, zeigt links oben einen Zweig eines Olivenbaums.

Die recht großen Früchte des Wilden Emmer wurden in diesem Gebiet bereits in der Altsteinzeit von Menschen gesammelt, auf Mahlsteinen zerrieben, zu Brei verkocht und gegessen. Die ältesten Funde stammen vom See Genezareth [Yam Kinnereth, Bahr et-Tabarije] und sind etwa zwanzig Jahrtausende alt. Da diese Nutzgräser im Fruchtbaren Halbmond in hoher Individuenzahl pro Flächeneinheit anzutreffen sind, gleichzeitig reifen, schnell zu sammeln und lange zu lagern sind, erwiesen sie sich als ideale Nahrungsmittel. Dadurch wurde es erstmals möglich, Nahrungsreserven aufzubauen. Mutationen sind sehr seltene, plötzlich und ungerichtet auftretende genetische Veränderungen, die in allen Lebewesen zu beobachten sind und den entscheidenden Motor der Evolution darstellen. Sehr häufig haben sie katastrophale Folgen, d. h. der Träger der Mutation ist nicht lebens- oder nicht fortpflanzungsfähig.

Dies gilt auch für die einjährigen Nutzgräser des Fruchtbaren Halbmonds. Verliert eine Pflanze durch Mutation die Fähigkeit ihren Fruchtstand, die Ähre, zu zerstreuen weil die Spindel fest bleibt und nicht zerbricht, so ist sie zum Aussterben verurteilt – ihre Nachkommen sind der Konkurrenz der spindelbrüchigen Typen weit unterlegen, denn sie finden kaum neue Standorte, an denen sie keimen können. Gleichzeitig ist eine solche spindelfeste Mutante außerordentlich auffällig: Während alle anderen Fruchtstände zerfallen und verbreitet werden, bleibt hier ein Fruchtstand als Ganzes auf der toten Mutterpflanze erhalten.

Mutierte Gräser waren Grundlage der Hochkulturen

Menschen der Steinzeit müssen diese spindelfesten Mutanten ins Auge gesprungen sein, außerdem waren sie mit einem Griff einzusammeln. Plötzlich war eine bequeme und rasche Ernte möglich, andererseits ging der Zeitgewinn durch den Drusch, das Zerschlagen der Ähren, teilweise wieder verloren. Der alles entscheidende Durchbruch aber war die Aussaat eines Teiles des gedroschenen Ernteguts – nur so konnte die spindelfeste Mutante am Leben erhalten werden. Damit war im Gebiet des Fruchtbaren Halbmonds vor etwa zehn bis zwölf Jahrtausenden der Ackerbau entstanden, gekennzeichnet durch das jährlich sich wiederholende Ausbringen von einem Teil der zerbrochenen Ähren. Nirgendwo sonst war so früh eine solche, alles verändernde Innovation erzielt worden.

Wegen ihrer unschätzbaren Vorteile verbreiteten die Menschen des Fruchtbaren Halbmonds spindelfeste Mutanten von Nutzgräsern in alle Himmelsrichtungen und erreichten dabei eine Wandergeschwindigkeit von durchschnittlich einem Kilometer pro Jahr. Die ältesten Funde in Europa finden sich im Gebiet der heutigen Staaten Griechenland und Zypern, dort wo auf Grundlage dieser Pflanzen Jahrtausende später die ältesten Hochkulturen in Europa entstehen sollten.

Die Früchte des Wilden Emmer wurden im Gebiet des Fruchtbaren Halbmondes schon in der Altsteinzeit von Menschen gesammelt.

Pflanzen verwendete man im antiken Griechenland aber keineswegs nur als Nahrungsmittel, sondern auch als Schmuck. Erst nach der Erfindung von Schrift, die Beschreibungen gestattete, und Metallverarbeitung, die goldene Nachbildungen ermöglichte, liegen so genaue Daten vor, dass Kränze auch verlässlich rekonstruiert werden können. Zwölf verschiedene Kränze sind derzeit im Botanischen Museum zu sehen, darunter Kränze, wie sie den Siegern bei den vier panhellenischen Spielen der griechischen Antike überreicht wurden: In Olympia erhielt man einen Olivenkranz, in Delphi einen Lorbeerkranz, in Nemea einen Selleriekranz und in Isthmia einen Fichtenkranz. Bei Festgelagen bekränzten sich die Teilnehmer, und verwendeten dabei auch intensiv duftende Goldlackkränze.

Nutzpflanzen waren den Menschen des antiken Griechenland so wichtig, dass man sie auch in Münzbildern darstellte. Ein Sellerieblatt ziert etwa einen Didrachmon der Stadt Selinunt im Westen von Sizilien, die berühmteste Münze der Zeit, die attische Tetradrachme mit der Eule, zeigt links oben einen Zweig des Olivenbaums, den die Göttin Athene der Stadt Athen zum Geschenk gemacht hatte. Als Griechenland das Münzbild für die 1-Euro-Münze festlegte, entschied man sich bezeichnenderweise für die Wiedergabe dieser attischen Tetradrachme aus dem fünften vorchristlichen Jahrhundert.

Prof. Dr. Hans-Walter Lack
Der Autor ist Direktor an der Zentraleinrichtung Botanischer Garten und Botanisches Museum Berlin-Dahlem der Freien Universität Berlin

Fotos: BGBM

 Zum Anfang des Artikels...