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[Die Margherita-von-Brentano-Preisträgerin Gudrun Wedel sammelt und erforscht Autobiographien von Frauen]

von Felicitas von Aretin

„Wenn Sie wirklich alt werden wollen, dann rate ich Ihnen, Memoiren zu schreiben“, erzählt die Historikerin Gudrun Wedel lachend. Sie, liebe Leserin, lieber Leser, sollten den Ratschlag der 51-jährigen ernst nehmen: Denn seit dreißig Jahren sammelt Gudrun Wedel Autobiographien von Frauen, die in der Zeit zwischen 1800 und 1900 im deutschsprachigen Raum geboren wurden. „Nehmen Sie die Schauspielerin Rosa Albach-Retty, die 104 Jahre alt geworden ist und amüsant aus ihrem Leben erzählt hat“, sagt Gudrun Wedel. Mit ihrer Begeisterung, Erlebtes in Worte zu fassen, war die Hochbetagte nicht allein: Ihre Tochter Magda Schneider verfasste ebenso Erinnerungen wie Enkelin Romy Schneider.

Bislang hat Gudrun Wedel rund 2000 Autobiographien gelesen. Hausfrauen, Krankenschwestern, Erzieherinnen und Pfarrfrauen griffen ebenso zur Feder wie Schauspielerinnen, Operndiven oder Schriftstellerinnen. „Männer schreiben über ihre Karriere, Frauen über ihre Kindheit und ihre Familie“, resümiert Gudrun Wedel den so genannten „kleinen Unterschied“. Wer einmal schreibt, tut dies oft mehrfach. „Frauen erzählen manchmal erst aus ihrer Kindheit und schreiben später über ihre Ehe oder ihren Beruf als Lehrerin.“ Mit den Folgen kämpft die Historikerin bis heute: Denn viele biographische Skizzen erschienen in Vereinszeitschriften, im Selbstverlag oder in entlegenen Gemeindeblättchen. „Häufig werde ich beim Trödler, im Antiquariat oder auf Flohmärkten fündig“, sagt Gudrun Wedel. Im Laufe der Jahre hat sich die Charlottenburger Altbauwohnung des Ehepaares in eine Oase für Bücherwürmer verwandelt, der selbst das Berliner Zimmer inzwischen zum Opfer gefallen ist. Das Lesen vieler Autobiographien empfindet Gudrun Wedel dabei als „manchmal eher mühselig“. Ein schwerfälliger Stil und ein klischeehaftes Frauenbild verlangen ziemlich viel Ausdauer beim Lesen. Bisweilen sind Memoiren auch geschönt oder „bearbeitet“. „So heißt es von der Schwester von Edith Stein, sie habe Stellen getilgt, in denen sie schlecht wegkam“, erinnert sich Gudrun Wedel. Während Geschichten über die Familie, über Feste und Feiern oder über Lieblingstiere als Sujets beliebt sind, werden Sexualität und Geld meist ausgeblendet. Gefragt nach ihrer Lieblingsbiographie fallen ihr spontan dreißig ein, unter anderem die Memoiren der ersten Berliner Zoodirektorin Katharina Heinroth. „Das war eine starke Frau“, sagt sie, „die gut vernetzt war“. Damit ist ein Stichwort gefallen, das für den verschlungenen Lebensweg von Gudrun Wedel kennzeichnend ist: Netzwerke. Ohne Rückhalt bei ihrem Mann und ihren Freundinnen und Freunden wäre sie nie so weit gekommen. Denn eine finanzielle Absicherung hat das Ehepaar Wedel zeitlebens nicht gehabt. „Meistens hat einer von uns in einem Projekt gearbeitet“, erzählt Gudrun Wedel und empfindet ihre momentane Lage als komfortabel: Derzeit ist auch ihr Mann, der Orientalist Gerhard Wedel, in einem DFG-Projekt beschäftigt. Autobiographien haben Gudrun Wedel schon in ihrer Frankfurter Studienzeit in den sechziger Jahren beschäftigt. Sie studierte Germanistik und Geschichte und hörte Alexander Mitscherlich und Iring Fetscher. 1971 wechselte sie an die Freie Universität und begann nach dem 1. Staatsexamen für das Amt der Studienrätin eine Doktorarbeit bei Rolf Engelsing, die nach dessen Suizid zunächst stagnierte. Seit 1997 ist ihre Arbeit über Autobiographien von Lehrerinnen im 19. Jahrhundert mit der Promotion abgeschlossen, und im vergangenen Jahr erschien zu diesem Thema ihr Buch im Böhlau Verlag.

„Je kleiner die Kinder, desto geringer war das Ansehen der Lehrerinnen“ – so eine der Thesen. „Die meisten Frauen wollten ihre Bildung erweitern und Denken lernen. Überraschend viele haben deshalb Mathematik studiert“, sagt Gudrun Wedel, zumal Frauen in den sogenannten Gesinnungsfächern ohnehin selten unterrichten durften. Häufig haben die Lehrerinnen ihre Profession in den Memoiren nicht im Titel verraten, was auch mit dem geringen sozialen Status der stets Unverheirateten mit niedrigem Einkommen zusammenhing. Mit dem Preisgeld von 20000 Mark möchte sich die Historikerin einen Traum erfüllen: Möglichst alle Autobiographien von Frauen kaufen. Diese sollen – gemeinsam mit Doubletten ihrer eigenen Sammlung – an der Freien Universität zugänglich gemacht werden. Außerdem erstellt sie gerade im Rahmen eines DFG-Projekts ein autobiographisches Nachschlagewerk, das den Zugang zu den Lebenswegen der vielen Frauen öffnet.

 
 
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