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Mit 76 Jahren promovierte Berlins älteste Doktorandin an der FU

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Mit 76 Jahren promovierte Berlins
älteste Doktorandin an der FU
Die Universität wird mir fehlen


"Endlich habe ich es geschafft!" lacht Elisabeth Naumann und rückt ihren Doktorhut ein wenig zur Seite. Die 76-Jährige trägt einen gelben Rosenstrauß in der Hand. Es ist einer der größten Höhepunkte in ihrem Leben. "Ich gratuliere. Sie sind Berlins älteste Doktorandin", sagt Soziologie-Professorin Dr. Gabriele Althaus und umarmt die lachende Grauhaarige. Fünf Studenten versuchen im Büro für Kultursoziologie Sektflaschen zu entkorken. Der langjährige Berater und Doktorvater der Absolventin, Professor Dr. Hans Peter Dreitzel, beglückwünscht sie herzlich zu ihrem Erfolg.

"Es war mein Kindheitstraum. Und jetzt habe ich ihn mir erfüllt", sagt die außergewöhnliche Promovierte. Zehn Jahre hatte sie an ihrem Thema geforscht und über 300 Fotos auf Streifzügen durch die Berliner Kiosklandschaft und auf Reisen aufgenommen. Das Thema ihrer Dissertation: "Der Kiosk. Entdeckungen an einem trivialen Ort. Vom Lustpavillon zum kleinen Konsumtempel." Bei den alten Ägyptern setzt ihre Untersuchung an und gipfelt in der Kioskkultur im Internet. "Mit soviel Liebe und wissenschaftlichem Scharfsinn hat noch niemand über Würstchenbuden und Zeitungskioske geschrieben", sagt Althaus. Demnächst soll das facettenreiche Ergebnis ihrer "Forschungen im Alltäglichen" veröffentlicht werden.

Gleich nach der Pensionierung fasste die ehemalige Deutschlehrerin den Entschluss zu studieren. Nach dem Krieg hatte sie keine Möglichkeit. Es fehlte das Geld und ihr Vater stellte sich dagegen: "Ein Mädchen braucht kein Studium." Sie wurde dann doch Lehrerin, war längere Zeit in der Lehrerausbildung tätig und unterrichtete zuletzt an einer Berliner Gesamtschule als Rektorin und Fachbereichsleiterin. Nach Beendigung ihrer Berufstätigkeit suchte sie nach einem neuen Arbeitsfeld: "Ich wollte noch weiter lernen und aktiv sein."

Als Gasthörerin an der FU machte sie sich vertraut mit den Fragen und Ergebnissen der gerontologischen Forschung. "So erfuhr ich, was mich im noch höheren Alter alles erwarten kann." Sie schrieb sich für das Fach Soziologie ein und besuchte jeden Tag Seminare und Vorlesungen zusammen mit 20-Jährigen, die gerade vom Gymnasium kamen. "Sie war die engagierteste Studentin, die ich kenne", sagt Gabriele Althaus: "Immer wunderbar vorbereitet, mit anregenden Beiträgen und sehr hilfsbereit. In meinem und Hans Peter Dreitzels Kolloquium hat sie ehrenamtlich junge Studenten betreut." Sie stöberte mit Vergnügen in Bibliotheken und Archiven.

Anfangs erntete sie gelegentlich verständnislose Blicke von Freunden und Mitstudenten, doch bei ständigen Treffen in Arbeitsgruppen ist die kommunikative alte Dame schnell zu einer guten Freundin der Jugendlichen geworden. Sie empfing die Kommilitoninnen und Kommilitonen bei einem Kännchen Tee in ihrer geräumigen Wohnung in Wilmersdorf, in der sie mit ihren beiden Freundinnen schon viele Jahre lebt, diskutierte über verschiedene wissenschaftliche Ansätze, über den Studentenstreik, schloss sich aber auch gern den gemeinsamen Kneipenbesuchen an. Daraus sind intensive Freundschaften entstanden.

So sind zehn Jahre schnell vergangen: "Ich nahm mir einfach die Zeit für mein Studium, denn ich habe es nicht mehr eilig. Ich muss nicht in den Beruf einsteigen, muss nicht in der Wissenschaft Karriere machen und ich strebe auch keine Habilitation mehr an. Ich studierte aus Interesse. Und ich studierte für mich. Dennoch bin ich jetzt froh, dass ich mein Ziel erreicht habe. Auch wenn mir die Universität fehlen wird", sagt Frau Naumann.

Als nächstes wird Dr. Naumann sich um ihre Gesundheit kümmern, dann steht die Veröffentlichung ihres Buches an. Elisabeth Naumann: "Und lassen Sie mich zum Schluss sagen: Als älterer Mensch an der Universität zu studieren, ist eine sehr bereichernde und emotional stärkende Erfahrung für mich gewesen, ein lohnendes Abenteuer, das ich anderen Menschen im 'Troisième Age' wirklich empfehlen kann".

Irene Portnoi