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JVA-Praktikumsbericht: Eine Woche hinter Gittern

Seit nunmehr einer Woche leiste ich mein juristisches Praktikum in der Justizvollzugsanstalt Tegel ab. Dieser kurze Zeitraum sowie meine mangelnde Kenntnis des rechtlichen Hintergrundes (Mein Studium der Wahlfachgruppe Kriminologie beginnt erst im nächsten Semester) erlauben mir im Folgenden nur eine begrenzte Darstellung der Materie. Nicht desto trotz habe ich bereits ein Reihe interessanter Eindrücke und Erfahrungen gesammelt, die wiederzugeben es sich meiner Ansicht nach lohnt. Dies insbesondere vor dem Hintergrund, dass es, wie mir Reaktionen von Bekannten und Kommilitonen auf meine Praktikumswahl zeigten, mancherlei durch Boulevardpresse und Privatfernsehen etablierte Klischees zu widerlegen gibt. Dass ich mich trotz aller gut gemeinter Ratschläge trotzdem für ein Praktikum bei der JVA entschied, liegt an meinem Interesse für das Strafrecht und der damit zusammenhängenden, im Studium jedoch weitgehend ausgeblendeten, Rechtsfolgenseite.

Allen ähnlich Interessierten, die sich mit dem gleichen Praktikumswunsch tragen, ist eine rechtzeitige Bewerbung an einer der in Berlin zahlreich vorhandenen Anstalten nahe zu legen. Sowohl die starke Auslastung der dort beschäftigten Volljuristen wie auch die Konkurrenz durch interessierte Psychologie- und Soziologiestudenten machen die Suche nach einer freien Stelle zu einer umfangreichen und langwierigen Unternehmung. Mir ist es letztendlich gelungen, über ein mit der Rechtsabteilung in Verbindung stehendes Gefängnispfarramt einen der raren Plätze zu ergattern.

Bereits das einige Wochen zurückliegende Vorstellungsgespräch hinterlässt einen bleibenden Eindruck. Schon die zum Tor führende Straße entlang der hohen und mit Wachtürmen gesäumten Mauer lässt ungute Erinnerungen an die ehemalige innerdeutsche Grenze aufkommen. Als ich schließlich im durch eine Panzerglasscheibe mittig getrennten Einlassraum stehe, hinter welcher sich die Vollzugsbeamten befinden, beginnt sich das mulmige Gefühl im Bereich der Magengrube zu manifestieren. Mein Besuch ist versehentlich nicht angemeldet worden und die Beamten schauen mit skeptischem Blick abwechselnd auf mich sowie auf meinen durch eine Sicherheitsschublade hindurch geschobenen Personalausweis. Zugleich spüre ich im Rücken die neugierigen Blicke der übrigen Besucher. Als mich schließlich nach einer mir wie eine Ewigkeit erscheinenden Weile das bestätigende OK die Beamten erreicht, zwänge ich mich rasch in den Schleusenraum, aus welchem ich nach Ablegen meiner Tasche und kurzer Befragung ("Führen sie Drogen, Waffen oder Tausendmarkscheine mit sich?") in das Gefängnisinnere entlassen werde. Schon auf den ersten Blick wird mir der gewaltige Umfang dieses Komplexes, der über eine eigene Bäckerei, Küche, Kirche und diverse Werkstätten verfügt (u.a. sogar über eine zu Ausbildungszwecken eingerichtete Autowerkstatt) und mit über 1.700 Inhaftierten die größte Männervollzugsanstalt Europas darstellt, bewusst. Die Gefangenen sind in sechs Gebäuden untergebracht, deren offizielle Bezeichnung Teilanstalten lautet. Drei dieser Teilanstalten sowie die Kirche und einige der Werkstätten entstanden bereits vor über 100 Jahren. Auf dem größtenteils verlassenen Gang zur Kirche, auf dem nur vereinzelt Gefangene mit Sondergenehmigung meinen und den des mich begleitenden Beamten Weg kreuzen, verspüre ich erstmals die durch die Mauern, eiserne Zwischentüren und Gitterfenster hervorgerufene Knastatmosphäre. Selbst die Kirchenpforte ist durch zwei schwere Eisengitterpforten gesichert. Der für die Pfarrei zuständige Geistliche, Pater Vincens, führt das Bewerbungsgespräch durch. Nach ausführlicher Befragung heißt er mich als zukünftigen Praktikanten willkommen und lädt mich auf einen Kaffee ein. Einer der in der Pfarrei beschäftigten Häftlinge deckt rasch den Tisch (später wird er mir berichten, dass jede anfallende Tätigkeit für ihn eine willkommene Abwechslung darstellt) und der Pater, seine Sekretärin und ich trinken Instantkaffee mit Weihnachtsstollen. Als plötzlich eine Hand durch die Gitterstäbe nach einer auf dem Fensterbrett liegenden Salami greift, erfährt unsere Kaffeerunde eine kurze Unterbrechung. Nach entschiedener Zurechtweisung zieht sich die Hand schnell wieder zurück, von draußen hört man ein: "Ich wollten nur schauen, ob Rindfleischwurst...". Ernster wird es, als ein Beamter hereinstürzt und den Pater rasch zu einem Sterbenden ruft. Jener bittet um die Erteilung des letzten Sakramentes. Während der Pater rasch einige Dinge zusammenpackt, frage ich mich, ob es sich vielleicht um einen Selbstmörder oder einen altersschwachen, nicht begnadigten Mörder handelt. Die Frage danach erscheint mir jedoch irgendwie sensationslüstern und pietätlos, so dass ich darauf verzichte, sie zu stellen. Da unbekannt ist, wann der Pater zurückkehrt, verabschiede ich mich, nicht ohne jedoch vorher den Termin für meinen Praktikumsbeginn zu erfragen.

Als ich drei Wochen später wieder vor den Toren der Anstalt stehe, habe ich bereits versucht, mir ein Bild von meinem zukünftigen Praktikumsplatz zu machen. Neben der Lektüre einer offiziellen Broschüre über die JVA Tegel sowie der von Gefangenen herausgebrachten Knastzeitschrift "Der Lichtblick" habe ich noch an einer der vom DEFO organisierten Anstaltsbesichtigungen teilgenommen (sehr zu empfehlen!). Wie mir in einem vorher zugegangenen Schreiben mitgeteilt wurde, soll mir am heutigen Tage die Schlüsselgewalt erteilt werden. Ich werde in eine der Wachstuben geführt, wo einer dieser großen und schweren Gefängnisschlüsselbunde auf dem Tisch liegt. Neben drei dicken und über 15cm langen Schlüsseln hängt noch ein kleiner schwarzer Zylinder am Bund. Der Beamte erklärt mir, dass es sich bei dem Zylinder um Teil eines Sicherheitssystems handelt, welches für den Fall, dass ich die Anstalt verbotener Weise mit Schlüssel verlassen sollte, Alarm gibt und automatisch die Türen verriegelt. Die Gefangenen erzählen mir später, dass sich in dem Zylinder zusätzlich ein Ortungssystem befinden soll, welches der Zentrale jederzeit erlaubt, den genauen Standort des Schlüssels zu ermitteln. Es folgt eine kurze Ansprache des Vollzugsbeamten, in welcher mir die Bedeutung des Schlüssels aufgezeigt werden soll und die Vorlage eines von mir zu unterschreibenden Dokuments, in welchem festgehalten wird, dass ich über die in meiner Funktion in Frage kommenden Straftaten aufgeklärt wurde. Nachdem ich samt Schlüssel entlassen worden bin, versuche ich zunächst den riesigen Schlüsselbund, den ich immer "am Mann" tragen muss, irgendwo unterzubringen. Da sich alle Taschen als zu klein erweisen, trage ich ihn vorerst immer in der Hand. Die Belehrung des Beamten noch frisch im Gedächtnis ("... und denken Sie daran, wenn sie den Schlüssel verlieren, ist hier die Hölle los") wage ich vorerst nicht einmal, ihn zum anschließenden Kaffeetrinken beim Pater aus der Hand zu legen. Vom Kauf eines Karabinerhakens, der es mir ermöglichen würde, den Schlüssel an meinem Hosenbund zu befestigen, habe ich vorerst aufgrund des hässlichen Geräusches, welches man dann bei jedem Schritt verursacht, Abstand genommen. Wichtige Hinweise wurden mir auch noch hinsichtlich der Türen gegeben. Schlüsselkästen ohne Kennzeichnung dürfen jederzeit, Schlüsselkästen mit einem roten Punkt niemals und solche mit rot-weißem Punkt von 6.00 - 16.45 Uhr geöffnet werden. Bei Zuwiderhandlung wird Alarm ausgelöst. Die unangenehme Vorstellung inmitten heulender Sirenen und aufgeregter Beamter deutlich zu machen zu müssen, dass ich eine der Markierungen übersehen habe, ist so abschreckend, dass ich jeden Schlüsselkasten vor dem Öffnen genauestens untersuche. Den Rest des Tages werde ich in die Büroabläufe eingewiesen und über das Anstaltsgelände geführt.

In den nächsten Tagen stellt sich heraus, dass ich mir die neben der Büroarbeit anfallenden Aufgaben relativ frei einteilen kann. Unvergessen eine Inspektion des Dachstuhles und der beiden Türme der über hundertjährigen Gefängniskirche gemeinsam mit Beamten des Landesdenkmalschutzes und speziell ausgebildeten Handwerkern. Diese eigentlich nicht zugänglichen und daher zeitlos unberührten Orte führen zu einer abenteuerlichen Reise in die Vergangenheit. Auf den Treppenabsätzen liegen noch in altdeutscher Schrift abgefasste Schilder und Papiere, bedeckt von einer dicken Staubschicht. Das letzte Stück zur Turmspitze ist nur über eine 15m lange, frei im Turm hängende und bei jedem Sprossenschritt mitschwingende Leiter zu erreichen. An der Spitze angelangt, kann man sich durch eine enge Fensterluke hinaus auf ein kleinen Balkon zwängen, von wo aus man einen wunderschönen Ausblick auf den nahegelegenen Flughafensee hat.

Ein anderer interessanter Höhepunkt dieser ersten Woche sind die Besuche der serbischen und spanischen Geistlichen, die in regelmäßigen Abständen ihre Schäfchen in der Anstalt besuchen. Im Anschluss an die Messen findet jeweils eine kleine Diskussionsrunde statt, in welcher die Priester heimatliches Gebäck, Zeitungen, Zeitschriften und Bücher verteilen. Diese Zusammenkünfte sind unter den Gefangenen, die auf die verschiedenen Teilanstalten verteilt sind und auch das Essen auf die Zelle gereicht bekommen, eine begehrte Möglichkeit, Kontakt zu inhaftierten Landsleuten aufzunehmen. Auch an die anfangs noch mit einem mulmigen Gefühl durchgeführten Abholdienste, in deren Rahmen ich Gefangene aus den Teilanstalten zu verschiedenen Plätzen hineskortierte, verlieren schnell ihren Schrecken. Anfangs begleitet mich inmitten der rund 300 überwiegend in Muskelshirt und Jogginghose gekleideten Gefangenen ein äußerst unwohles Gefühl. Peinlichst achte ich darauf, ein Klimpern meiner Schließschlüssel zu vermeiden. Doch auch dies soll sich rasch ändern. Nachdem ich mir rational klargemacht habe, dass keiner der hier einsitzenden Gefangenen freiwillig sinnlosen Ärger anzetteln würde, folgt kurz darauf der Wegfall der emotionalen Hemmschwelle. Überraschend oft treten Häftlinge auf mich zu und versuchen, mich in ein Gespräch zu verwickeln. Als ich Pater Vincens darauf anspreche, erklärt er mir, dass es den Inhaftierten an Gesprächspartnern fehle. Ein offenes Gespräch mit Sozialarbeitern und Psychologen sei aufgrund der von ihnen benötigten positiven Gutachten ausgeschlossen, Gespräche der Gefangenen untereinander hingegen bergen immer die Gefahr, sich eine Schwäche oder Blöße zu geben. Im Verlauf der Gespräche gelingt es mir, die Straftat des Einzelnen hinter den Menschen an sich zurücktreten zu lassen, auch wenn ich immer darauf achte, die Tat aufgrund des dem Opfer zugefügten Leides nicht zu verdrängen. Die Gespräche sind oftmals dermaßen gewöhnlich, dass man sie, wäre da nicht dass besondere Umfeld, für mit Zufallsbekanntschaften in einer Kneipe geführte Diskussionen hätte verwechseln können. Völlig des "monsterhaften" seiner Tat entkleidet, wird es einem unbegreiflich, wie z.B. dieser freundliche Herr seinen eigenen Säugling hat erschießen können. Auch wenn dieser Widerspruch rational nicht zu klären ist, sollte man es sich nicht zu einfach machen und immer wieder aufs Neue versuchen, sich dem Täter gegenüber gerecht zu verhalten. Dass trotz Psychologen und Sozialarbeitern die Resozialisierungs- und Schuldaufarbeitungsversuche nicht gerade erfolgsversprechend sind, beweisen mir bereits die ersten Tage im Knast. So erfahre ich, dass der eine mit seiner versteckten Beute eine neue Existenzgründung im Süden plant und der andere offen zugibt, nicht ohne 15.000,- DM im Monat auskommen zu können (Was ihm zu verdienen mit ehrlicher Arbeit natürlich nicht möglich ist...). Ein Schuldempfinden den früheren Opfern gegenüber ist nur in den seltensten Fällen auszumachen. Diese schockierenden Umstände können nicht nur den Häftlingen angelastet werden, welche sich mit einer schweren Kindheit zu rechtfertigen versuchen oder aber das Opfer völlig verdrängen. Wenn ich auf entsprechende Anfragen erklärt bekomme, dass ein Täter-Opfer-Gespräch bzw. zumindest ein auf Video aufgenommener und dem Täter gezeigter Vortrag des Opfers nach Ansicht der Psychologen dem Täter nicht zuzumuten sei, so frage ich mich doch, ob dies im Sinne der (zukünftigen?) Opfer und des (zu resozialisierenden) Täters ist. Solange man den Tätern erlaubt, die durch sie Geschädigten zu verdrängen, muss man sich über entsprechend hochliegende Rückfallquoten nicht wundern. Auch darf man hierüber nicht die vielen Besserungswilligen vergessen, die im Gefängnis eine Lehre, einen Schulabschluss oder gar ein Studienabschluss nachholen (Ich habe sogar einen Jurastudenten getroffen!). Beeindruckt bin ich vom Vollzugshelferprojekt, über das die Gefangenen nur positiv sprechen. Es handelt sich hierbei um ehrenamtlich tätige Bürger, welche die "Patenschaft" für einen der Gefangenen übernehmen und diesen regelmäßig besuchen kommen. Dieses Projekt hilft den Gefangenen, den Kontakt zur "normalen" Außenwelt zu bewahren und erleichtert so nach der Entlassung die Eingliederung in den fremd gewordenen Alltag (So gibt es Langstrafer, die das wiedervereinigte Deutschland nur aus dem Fernsehen kennen).

Auch wenn die in diesem Beitrag wiedergegebenen Eindrücke aufgrund des kurzen Praktikumszeitraumes und des fehlenden Hintergrundwissens nur bedingt aussagekräftig sind, hoffe ich doch, zumindest Euer Interesse an der Materie geweckt zu haben. Interessierten möchte ich zugleich auch das in diesem Semester vom Anstaltsleiter der JVA Tegel, Herrn Lange-Lehngut, an unserer Universität angebotene Seminar zum Strafvollzug nahe legen (siehe Veranstaltungsverzeichnis). Wer darüber hinaus bereit ist, sich unvoreingenommen mit der Thematik zu beschäftigen und zusätzlich vielleicht sogar an ein Studium der Wahlfachgruppe Kriminologie denkt, dem ist ein Praktikum an einer JVA wärmstens zu empfehlen.

Oliver Cywinski

(erschienen im DEFO-Info Nr. 43 vom SS 2001)



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