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Henry James und der andere Ort

He had taken the train a few days after this from a station - as well as to a station - selected almost at random; such days, whatever should happen, were numbered, and he had gone forth under the impulse - artless enough, no doubt - to give the whole of one of them to that French ruralism, with its cool special green, into which he had hitherto looked only through the little oblong window of the picture frame. It had been as yet for the most part but a land of fancy for him - the background of fiction, the medium of art, the nursery of letters; practically as distant as Greece, but practically also well-nigh as consecrated.gif

Henry James beschreibt hier, wie der touristische Impuls sich auf eine Leseerfahrung zurückbezieht. In der bewußten Beliebigkeit des gewählten Zuges und des Zielortes, also durch die Ausschaltung aller Absicht konstituiert sich hier die Fremde. Sie soll die Begegnung in der Realität mit dem ,,land of fancy`` ermöglichen: dem Land in der Vorstellung des einstmals Leser gewesenen Reisenden. In meiner Dissertation will ich versuchen, der Metamorphose des Lesers in den Touristen auf die Spur zu kommen, und zwar in der genaueren Betrachtung des ,,Landes der Vorstellung``.

In James' hier zitiertem Roman endet der Aufenthalt im idyllischen Land der Vorstellung mit der Erkenntnis, daß nichts so ist, wie es sich der Protagonist Strether vorgestellt hat. Das Element, das die von Strether mittlerweise ,,besetzte`` Landschaft zur Vollendung ästhetisch-touristischer Sehnsüchte macht, nämlich das auf dem Fluß näherrudernde Liebespaar, bringt für den auf Überwachungsmission geschickten Strether bei näherem Hinsehen eine ent-täuschende Erkenntnis. Die moralische Integrität seines Schützlings Chad, der da nämlich mit der raffiniert-europäischen Mme Vionnet im Boot sitzt, entspricht gar nicht den Standards seiner Auftraggeber - es ist also genau das eingetreten, was er verhindern sollte. So bricht die Realität seiner ruhigen sozialen Existenz als Illusion zusammen, während die Illusion der idealen Landschaft gerade ihre Erfüllung in der Realität gefunden hatte.

Die Art und Weise, wie Henry James hier mit der ästhetischen Bedeutung touristisch interessanter Landschaft umgeht, unterscheidet sich wesentlich von beispielsweise Hawthornes römischen und toskanischen Schauplätzen in The Marble Faun , deren mythisch-melodramatische Symbolik auf der Ebene des Sinns des Romans und nicht auf der der Narration integriert ist. Die Leseerfahrung wird bei James durch die für ihn typische Dramatisierung der Landschaft als erfahrene in ein metonymisches Verhältnis zur touristischen Erfahrung gesetzt. Die Entschlüsselung der Jamesschen dramatischen Verfahrensweise kann das Verhältnis von touristischer und Leseerfahrung in eine fruchtbare Problemstellung bringen.

Die Problemlage wird in drei analytische Hauptkapitel aufgelöst, in denen die Parameter der literarischen Erfahrung bezüglich des Ortes herausgearbeitet werden. Diese münden dann in einem vierten Kapitel in die Erörterung der systematischen Zusammenhänge zwischen Leser- und touristischer Erfahrung.




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Ulrich Brinkmann
Tue Jul 8 19:04:01 MET DST 1997