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Semantik: Liebe und Grenzüberschreitung

In einem close reading des Romans Confidence (aus James' früher Phase) soll die Rolle des Ortes für die narrative Entwicklung des Liebesplots - der in diesem Roman einem typischen Muster folgt - verfolgt werden. Dieses Kapitel wird die Erkenntnisse aus den beiden vorangegangenen zusammenfassen und weiterentwickeln. Sie werden in einen Zusammenhang mit der kulturellen Semantik von Liebe und Individualität, wie sie Luhmann entworfen hat,gif gestellt.

Dabei wird sich herausstellen, daß zwischen der von James inszenierten Logik des anderen Ortes und der kulturellen Semantik der Liebe strukturelle Affinitäten bestehen. Die Anwesenheit am anderen Ort bedeutet im Wegfallen bisheriger sozialer Grenzen und Bindungen die radikale Individuierung, die eine Neuorientierung erlaubt. Die romantische Liebe überschreitet wiederum die Grenze zwischen einem Individuums und dem anderen, aber auf der Basis der Individualität. Zwei Individuen werden so zu einem, und bilden eine Mikro-Sozietät. Der touristische Ort der sozialen Entgrenzung vergrößert nun die Wahrscheinlichkeit des Unwahrscheinlichen, nämlich der Liebe als das Treffen von sich spiegelbildlich entsprechenden Individuen: ihrer sozialen Bindungen entledigt und als Individualitäten in die Wahrnehmung derselben schon als romantisch kodierten Umgebung vertieft, haben sie plötzlich ganz viel gemeinsam. Nicht nur in Confidence finden zwei Touristen zueinander.gif

Eine Zelebrierung dieser Mikro-Sozietät der sich romantisch Liebenden im Zustand des Verheiratetseins ist der honeymoon , sachlich-deutsch: die Hochzeitsreise. Das Überschreiten der Grenzen der die Verbindung sanktionierenden Gesellschaft und die Ausübung individueller Wahrnehmungsfähigkeiten dem touristischen Objekt gegenüber bezeugen das Einssein beider Individualitäten negativ und positiv.



Ulrich Brinkmann
Tue Jul 8 19:04:01 MET DST 1997