Die Rundfunkordnung der Bundesrepublik unterscheidet sich von der
Telekommunikationsordnung an einem entscheidenden, grundsätzlichen
Punkt: Sie ist dem Grundsatz der Staatsferne verpflichtet. Damit ist
grundsätzlich ausgeschlossen, den Rundfunk in der Telekommunikation
ähnlicher Weise als Teil der staatlichen Verwaltung zu
organisieren. Statt dessen wurde er in Form von Anstalten des
öffentlichen Rechts etabliert - eine Rechtsform, die im
Übergang vom Fernmeldemonopol zum -markt bei der Postreform II auch
für die Post-Holding Verwendung fand.
Diese Organisationsform bot lange Zeit - entgegen den offiziellen Zielen
- in der Praxis weitreichende politische Eingriffsmöglichkeiten in
den Rundfunk, der eng an zentrale soziale Systeme der Gesellschaft (die
,,gesellschaftliche relevanten Kräfte``) angebunden war und zum
Teil noch immer ist. Das
öffentlich-rechtliche Monopol wurde im medienpolitischen
Diskurs lange Zeit mit Verweis auf die
Frequenzknappheit - also parallel zum
Fernmeldemonopol mit einem explizit technischen Argument -
begründet; das Bundesverfassungsgericht band die
Rundfunkregulierung hingegen nicht allein an die Frequenzknappheit,
sondern begründete sie vor allem mit Zugangshürden und dem
Machtpotential der Medien
. Rundfunkrecht konnte sich insoweit
auch vom verwandten Presserecht abgrenzen, dessen Definition nie
problematisch war
.
Die Rundfunkregulierung und ihre medienrechtliche Implementierung setzen
traditionell an der Vergabe knapper Frequenzen (durch den
Gesetzgeber, seit der ,,Dualisierung`` auch durch die
Landesmedienanstalten) und knapper Geldmittel (zur Finanzierung
der öffentlich-rechtlichen Anstalten durch Gebühren) an. Die
Knappheit dieser Ressourcen brachte es mit sich, daß beide Verfahren
sich am besten dazu eigneten, medienpolitische Ziele und medienrechtliche
Aufsicht durchzusetzen. Geld als Mittel politischer Steuerung hat konstant
an Bedeutung verloren, ist doch das komplexe Verfahren der
Gebührenfestsetzung inzwischen relativ unabhängig von gezielter
instrumenteller Nutzung durch die Landesmedienpolitik. Den jüngsten
Autonomieschub erhielt das Gebührenfestsetzungsverfahren durch das
Gebührenurteil des Bundesverfassungsgerichts von
1994, das die Unabhängigkeit der
,,Kommission zur Ermittlung des Finanzbedarfs der Rundfunkanstalten``
(KEF) stärkte
. Privat-kommerzieller Rundfunk wurde
durch das Steuerungsmittel Geld ohnehin nie erreicht
.
So knüpfen auch die nach dem Ende des Monopols implementierten
Lizenzierungsverfahren für den privat-kommerziellen Rundfunk an der
Frequenzknappheit an, vordergründig, um ein Chaos im Äther oder
im Kabel zu vermeiden. Die Lizenzerteilung ist dabei gleichzeitig der
Ansatzpunkt, um die Nutzungskonditionen näher
festzulegen.
Mit schwindender Frequenzknappheit schrumpfen auch diese
medienaufsichtlichen Einflußmöglichkeiten: So gab zum Beispiel
die Lizenzvergabe im föderal komplizierten deutschen Medienrecht den
Landesmedienanstalten - nicht selten auf Tuchfühlung mit der
jeweiligen Staatskanzlei - die Möglichkeit,
standortpolitische medienwirtschaftliche Regional-Interessen
durchzusetzen. RTL und Sat.1 erhielten von den meisten Medienanstalten in
Verbindung mit terrestrischen Frequenzen die Auflage, regionale
Fensterprogramme zu veranstalten. Mit der abnehmenden Bedeutung
terrestrischer Verbreitung werden sich solche Auflagen immer weniger
durchsetzen lassen: Sat.1-Chef Jürgen Doetz kündigte bereits im
vergangenen Jahr an, diese Verpflichtungen bei den anstehenden
Neuausschreibungen ,,auf den Prüfstand`` zu stellen. An der
technischen Reichweite von Sat.1 sei die terrestrische Verbreitung zu 15
Prozent beteiligt, 20 Prozent der erreichbaren Haushalte würden per
Satellit erreicht, 65 Prozent per Kabel
.
Die letztere Zahl erklärt, warum es überhaupt gelungen ist, eine
Bindung des privat-kommerziellen Fernsehens an deutsches Medienrecht
durchzusetzen: Die Landesmedienanstalten verfügen über das Recht
der Kabel-Kanalbelegung. Dabei werden jeweils landeseinheitliche
Rangfolgeregelungen festgelegt, um angesichts der Frequenzknappheit im
Breitbandkabelnetz über die Programmauswahl zu entscheiden. Da in
vielen Bundesländern die im Lande selbst zugelassenen Programme
bevorzugt werden, entstanden Anreize, die Zulassungsanträge in
bevökerungsreichen Bundesländern wie Nordrhein-Westfalen zu
stellen.
Mit der Dualisierung des Rundfunks in Deutschland wurde auch das
Rundfunkrecht dual: Neben das einfache Landesrecht, mit dem die
öffentlich-rechtlichen Anstalten begründet wurden, und neben das
allgemeine Wirtschaftsrecht trat ein spezielles Rundfunkrecht aus
Landesmediengesetzen und Staatsverträgen, mit dem die Regulierung der
neuen Rundfunkmärkte implementiert wurde. Gleichzeitig
wuchs dem Begriff der Grundversorgung eine politische Bedeutung
zu: Das Bundesverfassungsgericht hat die public service-Bindung
des Rundfunks für den privat-kommerziellen Sektor nur unter der
Bedingung gelockert, daß der öffentlich-rechtliche Sektor die
Grundversorgung mit Information und Unterhaltung
gewährleistet.
Der Markt als Steuerungskonzept wurde mit einem (normativen) Rahmen umgeben, der seine Selbststeuerungs-Fähigkeit erhalten soll. Mit der Internationalisierung des Rundfunks und dem wachsenen Einfluß europäischen Medienrechts (Fernsehrichtlinie) und internationalen Handelsrechts (GATT) ist ein weiterer Komplexitätssteigerungs-Schub verbunden. Wolfgang Hoffmann-Riem (1990) hat analysiert, wie Ökonomisierung und Internationalisierung die traditionellen publizistischen Bindungen an die public service-Idee erodieren und das spezifische, kulturpolitisch motivierte Rundfunkrecht zugunsten herkömmlichen Wirtschaftsrechts abschmelzen. Die Digitalisierung wird - so die These dieser Arbeit - diesen Erosionsprozeß weiter vorantreiben. Das Kapitel 3 wird den Anteil vermessen, den die Digitalisierung an dieser Erosion hat; im Kapitel 5 werden die laufenden De- und Re-Regulierungsprozesse untersucht.