Die erste Stufe der Fernsehentwicklung, charakterisiert durch
oligopolistisches Gebahren einer Handvoll Fernsehkanäle mit
exklusiven Lizenzen und full-service-Programmierung, nennt Noam
privileged television. Kommerzielle Sender teilen die
große Zuschauermehrheit unter sich auf und ignorieren Minderheiten.
In der zweiten, gegenwärtig heraufziehenden Stufe (multichannel
television) steigt die Zahl der Kanäle dramatisch, weil die
Eintrittshürden sinken. Größere Kommerzialisierung,
Diversifizierung und Spezialisierung bringen eine Vielzahl von
Spezialkanälen hervor, während der Zuschaueranteil der
großen networks zurückgeht. Am Ende eines dritten
Entwicklungsschubs, so erwartet es Noam, wird ein distributed,
decentralized cyber-television stehen. Von dessen
Schlüssel-Technologien war in den drei vorangegangenen Kapiteln
bereits mehr oder weniger ausführlich die Rede: video
servers, Hochleistungs-Telekommunikationsverbindungen
(,,Bandbreite``) mit broadband switches und
routers, Navigationssysteme, ,,personalisierte`` Menüs
und ,,intelligente`` Heimterminals. Ein häufig zitierter
Schlüsselindikator ist die Tatsache, daß bereits 1993 in den
USA mehr Computer als Fernsehgeräte verkauft wurden. Die entsprechende Netz-Technologie
wird derzeit vor allem rund um das Internet entwickelt.
Die Übergänge zwischen den drei Stadien erscheinen also,
abstrakt gesprochen, als Differenzierungsschübe, die jeweils
die Reflexivität des sich differenzierenden Systems
steigern. Das Cyber-TV ist ein
extrem individualisiertes, letzlich auf einen ,,persönlichen``
Kanal (,,me-TV``) geschrumpftes Fernsehen: ,,The simultaneous mass
medium experience will be replaced by individualized experience.`` Die
Kontrolle über Programme und Inhalte geht von den großen
Medienkonzernen in die Hand der Zuschauer über. Der Programmbegriff
wird unscharf
, damit auch die daran anknüpfenden
Regulierungsvorschriften. Das Nutzungsmodell liegt also näher am
heutigen Internet als am Fernsehen, was Anlaß zu der Kritik gab,
Noam vernachlässige die Erkenntnisse über das Verhalten der
Fernsehzuschauer: ,,Zuschauer wollen keinen ,Ich-Kanal```
Im Resultat verändert die Dritte Fernseh-Revolution die Machtkonstellationen grundlegend: Die großen Medienkonzerne büßen erhebliche Teile ihrer Macht ein, während der (ökonomische) Zwang der Vielkanal-Ära entfällt, große Konglomerate zu bilden, in denen Macht über Inhalte und Kanäle gebündelt wird. Die Konglomerat-Struktur ist Noam zufolge auf eine Umgebung nur teilweise offenen Marktzugangs zugeschnitten, in der es sinnvoll erscheint, Macht in verschiedenen Marktsegmenten zusammenzufassen. In der heraufziehenden Medienwelt mit offenen Zugängen rechnet er dagegen mit einer deutlichen Trennung von Inhalt und Verteilung.
Mit der Konkurrenz von Breitbandkabel- und Telefonnetzen konkurrieren und
kollidieren auch ihre je spezifischen Regulierungsformen:
Telefongesellschaften dürfen als common carriers weder
Inhalte noch Benutzer ausschließen, während Kabelgesellschaften
als mass media contract carriers nur vergleichsweise schwachen
derartigen Bindungen unterliegen. Zur Lösung dieses Konflikts
schlägt Noam ein Konzept des neutralen Zusammenschlusses
(neutral interconnection) vor, das es zwar erlauben würde,
Endkunden und Inhaltsanbieter selektiv zu behandeln, das die
carrier jedoch untereinander zum Zusammenschluß
verpflichten würde
.
In Noams Welt des Cyber-TV sind weder Übertragungswege noch
Medieninhalte die bottlenecks: ,,Attention is king.`` Das
Paradox der Informationstechnologie besteht darin, daß
ihre Nutzer den Informationsmengen umso weniger gewachsen sind, je mehr
Informationstechnologie zum Einsatz kommt und je mehr Information
produziert wird. Die processing channels von Individuen wie
Organisationen sind begrenzt und nicht trivial zu
vergrößern; Informationsverarbeitung (und damit rigide
gesteigerte Selektivität) wird daher zur Hauptaufgabe neuer
Informationstechnologie.
Das Ende der Übertragungsmonopole und das Schwinden der
Monopolgewinne unterminiert auch die Möglichkeiten zur
Quersubventionierung, die weniger lukrativen Marktsegmenten
zugute kam. Mit steigender Effizienz ist keine
Garantie für allgegenwärtige und für jeden bezahlbare
connectivity verbunden: ,,Allocative decisions are political
decisions, and the more important connectivity becomes, the more
politically important it is.``
An der sozialen Relevanz neuer Dienste und dessen
rasantem Wandel wird sich die Definition des Universaldienstes
(,,who and what will receive universal service``?) orientieren
müssen
. Mit dem Universaldienst-Konzept lassen
sich prinzipiell sowohl Inhalte und Endgeräte als auch
Übertragungswege subventionieren.
Einige wesentliche Grundfragen für die künftige Regulierung der Medien und der Telekommunikation sind damit umrissen. Das folgende Kapitel 4 wird in knapper Form drei von Wissenschaftlern vorgeschlagene Regulierungsansätze vorstellen; im abschließenden Kapitel 5 wird dann der Versuch unternommen, die gegenwärtigen De- und Re-Regulierungsprozesse zu analysieren.