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[Sexperten klären auf]



„Let’s talk about sex, baby...“ sang schon die Popgruppe Salt n’ Pepper Anfang der 90er Jahre, als wäre es selbstverständlich, ungezwungen über Liebe und Sex zu reden. Zwar sind die Zeiten längst vorbei, in denen junge Menschen noch kurz vor der Hochzeit glaubten, allein vom Küssen schwanger werden zu können, aber die Sexualität ist und bleibt vor allem für pubertierende Jugendliche ein hochsensibles Thema – trotz aller zur Schau gestellten Coolness. Und das ist auch gut so, denn das Verhältnis zur eigenen Sexualität ist für die Identitätsbildung – sprich: für das Erwachsenwerden – wichtig. Doch mit wem kann man als Jugendlicher über Sex sprechen, ohne ihn zu entzaubern? Für Mama und Papa bleibt man auf ewig Kind und die meisten Lehrer kommen für die Heranwachsenden als Gesprächspartner aus vielen anderen Gründen ohnehin nicht in Betracht. Aber auch gleichaltrige Freundinnen und Freunde sind häufig schlechte Ratgeber, weil sie oft selbst heillos mit ihrem Gefühlschaos kämpfen. Genau an diesem Punkt setzt eine bundesweite Initiative von Studierenden der Medizin, Psychologie und anderer Disziplinen an. Mit ihrer Kampagne „Mit Sicherheit verliebt – Was Du schon immer über Sex wissen wolltest“ klären sie Heranwachsende in Schulen und Jugendclubs über Sexualität, HIV/AIDS und andere sexuell übertragbare Krankheiten auf. Finanziell unterstützt wird das Projekt von den Medizinischen Fakultäten der beteiligten Universitäten, einigen Krankenkassen und durch private Spender.

Im Gegensatz zu herkömmlichen Aufklärungsprogrammen, die von Pädagogen und Psychologen erdacht und durchgeführt werden, beruht dieses Projekt auf dem Prinzip der „peer education“. Dahinter steht die Idee, dass es gerade Jungendlichen leichter fällt, mit etwa Gleichaltrigen über so emotional besetzte Themen wie Sex zu sprechen. Das didaktische Konzept der Kampagne besteht aus „Facilitating“, dem Gegenteil von Frontalunterricht. Die Studierenden wollen die Jugendlichen nicht belehren, sondern vorhandene Kenntnisse ergänzen, Wissenslücken füllen und zum Nachdenken anregen.

„Wie man ein Kondom benutzt oder wie die Pille funktioniert, braucht man den meisten Kids nicht mehr zu erklären. Über technische Fragen der Sexualität sind sie in der Regel bestens aufgeklärt. Unsere Initiative unterscheidet sich von herkömmlichen Aufklärungsprogrammen in erster Linie dadurch, dass wir versuchen, Jugendlichen zu vermitteln, wie sie das vorhandene Wissen anwenden, wenn es &Mac226;ernst’ wird“, sagt Stephan Albrecht, einer der Beteiligten des Berliner Projekts.

Als Jugendlicher fängt man erst an, seine Sexualität kennen zu lernen und begibt sich auf noch unbekanntes Terrain. Wie schnell ist da der gut gemeinte Ratschlag der besten Freundin oder des besten Freundes vergessen, wenn das Herz vor lauter Nervosität einen Salto macht und die Gefühle durcheinander wirbeln. Mit dieser Unsicherheit muss man erst einmal zurechtkommen. Dabei möchten die Studierenden helfen. Wie spreche ich mit meinem Freund oder meiner Freundin über Verhütung, ohne dass es unangenehm wird? Oder was mache ich, wenn mein Partner mit mir schlafen möchte, ich mich aber überfordert fühle und Angst habe, ihm das zu gestehen? Das sind nur zwei der vielen Fragen, die das „Erwachsen werden“ mit sich bringt.

„Wie man ein Kondom benutzt, wusste ich schon, trotzdem hatte ich Angst, etwas falsch zu machen und mich vor meinem Freund zu blamieren, wenn er meine Unerfahrenheit bemerkt. In Gesprächen in der Gruppe habe ich jedoch gemerkt, dass die meisten Jungs mindestens genauso unsicher sind und dieses oftmals hinter ihrer coolen Fassade verstecken möchten. Das hat mir doch sehr geholfen und mir Mut gemacht“, stellt eine Teilnehmerin des Programms erleichtert fest. „Toll, dass ich mal darüber sprechen konnte.“ „Jetzt bin ich erleichtert.“ „Das hat mir Mut gemacht.“ Sätze wie diese bekommen die freiwilligen Helfer des öfteren zu hören.


Sensibilität ist wichtig

Auch eine Gruppe von Medizinstudierenden der Freien Universität Berlin sowie der Charité Berlin sind aktiv an dieser Initiative beteiligt. In mehrtätigen Workshops werden die Studierenden von Fachkräften des AIDS-Zentrums Rostock, des Fachteams Kinderschutz Kreuzberg, des Kommunikations- und Beratungszentrums für Lesben und Schwule („Kombi“) sowie von frei arbeitenden Sexualpädagogen geschult und auf die ihnen bevorstehende Aufgabe vorbereitet. „Wir haben gelernt, dass es eines besonderen Einfühlungsvermögens bedarf, um die Jugendlichen sprachlich nicht zu überfordern und keine Tabugrenzen zu überschreiten, die wegen individueller Erfahrungen ganz unterschiedlich sein können. Zusätzlich müssen wir darauf achten, dass im Gegenzug die Jugendlichen uns nicht überfordern, indem sie an unseren eigenen Tabugrenzen kratzen. Wie solche Situationen souverän gehandhabt werden, war ebenfalls Bestandteil unserer Ausbildung“, erklärt Antje Lasch, Medizinstudentin der Charité Berlin.

Ausgerüstet mit einem „Verhütungskoffer“, prall gefüllt mit Anschauungsmaterial wie Kondomen, Büstenhalter und Tampons und der „Black Box“ – einem Briefkasten für anonyme Fragen – machen sich die engagierten Helfer nach erfolgreicher Absolvierung des Workshops auf den Weg in Schulen und andere Jugendeinrichtungen. In spielerischer Weise sollen die Jugendlichen lernen, selbstsicher und ungezwungen über Sexualität zu sprechen und unterschiedliche Lebensweisen wie Bi- oder Homosexualität als etwas Natürliches zu akzeptieren. Mit Dialogen, Spielen und Wettbewerben wird die Diskussion interessant gehalten und alle Beteiligten werden aktiv mit einbezogen. Die Studierenden möchten den Jugendlichen einen Weg in Richtung einer unverkrampften, selbstbestimmten und selbstverantwortlichen Sexualität weisen. Eine schwierige Aufgabe besteht darin, den Jugendlichen das Risiko einer HIV-Infektion durch ungeschützte Sexualkontakte bewusst zu machen, ohne ihnen durch Horrorszenarien die Lust auf die Liebe zu vergällen. Quasi nebenbei trainieren die angehenden Ärzte hier schon das einfühlsame Patientengespräch, das sie in ihrer späteren beruflichen Praxis beherrschen sollten, um Krankheiten nicht nur zu heilen, sondern ihnen auch vorzubeugen.

Dieses Projekt ist sowohl für die Organisatoren als auch für die Teilnehmer eine große Herausforderung, der sich alle Beteiligten getreu dem Motto: „Die einzige Möglichkeit, AIDS zu bekämpfen ist Prävention. Der einzige Weg für Prävention ist Bildung“ stellen.

Susanne Lettau




Projekt „Mit Sicherheit verliebt – Was Du schon immer über Sex wissen wolltest“

Tim Theobald,
Telefon 0381/4995936 oder 0175/8692181,
E-Mail: nora@gemsa-germany.de
Jenny Dörnemann,
E-Mail: jennydoernemann@gmx.de

Auskunft zum Berliner Projekt:
Antje Lasch,
Tel.: 030/92091315,
E-Mail: antje.lasch@charite.de
Stephan Albrecht,
Tel.: 0175/2351227,
E-Mail: cuartopollo@web.de


Informationen im Internet:
www.sicher-verliebt.de


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