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[Neue Ausstellung in der Abguss-Sammlung antiker Plastik]

„Idee oder Wirklichkeit?“ fragt eine große Ausstellung zur griechischen Klassik im Gropiusbau, und beide Begriffe stehen im Singular, als ob es jeweils nur eine einzige Wirklichkeit oder eine einzige Idee von „Klassik“ geben könnte. Die Archäologen der Freien Universität bemühen sich um eine größere historische Differenzierung jenseits plakativer Parolen: Es waren mehrere, sehr verschiedene Wirklichkeiten, die das Phänomen der griechischen Klassik ausgemacht haben. Auch als Kontrapunkt zu dem Publikumsmagneten im Gropiusbau ist eine Ausstellung in der Abguss-Sammlung antiker Plastik der Freien Universität zu verstehen, die zur Zeit mehr als 50 Abformungen zu Werken aus dem Umkreis des Bildhauers Praxiteles zeigt.

Die liebenswürdig vermenschlichten Götterstatuen des Praxiteles aus dem 4.Jahrhundert vor Christus bieten ein ganz anderes Bild von den Griechen als etwa die feierlich erhabenen Reliefs vom Parthenontempel hundert Jahre zuvor. Mit den „echten“ Stücken wäre eine solche Ausstellung von vornherein unmöglich; sie sind über Museen in aller Welt verstreut. Gerade bei einem solchen „Klassiker“ ist es aber wichtig, alles in unmittelbarem Augenschein nebeneinander zu haben: die meisten antiken Originale sind streng genommen eben doch Kopien, die sich reiche Liebhaber in römischer Zeit zum Schmuck ihrer Villa bestellt haben, soweit sie der Kultstatuen aus den griechischen Tempeln nicht habhaft werden konnten. Eine Ahnung vom verlorenen Original lässt sich also am ehesten aus einem Vergleich der Kopien gewinnen. Glückliche Ausnahme: der berühmte Hermes mit dem Dionysosknaben aus Olympia, aller Wahrscheinlichkeit nach ein Marmorwerk aus des Meisters eigener Hand.


Hermes mit dem Dionysosknaben, Abguss nach der 1877 in Olympia aufgefundenen Statue, die vermutlich ein originales Werk des Praxiteles ist (um 320 vor Christus).


Der Erfinder des weiblichen Aktes

Das dargestellte Motiv – der göttliche Knabe greift nach einer Frucht in der Hand des Bruders – hängt in verchristlichter Form, als Madonna mit Kind, dutzendfach an den Wänden unserer Gemäldegalerien. Ästhetisch hat gerade dieses Werk den Praxiteles in die Kontroverse gebracht: „Als ob es aus Seife wäre“, verurteilte der moderne Kollege Aristide Maillol die glatte, vielleicht allzu glatte Behandlung der Oberfläche. Wie die Szene mit ihrer farbigen Fassung gewirkt hat – erhalten sind Spuren von Rot-Braun im Haar und auf den Lippen sowie an den Sandalen – vermögen wir uns nicht mehr vorzustellen. Geschichte geschrieben hat Praxiteles auch mit seiner Aphrodite für das Heiligtum in Knidos; es war das erste Mal, dass ein Künstler wagte, die Liebesgöttin nackt darzustellen – die Statue eröffnet die Kunstgeschichte des weiblichen Aktes in Europa.

Wenn man so will, ist Praxiteles also gerade nicht Klassik, sondern „Überwindung der Klassik“, wie Kustos Klaus Stemmer die Ausstellung mit leicht provokantem Unterton überschrieben hat. Dabei steht Praxiteles fest in der alten griechischen Tradition. Der Weg von diesen schön anzuschauenden Götterbildern zu einer Erlösungsreligiosität, wo die Überirdischen gnädig bereit sind, sich dem Beter zuzuwenden, ist noch weit; Praxiteles’ Götter bleiben unnahbar. Der Abstand zum späteren Christentum lässt sich an seinem „Apollon als Eidechsentöter“ illustrieren: Von fern erinnert uns das Motiv an den Erzengel Michael im Kampf mit dem Drachen. Aber was bekämpft wird, ist nicht das Böse, sondern bloß Ungeziefer, und im Mittelpunkt der beinahe genrehaften Szene steht die Lust des jugendlichen Gottes am grausamen Spiel.


Aller guten Dinge sind drei

Getreu ihrer Tradition, moderne Kunst mit der Antike zu konfrontieren, zeigt die Abguss-Sammlung neben Praxiteles noch zwei andere Ausstellungen. Da ist zunächst ein Bild des jungen Kölner Malers Rolf Kuhlmann: Hektors Abschied von Andromache, nach einer berühmten Szene aus Homers Ilias, die dem deutschen Leser auch durch ein Gedicht Schillers geläufig ist („Will sich Hektor ewig von mir wenden ...“). Das Bild könnte Signalcharakter in der aktuellen Kunstentwicklung haben: „Mir scheint, das Erzählende hat in der Malerei wieder eine Zukunft“, deutete Stemmer bei der Vernissage vorsichtig an.


Flucht vor der erotischen Attacke

Und im Innenhof sind, mit Unterstützung der Italienischen Botschaft, drei Statuen des wohl renommiertesten italienischen Bronzekünstlers der Gegenwart, Marcello Tommasi, aufgestellt. Darunter die Geschichte der Daphne, von jenem Mädchen, das sich auf der Flucht vor der erotischen Attacke des Gottes Apollon in einen Lorbeerbaum verwandelt – das Werk eines zeitgenössischen Klassikers, dem Barock eines Bernini aber näher verwandt als dem 4.Jahrhundert vor Christus. Vor der Statue eines gestürzten Mannes, dem Tommasi den Namen des biblischen Königs Saul gegeben hat, wird, wer sich in Berlins Museen auskennt, wenig Mühe haben, neben dem heroischen Manierismus eines Michelangelo auch eine antike Inspirationsquelle zu entdecken: den Gigantenkampf am Pergamon-Altar. „Hellenistischer Barock“, wie die Kunsthistoriker, scheinbar paradox, diesen Stil benannt haben.

Josef Tutsch

Foto: B. Paetzel


Abguss-Sammlung antiker Plastik

Ort:
Schloßstraße 69 B in Berlin-Charlottenburg

Öffnungszeiten:
Donnerstag bis Sonntag 14 bis 17 Uhr

Die Praxiteles-Ausstellung ist bis 20. Oktober zu sehen, das Gemälde von Rolf Kuhlmann bis 26. Mai, die Skulpturen von Marcello Tommasi sind bis 8. September ausgestellt.
Der Katalog zu Praxiteles kostet 5 Euro, der zu Tommasi 16 Euro.

Der Eintritt ist frei!


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