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(Überlebensstrategien von Mikroorganismen)


Seit 3,5 Milliarden Jahren besiedeln Bakterien (Prokaryonten) die Erde. Fast zwei Milliarden Jahre waren sie unter sich, und noch heute sind sie – zahlenmäßig – die einzig relevanten Lebewesen auf unserem Planeten. Das Geheimnis ihres Erfolges ist die Fähigkeit, sich sehr rasch an veränderte Umweltbedingungen anzupassen. Kaum ein Lebensraum, den sie nicht für sich erobern konnten. Selbst unter extremsten Bedingungen – wie im arktischen Eis, in heißen, sauren Quellen oder im Inneren von Steinen – können sie existieren. Am Institut für Biologie der Freien Universität erforscht die Arbeitsgruppe um Prof. Regine Hengge-Aronis, wie die Regulation dieser Adaptionsvorgänge auf der Ebene der Gene funktioniert.

Vor 13 Jahren, als die Mikrobiologin von ihrem Postdoc-Aufenthalt in Princeton nach Konstanz zurückkehrte, war sie in der glücklichen Lage, sich ihr Forschungsgebiet selbst suchen zu können. „Die einzige Bedingung war: es musste um Bakterien gehen“, erzählt sie. „Seit den 60er Jahren untersuchte man die exponentielle Wachstumsphase von Mikroorganismen. Aber ändert sich etwas am Millieu – beispielsweise dadurch, dass ein Nährstoff limitiert wird – stagniert ihr Wachstum. Über die Molekularbiologie dieser stationären Phase wusste man praktisch nichts.“ Ein weißer Fleck in der Wissenschaft also, um den man sich immer herumgemogelt hatte.

Was genau passiert in der Zelle, wenn sich ihre Umwelt ändert? Welche Tricks beherrschen die oft nicht einmal einen Mikrometer großen kugel-, stäbchen- oder spiralförmigen Organismen, um sich perfekt anzupassen? Regine Hengge-Aronis betrat hier Neuland. Das „pflegeleichte“ Darmbakterium Escherichia coli wurde ihr Modellorganismus. Bereits 1998 erhielt die heute 45-jährige für ihre Arbeiten den Gottfried-Wilhelm-Leibnitz-Preis. Im gleichen Jahr nahm sie den Ruf an die FU an.

Bakterien reagieren äußerst sensibel auf Veränderungen. Nährstoffmangel, nicht optimale Temperaturen, Schadstoffe, pH-Wert-Schwankungen, intensive UV-Strahlung – all das löst bei ihnen Stress aus. Die Zelle reagiert darauf, indem bestimmte Gene ab-, andere bisher inaktive dafür angeschaltet werden. Aber wie wird diese Genregulation in Gang gesetzt? „Stress – welcher Art auch immer – wirkt wie ein Signal auf diverse Sensoren in der Zelle“, erklärt Hengge-Aronis. „Sie geben die Information, dass etwas nicht stimmt, an Regulatorproteine weiter, die dann wiederum die verschiedensten Stressantworten auslösen.“

Allzeit bereit

Neben einer spezifischen Stressantwort, die nur auf ein bestimmtes Problem reagiert und Schäden repariert, gibt es eine globale Reaktion: die „generelle Stressantwort“. Ausgelöst wird sie durch das Regulatorprotein Sigma-S (sS), eine Untereinheit des Enzyms RNA-Polymerase und verantwortlich für die Genaktivierung. Sigma-S bewirkt, dass die Bakterienzelle ihr Wachstum verlangsamt oder völlig einstellt.

In dieser stationären Phase wird die Proteinbiosynthese drastisch reduziert, gleichzeitig werden aber etwa 100 neue Proteine hergestellt, die der Zelle neue Eigenschaften verleihen. Sie wird dadurch extrem stressresistent und ist vorbereitet auf alle Eventualitäten – auch auf Gefahren, die sie noch nie erlebt hat. Ein umfassendes Prophylaxeprogramm wird also gestartet.

Hengge-Aronis isolierte den Regulator und identifizierte viele der Gene, die durch ihn reguliert werden. In aktiven, also normal wachsenden Zellen, ist Sigma-S praktisch nicht vorhanden. Bei Stress steigt sein Spiegel innerhalb von wenigen Minuten drastisch an. Sigma-S reguliert aber nicht nur die Genaktivierung. Das Protein wird auch selbst durch Stress beeinflusst. Unter normalen Bedingungen ist Sigma-S instabil und wird innerhalb von ein bis zwei Minuten wieder abgebaut. Stress verhindert diesen Abbau. „Ein Beispiel dafür, dass für die Lebensvorgänge in Bakterienzellen nicht nur die Biosynthese der Proteine, sondern auch deren kontrollierter Abbau – die Proteolyse – von existenzieller Bedeutung ist“, meint Hengge-Aronis.

Die Proteolyse lässt sich in lebenden Zellen messen, indem man die nichts ahnenden Bakterien kurzzeitig mit der radioaktiv-markierten Aminosäure Methionin-35S füttert. Das Schwefelisotop 35S wird dabei in alle gerade synthetisierten Proteine eingebaut. Nach einer Minute wird der Einbau durch Zugabe großer Mengen nicht-markierten Methionins gestoppt. Anschließend entnimmt man der Bakterienkultur zu verschiedenen Zeiten kleine Proben, tötet die Zellen ab und „fischt“ mit Antikörpern das gesuchte Protein heraus. Nimmt die nun gemessene Radioaktivität in der Probenreihe schnell ab, entspricht dies dem raschen Abbau des beobachteten Proteins.

Ob ein Gen gerade aktiv ist, lässt sich ebenfalls in vivo messen – durch Reporterfusionsanalyse. Dazu wird an das Gen ein „Reporter“, ein kleines Enzym oder das grün-fluoreszierende Protein einer Qualle, angehängt. Ist das Gen aktiv, verrät sich die Zelle durch Färbung bzw. Fluoreszenz im Enzymtest.

„Untersuchungen der Genregulation bei Bakterien geben uns wertvolle Einblicke in ihre raffinierten Überlebensstrategien“, sagt Regine Hengge-Aronis. „Im Gegensatz zu uns, nutzen sie allerdings das „Einigeln und Aussitzen“ nur als allerletzten Ausweg. Meist machen Bakterien das beste aus dem was sie vorfinden – vermutlich ist das der Schlüssel zu ihrem Erfolg.“

Catarina Pietschmann

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