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(französicher Autor Alain Robbe-Grillet zu Gast an der FU)

Vom Agronomen zum Literaten

Alain Robbe-Grillet (R.-G.) wurde 1922 in Brest geboren und wuchs in Paris auf. R.-G. gilt als einer der wichtigsten Vertreter des „Nouveau roman“, dessen Theorie er in Pour un nouveau roman (1963) entwickelt hat. Darin stellte er gegen die Annahme eines bedeutungsmächtigen Sinn- und Wirklichkeitszusammenhangs, der im Roman umfassend nachgebildet werden könne, die These von der dem Werk immanenten Bedeutung. An die Stelle der Fabel und der psychologisierten Figuren tritt die möglichst metaphernfreie Beschreibung der Oberflächenstruktur. Literarisch hatte R.-G. dieses Konzept schon in den 1950er Jahren u.a. in dem Roman La jalousie umgesetzt. Der gelernte Agronom schrieb auch Drehbücher und veröffentlichte kürzlich mit La reprise einen Berlin-Roman.

Aller Anfang ist schwer. „Langsam, langsam! Erst mal schauen, ob es mir da gefällt.“ Mit diesen Worten begleitete Alain Robbe-Grillet seinen zögernden Schritt über die Schwelle des Dekanatsgebäudes. Dann fiel sein Blick auf die kleine Runde von Romanisten, und unter der Vielzahl möglicher Perspektiven siegte die optimistische. Also sprach Robbe-Grillet: „C’est bien, je reste.“ R.-G., so das Signum des Autors in der französischen Öffentlichkeit, war im Rahmen seines Berlin-Besuchs der Einladung von Prof. Dr. Winfried Engler gefolgt, sich zu einer „Rencontre avec Robbe-Grillet“ an der FU einzufinden. Seine Reise nach Berlin hatte dabei bis zuletzt unter dem Signum höchster literarischer Lorbeeren gestanden: Nach Erscheinen seines neuen Romans La reprise hatten die Gerüchte um eine mögliche Verleihung des begehrten „Prix Goncourt“ an den Achtzigjährigen kein Ende genommen.

Auch La reprise folgt im Wesentlichen der Konzeption des Nouveau roman und weckt so die Geister alter Debatten. Das Berlin des Jahres 1949, das R.-G. dort beschreibt und das eine Stadt der Prostituierten, Geheimdienstagenten und anderer schräger Vögel ist, versteht der Autor als reine Konstruktion, als ein „Berlin imaginaire“.

Die zerstörte deutsche Stadt, führte der französische Intellektuelle aus, erzähle dabei den Mythos des Werdegangs der Menschheit schlechthin, und stehe für die ewige Wiederkehr des Ruinenförmigen und dessen „Aufhebung“ im Neuen. Ebenso sei jede ästhetische Entwicklung eine Geschichte der Zerstörung und Konstruktion. Hier allerdings entsteht eine Spannung zwischen der ästhetischen Forderung nach einer Topografie der Oberfläche und dem Rückgriff auf Berlin und dessen historische Implikationen. So tut sich auch in La reprise der vieldiskutierte Widerspruch zwischen der These, politische und soziale Ideen im Roman nicht darstellen zu können, und dem Rückgriff auf einen mythologischen Stoff auf.

Wirklichkeit als individuelle Konstruktion

Obwohl er einigen historischen Ereignissen und Details, wie etwa dem Aufenthalt Kierkegaards in Berlin, große Bedeutung für die Romanentstehung zusprach, zog sich der Autor immer wieder auf die Vorstellung von Wirklichkeit als einer rein individuellen Konstruktion zurück. Diese konstruktivistische Position mag in literarischer Hinsicht nachvollziehbar sein, sie wurde zumindest aber dort fraglich, wo R.-G. für einige Darstellungen historisch argumentierend einen Wahrheitsanspruch erhob. So vertrat der Autor entgegen dem Stand der Forschung die zweifelhafte These, dass die Schlacht von Bouvine und die Kanonade von Valmy nur nationale Legenden seien, stattgefunden aber hätten sie nicht. Wenn manches gewagt klang, so mussten die Ausführungen des Schriftstellers zur Geschichte des 3. Reichs den Zuhörer befremden. R.-Gs Subjektivismus verleitete ihn dazu, Tätigkeiten wie den Arbeitsdienst, den er von 1942 bis 1944 bei MAN leistete und den er selbst nicht in negativer Erinnerung habe, zu verharmlosen. Auf die Frage, ob das Verschwinden von Personen und die Praxis der deutschen Vernichtungslager nicht auffallend gewesen seien, antworte R.-G. mit dem zynischen Hinweis, dass an jedem Krankenhaus Krematorien gestanden hätten. Geschichtsbewertung wurde vom Autor nur vor dem eigenen Erfahrungshintergrund vorgenommen. Und wenn er anderen Zeitzeugnissen auch nicht ihre Legitimität absprach, so bestritt er doch die Bedeutung intersubjektiver Erkenntnisse für die Bewertung der Vergangenheit. Diese Haltung brachte R.-G. bisweilen in eine gefährliche Nähe zu revisionistischen Positionen. Nicht verwunderlich also, dass ihm von einigen Studenten heftig widersprochen wurde. Entzürnt über das Abschweifen von der literarischen Debatte, das er selbst durch seine historischen Ausführungen und nicht zuletzt durch seine Aussagen im SPIEGEL-Interview (45/2001) provoziert hatte, rief R.-G. schließlich zu seiner Verteidigung aufgebracht in die Runde, er sei eben politisch nicht korrekt. Verstört über die Implikationen seiner eigenen Fiktion suchte R.-G. den Weg zurück zur Ästhetik der Oberfläche.

Bernhard Hunger und Markus Meßling

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