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Jörg Ramseger und sein Team von der Universität der kuenste abgeworben

„Das Grundschulprojekt Gievenbeck war ein voller Erfolg“, sagt Prof. Dr. Jörg Ramseger, seit April 2001 Professor für Schulpädagogik am Fachbereich Erziehungswissenschaft und Psychologie, nicht ohne einen gewissen nostalgischen Stolz in der Stimme. Der 51-jährige Hamburger gehört zu den Wegbereitern für ein Grundschulsystem, das „die Kinder an die Erfordernisse der postindustriellen Gesellschaft heranführen will“.

Die Grundschule aus ihrem alten Trott zu reißen, ist seit Jahren das Ziel von Prof. Ramseger und seinem Team.

Gievenbeck, ein Stadtteil von Münster, steht in der Grundschulpädagogik als ein Synonym für das Modell einer „offenen“ Grundschule. Nach dem Studium in München und Regensburg entwickelte Ramseger 1979 als wissenschaftlicher Mitarbeiter bei Professor Dietrich Benner am Institut für Erziehungswissenschaft der Universität Münster eine Grundschule, die das konventionelle Rollenverständnis von Schülern und Lehrern völlig umkrempelte: „Öffnung von Schule bedeutet, dass nicht irgendwelche Lehrbücher und Lehrsätze, sondern die Fragen und die Erfahrungen der Kinder ins Zentrum des Unterrichts gestellt werden. Die Schüler sollten heraus aus ihrer passiven Rolle und sich die Umwelt selbständig aneignen – natürlich mit der Hilfe ihrer Lehrerinnen und Lehrer.“ Als sie beispielsweise am ersten Tag ihr Lesebuch bekamen, mussten sie beim Aufschlagen feststellen, dass es leer war. „Sie sollten es selber schreiben – und sich dabei die Schriftsprache aneignen, jeder auf seinem eigenen Weg und in seinem eigenen Zeittakt.“ Lesenlernen nach dem „Spracherfahrungsansatz“ nannte die Fachwelt später diese Methode, die in anderen Ländern schon viel früher entwickelt worden war, aber in Deutschland bis dahin kaum bekannt war.

Initiative aus eigener Erfahrung

Aus seiner Abneigung gegen langweiligen Schulunterricht, unter dem er in seiner eigenen Schulzeit so oft gelitten hatte, entwickelte sich bald sein Lebensthema: schulische Innovationsforschung. Als er 1992, inzwischen habilitiert, als ordentlicher Professor für Grundschulpädagogik an die Hochschule der Künste nach Berlin berufen wurde, dauerte es noch zwei Jahre bis zur Gründung einer eigenen Forschungseinrichtung, der „Arbeitsstelle Bildungsforschung Primarstufe“, die ABP (www.fu-berlin.de/abp). Er und seine sechs Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter verstehen sich als „wissenschaftlicher Produktionsbetrieb“. Die ziel- und projektorientiert arbeitende und „ohne den altehrwürdigen Staub der Institutionen“ organisierte Einrichtung finanziert sich zum großen Teil durch Drittmittel.

Derzeit ist die Arbeitsstelle mit zwei landesweiten Schulversuchen betraut. Ein von Schulsenator Klaus Böger in Auftrag gegebenes Großprojekt betrifft die Grundschulreform in Berlin. Das Team um Jörg Ramseger hat die wissenschaftliche Begleitung des Teilprojektes „Verlässliche Halbtagsgrundschule“ übernommen, in der auch Programmpunkte in Berlin ausprobiert werden sollen. Erfahrungen, die Ramseger bereits vor zwanzig Jahren in Münster gesammelt hat, fließen hier mit ein, die Rhythmisierung des Tagesverlaufes zum Beispiel oder die Zusammenarbeit von Schule und Institutionen der Jugendhilfe. Daneben ist Ramseger in der Projektgruppe zur Erprobung des neuen Lernbereichs „Lebensgestaltung – Ethik – Religionskunde“ in der Grundschule in Brandenburg tätig. Weitere Projekte sind in Vorbereitung.

Das ganze Team übernommen

Der Fachbereich Erziehungswissenschaft und Psychologie der Freien Universität hat die ABP von der Universität der Künste – ehemals Hochschule der Künste – „abgeworben“, nachdem dort im Zuge der Neuordnung der Lehrerbildung in Berlin die Erziehungswissenschaft allmählich abgebaut werden soll. Es gelang in kürzester Zeit, alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter von Ramseger komplett zu übernehmen. Damit erfährt die Bildungsforschung an der Freien Universität eine deutliche Verstärkung.

Kaum angekommen, reiste der Bildungsforscher gleich nach Afrika weiter, um im Auftrag der Gesellschaft für Technische Zusammenarbeit (GTZ) Alphabetisierungsprojekte der Weltbank zu evaluieren. Die Kinder müssten dort teilweise unter erbärmlichen Verhältnissen Lesen und Schreiben lernen, häufig sogar in einer fremden Sprache, denn in ihrer Muttersprache gebe es oft nicht einmal eine Schriftkultur, schildert Ramseger die Situation.

„Es ist äußerst schwierig für ein Kind, in einer schriftarmen Umwelt Lesen und Schreiben zu lernen, zumal dann, wenn es sich nicht um seine Muttersprache handelt“, sagt Ramseger. Doch die Alphabetisierung ist nicht nur ein Thema der sich entwickelnden Länder, wie der Bildungsforscher zu berichten weiß: Mit den Flüchtlingsströmen wachse das Problem der Alphabetisierung von Kindern in einer fremden Sprache auf der ganzen Welt. „Es fängt bereits vor unserer Haustüre an. Denn wie Migrantenkindern das Schreiben in der neuen Sprache lernen sollen, ist auch in Berlin ein ungelöstes Problem.“ Nicht ausgeschlossen, dass sich daraus ein neuer Arbeitsschwerpunkt für seine Forschungsstelle entwickelt. „Die nötige Fachkompetenz habe ich schon in meiner Mitarbeitergruppe“, sagt Ramseger, der Wert auf die Feststellung legt, dass er nicht allein, sondern im Team an die Freie Universität gekommen ist.

FU-N

Foto: Langenbach
Foto: Ausserhofer

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