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FU-N 5/2000
Hochschule
   

Die Philosophie der Dahlem-Konferenzen
In Klausur auf der Suche nach Erkenntnis

Von Catarina Pietschmann

Was ist ein Kulturgut und soll für die Nachwelt erhalten bleiben? Daran scheiden sich die Geister.

Foto: Glaser

Aufregende und kontroverse Diskussionen lagen hinter ihnen, als die Teilnehmer des letzten Dahlem Workshops zur Pressekonferenz baten. Vom 26. bis 31. März 2000 debattierten sie über "Rationale Entscheidungsfindung bei der Erhaltung unseres Kulturerbes". Keine leichte Aufgabe, denn schon die Frage: was ist erhaltenswert und was nicht, ist kaum zu beantworten. Über Fachgrenzen hinweg haben Museumskuratoren, Naturwissenschaftler und Restauratoren mit Ökonomen und Historikern unterschiedliche Standpunkte diskutiert, neue Wege gesucht und dabei mehr Fragen als Antworten gefunden. Mit großem Enthusiasmus berichteten die Wissenschaftler von einer arbeitsintensiven Woche – von einem außergewöhnlichen und in seinem Konzept auf der Welt wohl einzigartigen Workshop.

The Dahlem Konferenzen have become widely known as an exclusive and very important organization in an international perspective - it has made Berlin a meeting place for leading scientists from all parts of the world.

Prof. S. Grillner, Nobel Institute, Stockholm, Schweden

1974 vom Stifterverband der Deutschen Wissenschaft ins Leben gerufen, finden die Dahlem-Konferenzen seit 1990 unter dem Dach der Freien Universität statt. Zu den bisher 80 Konferenzen kamen insgesamt über 3.000 namhafte Wissenschaftler nach Berlin – darunter zahlreiche Nobelpreisträger. Die breit angelegten Themen haben ihre Wurzeln überwiegend in den Naturwissenschaften und reichen von der Zwillingsforschung über Form und Funktion von Nervensystemen, Molekulare Aspekte des Alterns, Strategien des mikrobiellen Lebens bis hin zur Evolution des Universums – um nur einige zu nennen. Die Tagungssprache ist Englisch. Für die Zukunft ist eine Ausweitung auf sozial- und geisteswissenschaftliche Fragestellungen geplant.

Zu den Konferenzen – die nicht nur workshops heißen, sondern es im besten Sinne des Wortes auch sind – werden etwa 40 führende Wissenschaftler eingeladen. Bereits ein Jahr im voraus trifft sich eine Vorhut von fünf Teilnehmern in Berlin, um die Konferenz im Detail vorzubereiten. Themenkreise für die vier Arbeitsgruppen werden formuliert, die weiteren Gäste ausgewählt und vier Grundlagenpapiere (backgroundpapers) angefertigt, die zwei Monate vor dem Workshop allen Teilnehmern zur Vorbereitung zugeschickt werden. Denn das Motto der Gründerin Dr. Silke Bernhard – "You should talk about what you don’t know, rather than what you do know" – hat bis heute Gültigkeit.

There are many other conference-organizing bodies worldwide, but the Dahlem Konferenzen is so unique that no other organization can compare.

Prof. M. Ito, Science Council of Japan, Tokyo, Japan

Weitgefächerte Interdisziplinarität gehört ebenso zum Konzept wie die völlige Isolation während der Tagung. "Wer hierher kommt und die Woche zum Sightseeing nutzen will, hat Pech", sagt Prof. Klaus Roth, der seit 1992 als Direktor die Konferenzen leitet und bei jedem Workshop dabei ist. Getagt wird abgeschirmt von der Öffentlichkeit im Clubhaus der FU. Nur geladene Journalisten ausgewählter Fachjournale wie Nature und Science haben Zutritt. Nach anfänglichen Platzkämpfen um die Führung der Gruppen stellt sich bald eine corporate identity ein, denn gemeinsames Ziel ist es, neue Perspektiven zu erarbeiten und diese an die Scientific Community weiterzugeben. Jede der vier Arbeitsgruppen wählt einen Rapporteur, der die Kernpunkte der Diskussionen und die unterschiedlichen Standpunkte der Teilnehmer in einem groupreport festhält.

Der FU-Neurobiologe Prof. Randolf Menzel war selbst mehrfach dabei – sowohl als Rapporteur als auch als Chairperson – und sitzt im Wissenschaftlichen Beirat der Dahlem-Konferenzen. Das Besondere für ihn ist der Stil, in dem die Workshops abgehalten werden: "Durch das strenge Konzept wird im voraus verhindert, dass jemand seine Forschungsergebnisse einfach abladen kann und sich dann zurücklehnt. Jeder muss sich offen der Diskussion stellen und sich mit der Argumentation der Teilnehmer auseinandersetzen. Wer die backgroundpapers vorher nicht intensiv studiert hat, bekommt bereits am ersten Tag ein schlechtes Gewissen und hat eine lange Nacht vor sich."

Am sogenannten "Open Friday" werden Wissenschaftler aus Berlin und der Umgebung eingeladen, mit den Konferenzteilnehmern zu diskutieren. Aber auch danach ist die Arbeit noch nicht zu Ende, denn dann werden die groupreports bearbeitet und ergänzt und etwa ein Jahr später – zusammen mit den backgroundpapers – als Tagungsband herausgegeben.

Der nächste Workshop findet vom 13. – 17. November 2000 statt und steht unter dem Thema: "Coping with Challenge: Welfare in Animals Including Humans". Diskutiert wird die Anpassung von Mensch und Tier an die Umwelt unter physiologischen, psychologischen und immunologischen Aspekten des Verhaltens.

Info

Nähere Informationen über die Dahlem-Konferenzen im Internet unter

www.fu-berlin.de/dahlem