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Verleihung der Ernst-Reuter-Preise 1999
Die Ernst-Reuter-Gesellschaft vergibt jedes Jahr am 4. Dezember, dem Gründungstag der Freien Universität Berlin, den mit DM 10.000 dotierten Ernst-Reuter-Preis an die besten Dissertationen des Vorjahres. Quer über alle Fachdisziplinen werden die von allen Fachbereichen vorgeschlagenen Dissertationen durch eine Kommission nach Begutachtung und intensiver fachlicher Prüfung bewertet und die herausragenden, die Wissenschaft weiterführenden, als preiswürdig ausgewählt. Die vier Preisträger, die am Ernst-Reuter-Tag 1999 ihre Preise aus der Hand des FU-Präsidenten Prof. Peter Gaehtgens entgegen nahmen, stellen sich hier vor. Dr. Sebastian Conrad Sowohl in Deutschland als auch in Japan war nach 1945 der Umgang mit der nationalen Geschichte zum Problem geworden. Nicht nur die unmittelbare Vergangenheit schien nach der Erfahrung des Faschismus diskreditiert; die Forderung nach "Vergangenheitsbewältigung" betraf in einem weiteren Sinne die gesamte moderne Geschichte. Zugleich war das Bedürfnis verbreitet, die vorherrschende nationalgeschichtliche Perspektive zu überwinden und die Vergangenheit der Nation in einen größeren Kontext einzuschreiben. Bei der jeweiligen Rekonstruktion der Vergangenheit lässt sich eine Reihe kultureller Unterschiede ausmachen, die der unterschiedlichen Nachkriegsentwicklung geschuldet sind. Dessen ungeachtet führte die Ähnlichkeit der Ausgangslage (Überwindung des Faschismus, Niederlage, Kapitulation und militärische Besatzung) in Westdeutschland und Japan dazu, dass häufig ähnliche argumentative Strategien und Deutungsmuster bemüht wurden. Dazu zählten etwa die Vorstellung von der eigenen Nation als "Opfer" der Moderne, die "Erfindung der Zeitgeschichte" oder die Verortung der nationalen Geschichte zwischen "Ost" und "West".
Fachbereich: Titel der Dissertation: Betreuer: Prof. Dr. Jürgen Kocka Die Dissertation ist 1999 bei Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen, erschienen. Dr. Bertram Gerber Das Thema der Dissertation steht in der Tradition des klassischen Pavlovschen Lernens. Dieses Lernen wurde zunächst für automatisch und "unbewusst" gehalten. Spätere Experimente zwangen jedoch dazu, selbst für solch einfache Lernformen "bewusstseinsartige Phänomene wie Aufmerksamkeit einzubeziehen. In meiner Dissertation habe ich diese Experimente an der Honigbiene durchgeführt. Honigbienen lernen, einen Duft mit einer Fütterung durch Zuckerwasser zu verbinden. Es wird getestet, ob ein Vor-Training mit einem Duft A (A+) Einfluss auf das Lernen eines Duftes B hat, wenn in einer zweiten Phase A und B gemeinsam trainiert werden. Bei Säugetieren, einschließlich des Menschen, findet man, dass ein solches Vortraining mit A das Lernen über B blockiert: Da man während des AB+ Trainings auf den vorher trainierten Duft A "achtet, schenkt man B keine Aufmerksamkeit. Entgegen den Befunden einer amerikanischen Arbeitsgruppe konnte ich keine Aufmerksamkeitsphänomene finden, wenn einige experimentelle Artefakte ausgeschaltet wurden. Daher sollte man Honigbienen keine Fähigkeit zur Aufmerksamkeit zuschreiben.
Fachbereich: Titel der Dissertation: Betreuer: Prof. Dr. Randolf Menzel
Bei der Ursachenforschung für chronisch-degenerative oder psychische Erkrankungen wie Krebs und Depressionen ist es gängige epidemiologische Praxis, nach statistisch belegbaren Risikofaktoren zu suchen. Im Zuge der globalen "Wiederkehr der Infektionskrankheiten" wird das Risikofaktorenmodell auch bei Krankheiten wie dem AIDS-auslösenden HIV angewendet. In einer Kritik wird theoretisch aufgezeigt, dass die statistische Ermittlung relativer Erkrankungsrisiken, die Effektivität eines Übertragungsweges und die Wahrscheinlichkeit, auf einen Infizierten zu treffen, konfundiert. In Metaanalysen zum HIV-Risiko durch unsteriles Spritzen bzw. ungeschützten Sexualverkehr bei intravenös spritzenden Drogenkonsumenten wurden die weltweit verfügbaren Daten (40.000 Fälle) reanalysiert und durch zwei eigene Untersuchungen ergänzt. Es zeigte sich, dass Schätzungen des relativen Infektionsrisikos deutlich von der lokalen HIV-Prävalenz abhingen und dass die Belastung mit Alltagsstressoren, Desinfektionstechniken und Partnerselektionsstrategien als wichtige Randbedingungen dafür gelten müssen, ob infektionsrelevantes Verhalten tatsächlich zur Infektion führt. Für die Präventionspraxis liegt in der Übernahme des Risikofaktorenmodells die Gefahr, dass es systematisch zu instabilen und irreführenden Risikobewertungen potenzieller Übertragungswege kommt. Es wird daher eine Neuorientierung in Richtung kontextbezogener Analysemodelle empfohlen.
Fachbereich: Titel der Dissertation: Betreuer: Prof. Dr. Dieter Kleiber
Was ist Kunst? Gibt es sie überhaupt und (wie) lassen sich ästhetische Erfahrungen von anderen unterscheiden? Die Überlegungen beginnen mit der These, dass Philosophen diese Fragen bis in die Gegenwart hinein stets über den Nachweis einer besonderen affirmativen oder subversiven Beziehung der Kunst zur Wahrheit zu beantworten versucht haben. Auf diese Weise wurde und wird Kunst zum Ort der Erfahrung des Wesentlichen, Höchsten oder ganz Anderen verklärt Kunst wird Erkenntnis und verliert ihren Eigensinn. Das wird exemplarisch ausgeführt in kritischer Auseinandersetzung mit der Hermeneutik Gadamers, der die Kunst zur "Wesenserkenntnis" stilisiert, und in einer Dekonstruktion Derridas, der die Literatur zum privilegierten Schauplatz der Subversion der Wahrheitsorientierung sowie des Verstehens macht. Im Rückgriff auf Schlegel wird dann gezeigt, dass die ästhetische Erfahrung von Kunst nicht ein besonderes, höheres oder scheiterndes Verstehen ist, sondern ein Spiel auch und gerade ein Spiel mit der Wahrheit. Die "Ästhetik des Spiels", die beansprucht, Hermeneutik und Dekonstruktion in das richtige Verhältnis zu setzen, restituiert ästhetische Objekte in ihrer Eigenlogik und bewahrt sie gleichzeitig davor, bloße Kompensationsphänomene zu sein. In einem abschließenden Exkurs zum Theater von Christoph Marthaler stellt die Autorin die eigenen Überlegungen auf die Probe.
Fachbereich: Titel der Dissertation: Betreuer: Prof. Dr. Albrecht Wellmer Ernst-Reuter-Stipendien
Am 4. Dezember wurden neben den Ernst-Reuter-Preisen auch die 1998 eingerichteten mit 15.000 DM dotierten Ernst-Reuter-Stipendien der FU durch Edzard Reuter, Schirmherr des Programms, vergeben. Die Stipendiaten 1999 sind:
Info
Berlin-Forschung Regionalforschungsprogramm der Freien Universität Berlin für junge Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen: Förderung anwendungsbezogener Nachwuchsforschung über besondere Fragestellungen, die sich auf Berlin und/oder die Region beziehen und aus der Metropolen- bzw. Hauptstadtfunktion resultieren. Berliner Graduiertenförderung NaFöG: Stipendien zur Vorbereitung der Promotion und zum Abschluss einer weit fortgeschrittenen Dissertation. Förderung von Nachwuchswissenschaftlerinnen an der Freien Universität Berlin: Förderung von Frauen in der Wissenschaft (Wegen Auslaufen des Hochschulsonderprogramms Ende 2000 [vgl. S. 9] können Anträge derzeit nicht entgegengenommen werden.) Ernst Reuter Preis Dissertationspreis der Ernst-Reuter-Gesellschaft (ERG): Prämierung von 4 hervorragenden Dissertationen (summa cum laude) eines Jahres an der Freien Universität Berlin. Joachim-Tiburtius-Preis Preis für Abschlussarbeiten des Landes Berlin. Jährlich werden je drei Preise sowie zusätzlich drei Anerkennungspreise an Doktoranden der Berliner Hochschulen für hervorragende Dissertationen und drei Preise an Berliner Fachhochschulabsolventen für hervorragende Diplomarbeiten verliehen. |
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