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"Die meisten Studierenden sehen den Freischuss doch nur als einen besseren Klausurenkurs!" Diese gängige Meinung durfte auch der Autor dieses Artikels jüngst wieder aus dem Munde eines mit Korrektur von Referendarexamensklausuren befassten Praktikers hören. Mit dieser Einstellung lässt sich gleich viel leichter über die schlechte Befähigung des heutigen Juristennachwuchses jammern. Aber wird der Freischuss tatsächlich nicht ernst genommen? Diese These ist nachhaltig zu bezweifeln. Nur wer überschüssig Geld und Nerven übrig hat, wird sich auf einen nicht ernst gemeinten Examensversuch einlassen, und das dürften die wenigsten sein. Woher kommt dann der falsche Eindruck? Etwa aus den dürftigen Leistungen mancher Kandidatinnen und Kandidaten? Diese können auch auf anderen Gründen beruhen. Zum Beispiel auf der Institution des Freischusses selbst. Diese Schuldzuweisung überrascht vielleicht, wird das Freiversuchs- examen doch durchweg als das Allheilmittel gegen lange Studienzeiten - und damit auch gleich gegen alle anderen Defizite der Juristenausbildung - angesehen worden. Die Propagisten des Freiversuchs dürfen sich in den bundesweit sinkenden Studienzeiten bestätigt sehen. Wenn die Einführung des Freiversuchs wirklich nur die Studienzeiten verkürzen sollte, hat dieser seine Mission erfüllt. Aber um welchen Preis?
Die Juristerei ist nicht nur "Kopfarbeit", wie jüngst ein bekannter Verlag in seinen Anzeigen bekannt gab, sondern auch eine Form von Handwerk. Handwerk allerdings auf dem intellektuell hochstehendem Niveau einer sehr komplexen Wissenschaft. Dies scheint leider bei der Einführung des Freiversuchs aus dem Blickfeld geraten zu sein. Denn Juristerei lässt sich nicht durch Vorexerzieren erlernen, sondern nur durch die Entwicklung einer eigenen Arbeitsmethode. Diese aber setzt umfängliche Kenntnisse des Rechts voraus, die man zuerst mit einiger Mühe erwerben muss. Die juristische Universitätsausbildung beginnt also mit einem Aufnahmeprozess und geht dann nach und nach in einen Verstehensprozess über. Erst sitzt man im Hörsaal und hört zu. Später beginnt man, das ganze bis in die Tiefe zu durchschauen, und schließlich ist man selbst in der Lage, über das bloße Reproduzieren hinaus kreative juristische Arbeitsleistung zu erbringen. Dann erst kann der Examensstoff mit Aussicht auf Erfolg in Angriff genommen werden, da er - außer von Gehirnakrobaten, die meistens schlechte Juristen werden - ohne das Vorverständnis der Strukturelemente von einem normalen Menschen sonst gar nicht aufgenommen werden kann. Dieser Prozess ist vielschichtig. Wer ihn durchlaufen hat, weiß, dass er selten linear verläuft.
Es liegt auf der Hand, dass die Verkürzung der Studienzeit auf faktisch fünf Semester plus Repetitor die Gefahr birgt, dass sich die Mehrzahl der Kandidatinnen und Kandidaten erst am Anfang der Verstehensphase oder gar noch in der Aufnahmephase befindet, wenn die Examensklausuren absolviert werden. Dann aber ist der Eindruck, diese nutze die JPA- Klausuren als Klausurenkurs, kaum mehr verwunderlich. Entgegen der Auffassung der eingangs erwähnten Prüfer liegt dies aber zumeist nicht an den sich selbst überschätzenden Kandidaten, sondern an dem Zeitdruck, der sie zwingt, "halbfertig" in die Prüfung zu gehen - ohne sich dessen bewusst zu sein. Der Freischuss selbst ist damit die Ursache, warum er diesem "Missbrauch" ausgesetzt ist. Wieso glaubt jemand, der vor Jahrzehnten ein gänzlich anderes Erstes Staatsexamen abgelegt hat, die Situation der heutigen Kandidaten überhaupt beurteilen zu können? Wer sich der Frage "Freischuss oder nicht?" nicht ausgesetzt sah, dürfte wohl kaum die Zwickmühle nachempfinden können, in die Herdentrieb, Geldsorgen und das Bemühen um einen makellosen Lebenslauf den potentiellen Kandidaten treiben.
Was kann nun gegen diesen Missstand unternommen werden? Einige Ansätze hierzu bieten die jüngsten Reformen etwa der Studienordnung am Fachbereich Rechtswissenschaft der FU. Bekämpft werden soll dabei das angebliche Übel, dass nicht von Anfang an konsequent auf das Examen gelernt wird. Die Ausbildung soll "gestrafft" werden. Angesichts des oben dargestellten Ablaufs kann dies nur bedeuten, die Phase vertieften Verstehens früher einsetzen zu lassen. Im Ansatz nicht schlecht, nur: Wie soll dies bewerkstelligt werden? Offenbar durch zunehmenden Einsatz von Kleingruppen, die zukünftig die Regelform des universitären Unterrichts bilden sollen. Dahinter steht wohl die Überlegung, dass die Studierenden sich ihre Arbeitsmethode einfach "abschauen" sollen, anstelle sie selbst zu entwickeln. Davor soll an dieser Stelle nachhaltig gewarnt werden.
Jede akademische Ausbildung steht vor der Aufgabe, zu einer Arbeit zu befähigen, die eben nicht bis ins Detail vorgedacht und vorgemacht werden kann. In der Rechtswissenschaft muss der Student selbst mit seiner eigenen Methode die Lücke zwischen dem abstrakten Rechtsstoff und der lebendigen Wirklichkeit ausfüllen. Dies kann ihm niemand abnehmen, wenn die Ausbildung Erfolg haben soll. Denn wenn die Methode nur nachgekaut wird, scheitert der Kandidat vielleicht nicht im Examen, mit Sicherheit aber später. So produziert die freischussorientierte Juristenausbildung weiter Geprüfte Rechtskandidaten, die ein Examen in der Hand haben und gleichwohl verloren sind, wenn sie abseits der ausgetretenen Pfade der universitären Stoffkanones geraten. Dort gibt es nichts mehr nachzukauen, dort ist juristisch-handwerkliche Befähigung gefordert. Dies ist - wenn nicht schon im Referendariat - jedenfalls in der Berufspraxis der Fall. Die Bemühung, die negativen Wirkungen des Freischusses abzufedern, produziert also letztlich auf dem Papier befähigte, tatsächlich aber nicht ausreichend ausgebildete Juristen. Das mag den Universitäten und dem Geldgeber Staat gleichgültig sein, richtet aber größten Schaden an.
Die konsequenterweise zu erhebende Forderung nach einer Abschaffung des Freischusses sieht sich erheblichen Bedenken ausgesetzt. Bei Wegfall jeden Drucks wird ein Horrorszenario an die Wand gemalt, als das die zu erwartende Rückkehr zu längeren Studienzeiten und sinkenden Absolventenzahlen allgemein empfunden wird. Hierzu sei angemerkt, dass die heute so bekämpfte Freiheit des akademischen Studiums auch erhebliche Bedeutung für die Befähigung zur juristischen Arbeit hat. Wer schon mit den Freiheiten einer akademischen Ausbildung nicht zurechtkommt, wird später auch erhebliche Probleme mit den Freiheiten des hierdurch vermittelten Berufes haben. Im Studium Druck aufzubauen, der später fehlt und daher letztlich - wenn nicht zum beruflichen Scheitern - zu unterwertiger Tätigkeit führt, ist ein gefährlicher Irrweg. Warum wird er dennoch beschritten? "Weil die heutigen Studierenden sonst nicht zum Abschluss kommen!", scheint die naheliegende Antwort zu sein. Die Frage, ob die Studierenden denn überhaupt an einem Examen interessiert sein können, das kaum noch etwas über ihre tatsächliche Befähigung zu praktischer juristischer Tätigkeit aussagt, hat augenscheinlich noch niemand gestellt. Der Autor hat sein Erstes Staatsexamen nach siebensemestrigem Studium der Rechtswissenschaft an der FU "vollbefriedigend" abgelegt und absolviert momentan den juristischen Vorbereitungsdienst. (erschienen im DEFO-Info Nr. 42 vom WS 2000) |
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