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"...daß Recht die Wirklichkeit sei, die den Sinn hat der Gerechtigkeit zu dienen." Gustav Radbruch Je länger ich mich mit Recht beschäftigte, desto größer wurde mein Vertrauen in die Normen. Mit ihrer Hilfe und der Kunst der Interpretation würde ich eines Tages der Menschheit helfen und die Welt verbessern. So groß blieb die Erwartung leider doch nicht, denn es gab schon den ersten "kleinen" Ikarussturz. Das gerade gelernte Mängelgewährleistungsrecht rief nach Anwendung, da die Kaufsache einen Fehler hatte. Jetzt würde es sich zeigen, weshalb ich fast jeden Tag mein BGB mit mir herumtrage. Die erste Diskussion verlor ich. Es gab schriftlich festgehaltene Prinzipien und an diese hatte sich die Angestellte zu halten. Der berühmte Spruch: "Ein Blick ins Gesetz hilft der Rechtsfindung" kam mir ins Bewußtsein. Hier stand es schwarz auf weiß, daß ich wandeln könne. Der Erfolg war riesig. Man verstand meinen Zorn, aber sie hatten ihre Prinzipien. Dies ist nur eine Lappalie im Vergleich zu den Fällen, welche Heinrich Hannover in seinem zweibändigen Werk "Die Republik vor Gericht" darstellt. Aus der Sicht des meist sehr hoffnungslosen Verteidigers beschreibt er die herausragenden Fälle seines Lebens. Auf einigen liegt leider nicht einmal ein Schimmer der Gerechtigkeit. Wir wollen im Folgenden einige dargestellt Begebenheiten kurz wiedergeben, um aufzurütteln und zu zeigen, wie bedroht die Gerechtigkeit in unserer Rechtsordnung sein kann. Carl von Ossietzky, der große Pazifist und Demokrat, wurde im Jahre 1931 wegen Landesverrats vom Reichsgericht verurteilt. Mit viel juristischer Spitzfindigkeit wurde dieses Urteil noch im Jahre 1992 aufrechterhalten. In der Weltbühne vom 12. März 1929 erschien der Artikel "Windiges aus der deutsche Luftfahrt" vom Journalisten Walter Kreiser, Herausgeber und verantwortlicher Redakteur war Carl von Ossietzky. Dieser Artikel war Auslöser des folgenden Prozesses. Ein Teil des Aufsatzes befaßte sich mit Vorgängen auf dem bei Berlin gelegenen Flugplatz Johannesthal-Adlershof: "Auf der Adlershofer Seite bestand als besondere Gruppe der deutschen Versuchsanstalt für Luftfahrt eine sogenannte Abteilung M. Als beim vorjährigen Luftfahrtetat der sozialistische Abgeordnete Krüger im Haushaltsausschuß die Regierungsvertreter um Auskunft bat, zu welchem Zweck die Abteilung M da sei, bekam er keine Antwort, denn sonst hätten die Behörden darauf aufmerksam machen müssen, daß M auch der Anfangsbuchstabe des Wortes Militär ist." Dieser Teil des Artikels wurde später als Landesverrat und Verrat militärischer Geheimnisse gewertet. Daß die Äußerungen des Abgeordneten im Reichstagsausschuß nicht den Beweis erbringen könne, daß allen interessierten Kreisen im In- und Ausland die Nachrichten bekannt waren, wurde im Reichswehrministerium in einem gutachterlichen Stellungnahme behauptet. Es wurde daraufhin Anklage gegen Kreiser und Ossietzky erhoben. Die Veröffentlichung sei dem Wohle des Deutschen Reichs abträglich gewesen Die Kritiker der Verstöße der deutschen Regierung gegen die verbindlichen Bestimmungen des Friedensvertrages wurden von der Justiz mit dem Landesverratsverfahren zum Schweigen gebracht. Carl von Ossietzky wurde zu anderthalb Jahren Gefängnis verurteilt und schrieb in seinem Abschiedsartikel: "Ich gehe nicht aus Gründen der Loyalität ins Gefängnis, sondern weil ich als Eingesperrter am unbequemsten bin. Ich beuge mich nicht der in roten Sammet gehüllten Majestät des Reichsgerichtes, sondern bleibe als Insasse einer preußischen Strafanstalt eine lebendige Demonstration gegen ein höchstinstanzliches Urteil, das in der Sache politisch tendenziös erscheint und als juristische Arbeit reichlich windschief." Am 23. November 1936 wurde ihm der Friedensnobelpreis verliehen. Am 4. Mai 1938 starb Carl von Ossietzky an den Folgen der KZ-Haft. Am 1. März 1990 wurde der Wiederaufnahmeantrag beim Kammergericht Berlin eingereicht. Als neue Beweismittel wurde ein Sachverständigengutachten vorgelegt, mit dem gezeigt werden sollte, daß die im Artikel beschriebenen Tatsachen der französischen Armee bekannt waren. Die Antwort des Kammergerichts war sehr einfach: "Der Umstand, daß ausländische Regierungen über die geheime Wiederaufrüstung des Deutschen Reiches waren, begründet allenfalls die unbestimmte Vermutung, daß ihnen auch die im Zusammenhang mit dem Flugplatz aufgedeckten Vorgänge schon vor der Veröffentlichung bekannt waren." Der Bundesgerichtshof entschied über die Beschwerde im Beschluß vom 2.12.1992. "Nach der Rechtsprechung des Reichsgerichtes schloß die Rechtswidrigkeit der geheimgehaltenen Vorgänge die Geheimniseigenschaft nicht aus. Jeder Staatsbürger schuldet nach Auffassung des Reichsgerichtes seinem Vaterland eine Treuepflicht des Inhalts, daß das Bestreben nach der Einhaltung der bestehenden Gesetze nur durch eine Inanspruchnahme der hierzu berufenen innerstaatlichen Organe und niemals durch eine Anzeige bei ausländischen Regierungen verwirklicht werden durfte." Die Beschwerde wurde abgelehnt. Derartige weitere Urteile, deren Ergebnisse letztendlich entscheidend von der politischen Couleur der Betroffenen beeinflußt sind, finden sich zuhauf in Hannovers Buch. Daß jedoch auch bei politisch neutralen Fällen die Wahrheitsfindung gelegentlich hinter subjektiven Werturteilen und der Unfähigkeit, Fehler einzugestehen, zurücktreten muß wird auch beschrieben. Erschreckend ist nicht nur das Urteil sowie die Art, wie mit dem Angeklagten umgegangen wurde, sondern vor allem die Versuche der Richter, das Ergebnis durch rechtlich zweifelhafte Methoden zu manipulieren. Ein Sachverhalt z.B. stellt sich folgendermaßen dar: Im Jahre 1987 kam es in einer norddeutschen Diskothek zwischen dem Betreiber sowie einer Besucherin zu einer Auseinandersetzung, in deren Verlauf die Besucherin vor die Tür gesetzt wurde. Im Anschluß wurde der Betreiber von Bekannten der vor die Tür gesetzten, die mit dem Rausschmiß nicht einverstanden waren, brutal zusammengeschlagen. Trotz eines vom Betreiber daraufhin erklärtes Hausverbot versuchten mehrere der Beteiligten an dem sich dagegen wehrenden Wirt vorbei in die Gaststätte zu gelangen. Im Verlauf dieser Auseinandersetzung, bei der sich der Wirt einer Gruppe von 20- 25 jungen Leuten gegenübersah, verletzte dieser einen der Einlaß Begehrenden mit einem Messer tödlich. Von vornherein bestand an dem für diesen Fall zuständigen Gericht eine Voreingenommenheit gegenüber dem Wirt, welcher bereits zuvor straffällig geworden war. Da es sich laut Rechtsprechung bei dem Hausrecht um ein notwehrfähiges Gut handelt und der Wirt in Anbetracht fehlender anderer Alternativen auch ein Recht hatte, dieses bewaffnet zu verteidigen, war dessen Handeln grundsätzlich gerechtfertigt. Um dieses Hindernis auf dem Wege zu einer Verurteilung zu umgehen, wurde, obgleich die Zeugenaussagen keinerlei Hinweise darauf gaben, Wut und Rache als Tatmotiv ausge- macht und so eine rechtsmißbräuchliche Notwehr konstruiert. Entsprechend holprig und widersprüchlich war denn auch die Urteilsbegründung, so daß das Urteil in der Revision vom Bundesgerichtshof verworfen wurde. Die neu angesetzte Verhandlung, welche aufgrund des emotional belasteten Klimas vom Bundesgerichtshof nun an ein anderes Gericht verwiesen wurde, sollte zu einer Farce werden. Unter anderem dadurch, daß der Vorsitzende des ursprünglichen Gerichts an das neu ausgewählte Gericht versetzt wurde, wo er in dem neuen Vorsitzenden einen guten Kantinengenossen fand. Von vorneherein war ersichtlich, daß eine Bestätigung des vorhergegangenen Urteils Ziel des Gerichts war. Im folgenden möchte ich das Vorgehen des Gerichts auf dem Wege dorthin beschreiben. Ein Zeuge, der zugunsten des Wirtes ausgesagt hatte, wurde von einem anderen Zeugen, der zuvor von demselben Gericht als unglaubwürdig eingestuft worden war, der Falschaussage beschuldigt. Die Folge war ein weiterer, jedoch ergebnislos verlaufender Prozeß. Eine als Sachverständige herangezogene Psychologin, welche entgegen der herrschenden Gerichtsmeinung einen Verteidigungswillen i.S.d. Notwehr konstatiert hatte, wurde solange mit kurzfristigen Anberaumungsterminen konfrontiert, bis es dem Gericht gelang "Terminschwierigkeiten" bei ihr auszumachen, und so einen zweiten, auf der Linie des Gerichts liegenden Sachverständigen hinzuzuziehen. Als der Anwalt sich gegen dieses rechtsstaatlich doch äußerst zweifelhaftes Vorgehen zu wehren begann und auch die Presse an dem Fall Interesse zeigte, reagierte das Gericht prompt. Die weiteren Verhandlungstermine wurden in die lange zuvor bekannte Urlaubszeit des Anwalts gelegt und die Anklage gegen den Wirt von Totschlag auf Mord umgeändert. Weiterhin wurde als Sachverständiger zum Thema Gewalt in Gaststätten und Discotheken der Besitzer eines Nobellokales geladen sowie entlastende Vermerke in den Gerichtsakten aufgrund von "Unleserlichkeit" unterschlagen. Die Aufzählung dieser Zwischenfälle, die keinesfalls abschließend ist, muß aufgrund von Platzgründen reichen. Den ganzen Prozeß über (3 Jahre lang) saß der Wirt in Untersuchungshaft. Ein Antrag auf Verlegung in ein seiner Familie nahegelegenes Gefängnis wurde, ebenso wie eine Weihnachtsfeier mit Frau und Kindern, verweigert. Das Urteil, das diesmal revisionssicher abgefaßt war, verurteilte den Wirt wegen Mordes zu zwölf Jahren Haft. Diese Verhandlung, bei welcher der Angeklagte selbst völlig in den Hintergrund geschoben wurde und bei der es primär nur noch darum ging, seine Ansicht durchzusetzen, erinnert in ihrer Absurdität und Unmenschlichkeit an Kafkas "Prozeß". Der Fall sollte auch die Frage aufwerfen, ob eine für die Gesellschaft so wichtige Position wie die des Richters lediglich von einem guten juristischen Rüstzeug, nachgewiesen durch ein Prädikatsexamen, abhängig gemacht werden sollte. Vielleicht sollte man genauso auf soziale Kompetenz und charakterliche Größe achten. Denn was nutzt das Wissen um das Gesetz, wenn man nicht bereit ist, es redlich und nach bestem Recht und Gewissen einzusetzen? Daß eine juristische Entscheidung auch eine hochpolitische Entscheidung sein kann, zeigt Uwe Wesel am Begriff des Eigentums in seinem Buch "Fast alles, was Recht ist". Diese Problematik im Auge zu behalten die gefundenen Ergebnisse auch in dieser Sicht zu hinterfragen sollte während des Studiums nicht vergessen werden. Heinrich Hannover zeigt, wie groß die Gefahr für die Gerechtigkeit ist. Oliver Cywinski und Jörn Hökendorf (erschienen im DEFO-Info-Nr. 41 vom SS 2000) |
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