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[Streit um eine Donaubrücke]

Bukarests Architektur ist von der Ära Ceausescu geprägt.

Von Fred Winter

Einer der führenden Köpfe des wissenschaftlichen Aufbruchs auf dem Balkan ist der rumänische Kunsthistoriker und Religionsphilosoph Andrei Plesu. Seit 1990 lehrt er an der Fakultät für Philosophie der Bukarester Universität. Er war Kulturminister und Außenminister seines Landes, bevor er 1994 in der rumänischen Hauptstadt das New Europe College (NEC) gründete.

Für ihn ist es beispielsweise wichtig, dass der Balkan als Region zwischen Katholizismus, Orthodoxie, Protestantismus, Islamismus und Judaismus eine interreligiöse Forschung entwickelt, in deren Mittelpunkt eine Soziologie der Toleranz stehen könnte. „Ich würde unter Verwertung lokaler Quellen und Archive sowie lokaler Kompetenzen über ein individualisiertes Design der Universitäten und Lehrstühle nachdenken“, bekennt er seine Vision. „Ihre Inhalte würden von den intellektuellen und historischen Konturen der Region bestimmt.“ Anders als in Bulgarien oder der früheren Tschechoslowakei konnten die rumänischen Geisteswissenschaftler unter der Diktatur Ceausescus noch gewisse Freiheiten in Anspruch nehmen. Erst 1982 wurden die Geistes- und Sozialwissenschaften vom übrigen Wissenschaftsbetrieb abgekoppelt und in einer eigenen Akademie konzentriert. Ihre Leitung übernahm die Gattin des stalinistischen Staatsführers. Sieben lange Jahre folgten, in denen die rumänischen Geisteswissenschaftler unter ihrer dogmatischen Führung leiden mussten.

Seit einigen Jahren versuchen die Wissenschaftler nun, den Anschluss an den Westen zu schaffen – ohne ihre regionalen Besonderheiten zu vernachlässigen. Ausländische Sponsoren bewilligten dem NEC im Juni 2003 fast 200.000 Euro für ein regionales Stipendienprogramm. Zwischen 2003 und 2006 sollen insgesamt 18 jüngere Wissenschaftler aus den Nachbarstaaten Rumäniens an das NEC eingeladen werden, um sich dort fünf Monate lang mit einem Forschungsthema ihrer Wahl zu beschäftigen.

Das Stipendium schließt einen einmonatigen Forschungsaufenthalt an einem westlichen Institut ein. Dieser Austausch dient der regionalen Annäherung, denn die Balkanstaaten stehen einander argwöhnisch gegenüber. So streiten Bulgarien und Rumänien seit Jahren darüber, ob eine zweite Brücke über die Donau gebaut werden soll, den Grenzfluss zwischen beiden Staaten.

Das NEC will geistige Brücken schlagen. Andrei Plesu hofft, dass er mit Hilfe seiner ausländischen Geldgeber etwas einzigartiges erreicht: Junge, befähigte Akademiker sollen eine Arbeitsstätte erhalten und danach die Lehre an den Universitäten der Region ankurbeln.

Obwohl ungleich größer als Bulgarien liegen auch in Rumänien die Etats für Hochschulen und Forschung am Boden. Ohne das NEC fänden junge Spitzenforscher kaum eine Chance, interdisziplinär und international auf höchstem akademischen Niveau zu arbeiten. Wann Rumänien der EU beitreten wird, ist noch offen. Unabhängig davon wird der Beitritt der regionalen Großmacht Ungarn eine Initialzündung sein. So wird es eine Daueraufgabe, die zarten Netzwerke auf dem Balkan zu pflegen und auszubauen.

Foto: HS


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