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[Tanzforschung am Institut für Theaterwissenschaften]


Szene aus dem Balett „Schwanensee“.


Die Kekse sind der Clou. In einem sonst nüchtern und funktional eingerichteten Büro ist ein kleiner Stapel Leibniz Butterkekse, der auf dem Tisch liegt, eine spielerische Pointe für den aufmerksamen Besucher, dass hier eine außergewöhnliche Wissenschaftlerin arbeitet. Wir sind bei Gabriele Brandstetter, Trägerin des diesjährigen Leibnizpreises und seit dem Sommersemester 2003 an der Freien Universität, zu Gast.

Gabriele Brandstetter, die erste Professorin in Deutschland für Tanzwissenschaft, hat in ihrem Forschungsgebiet durchaus Pionierarbeit geleistet. Ihre innovative Arbeit hat jetzt die Deutsche Forschungsgemeinschaft gewürdigt, indem sie die Forscherin als einzige Geisteswissenschaftlerin in diesem Jahr mit dem Leibnizpreis auszeichnete. Wenn sie von ihrem Fachgebiet erzählt, strahlen ihre Augen und dann scheint die zierliche Frau den ganzen Raum einzunehmen: „Mein Glück war, dass ich, eben weil die Tanzwissenschaft noch nicht als Wissenschaft etabliert war, einen großen Denk- und Experimentierraum hatte. Ich hoffe, dass ich das in meiner Professur weiterhin erhalten kann. Denn das experimentelle Denken und Arbeiten ist besonders innovativ für mich und auch für die Studierenden.“

Experimentelles Denken gedeiht vor allem, wenn wie bei Gabriele Brandstetter Forschungsdrang und Leidenschaft zusammentreffen. Ihr Forschungsgebiet umfasst Geschichte, Ästhetik, Theorie des Tanzes sowie Tanz als Bewegungs- und Darstellungsform. Dabei kennt die Tanzwissenschaft keine Grenzen: Sie umfasst traditionelle Volkstänze und Hip Hop – und alle Tanzformen dazwischen natürlich auch. Wissenschaftlich betrachtet ist der Tanz der Schnittpunkt zwischen Zeit- und Raumkünsten, also Musik und Architektur, Inszenierung überhaupt. Die Faszination so etwas wie die Flüchtigkeit des Tanzens einzufangen hat indessen schon lange Zeit Schriftsteller inspiriert – vielleicht gerade weil der Gegensatz zwischen so etwas Statischem wie die Schrift und etwas Kurzlebigem wie die Bewegung so groß ist. Hier zeigt sich ein unerwarteter Berührungspunkt zwischen Germanistik und Tanzwissenschaft. Und das passt auch zur Biographie Brandstetters: „Ich bin ja eigentlich Historikerin und Textwissenschaftlerin“, sagt die studierte Germanistin, die zur Lyrik des romantischen Dichters Clemens Brentano promovierte.

Innovativ ist auch, wie Gabriele Brandstetter das Preisgeld anlegen will: Ein so genanntes „Dancelab“, also Tanzlabor, soll am Institut für Theaterwissenschaft entstehen. Was kann man sich darunter vorstellen? „Eine Werkstatt, in der wir die elektronischen Medien nicht nur als Mittel zur Aufzeichnung von Körperbewegungen, sondern auch als Experimentierbühne für die Bewegung einsetzen werden.“ Die Wichtigkeit der Medien in der Tanzwissenschaft überhaupt begründet ihre Interdisziplinarität: Im Dancelab ist der Tanz Forschungsgegenstand für Kunst-, Kultur- und Medienwissenschaft gleichermaßen.


Postkarte aus vergangenen Tagen.


Bewegung als Forschungsraum

Dass erst kürzlich die Tanzwissenschaft zu einer „richtigen“ Wissenschaft geworden ist, liegt zum einen daran, dass der Körper bislang „suspekt“ war - den Körper und seine Ästhetik und Bewegungen in den Vordergrund zu stellen, ist eine relativ neue Entwicklung und wäre vor hundert Jahren noch undenkbar gewesen.

Zum anderen liegt das Entstehen der Tanzwissenschaft aber auch am technischen und insbesondere dem medientechnischen Fortschritt. Neue Inszenierungsmöglichkeiten, aber auch das Speichern und Wiedergeben über Foto und Film sind wichtig, ja beinahe Voraussetzung dafür, sich mit dem Tanz wissenschaftlich auseinanderzusetzen.

Und wie gefällt der gebürtigen Münchnerin ihre neue Umgebung? „Gut! Berlin ist als Stadt der Wissenschaft und als Stadt der Kunst spannend. Sie ist anregend, vielfältig, ja fast unübersichtlich. Man sollte hier aber auch nicht aufräumen, gerade Nischen sind interessant, obwohl man das von innen vielleicht nicht immer sieht. Von außen betrachtet ist Berlin gerade auch als Forschungsraum für Bewegung sehr interessant.“

Vielfältige Kooperationen mit Berliner Institutionen und Nichtinstitutionen sind bereits geplant: Tanzfabrik, Podewil, Haus der Kulturen der Welt. Im Sommersemester beispielsweise veranstaltet sie ein Seminar mit dem Titel „The Third Body – Body Concepts in Between Cultures“ in Zusammenarbeit mit dem Haus der Kulturen der Welt und Koffi Koko, einem Tänzer aus dem Benin. Im Fokus steht dabei der Kult des Tanzes, befragt werden Kategorien wie „modern“ und „zeitgenössisch“, „kulturelle Identität“ oder „Avantgarde“. Migration, Globalisierung und Postkolonialismus sind neue Wirklichkeiten und Modelle, diesen Wandel zu beschreiben. Die Frage ist, ob die Bühnen dabei selbst zu zentralen Plattformen gesellschaftlicher, politischer und künstlerischer Transformationsprozesse werden können.


Steht mitunter Kopf: moderner Tanz.


Zur Legitimationsdebatte für Geisteswissenschaften und inwiefern sie sich finanziell messen lassen befragt, gibt die Wissenschaftlerin zu bedenken, dass Geisteswissenschaften vor allem Grundlagenforschung leisten, und sich dabei nicht auf die Anwendung ausrichten. Zuletzt lehrte sie an der Universität Basel: „In der Schweiz habe ich erlebt, dass Konkurrenz zwar die Universitäten beleben kann, aber sehr vorsichtig damit umgegangen werden muss. Wenn sich die Lehrenden in Forschung, Lehre und Verwaltung evaluieren lassen müssen, kann dies leicht zulasten der Forschung gehen.“

Nur zu schnell ist unsere Zeit um – die Tanzwissenschaftlerin ist viel beschäftigt und ihr Terminkalender ist voll. Die Begegnung mit ihr war zwar kurz, stimmt aber zuversichtlich: Solange die Stadt Berlin und die Freie Universität Forscher haben, die sich am Bunten, Kreativen und Spontanen so erfreuen können wie Gabriele Brandstetter, wird sich die Wissenschaft weiterhin Neuland ertanzen.

Gesche Westphal

Fotos: FU-Archiv


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