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[Interview mit Feridun Zaimoglu]


Feridun Zaimoglu, geboren 1964 in Bolu, Türkei, lebt seit mehr als 30 Jahren in Deutschland, seit 1985 in Kiel. Mit seinem ersten Buch „Kanak Sprak“ wurde er 1995 berühmt, 1998 wurde ihm der Drehbuchpreis des Landes Schleswig Holstein verliehen. Im November 2000 kam der Film „Kanak Attack“, die Verfilmung seines Buches „Abschaum“, in die Kinos. Kürzlich erschien sein neuestes Buch „Zwölf Gramm Glück“.


Was verbinden Sie mit der Freien Universität?

Mein erstes Erlebnis im Zusammenhang mit der FU Berlin war, dass ich einen Polizeiknüppel auf die Nase bekam. Vor Jahren gab es mal einen Unistreik und ich kam mit der schleswig-holsteinischen Studentendelegation nach Berlin. Ich stieg aus dem Bus aus und da war es schon passiert. Ich war dann sehr schnell revolutionsmüde – als „Landeier“ hatten wir auch nicht so viel mitzubestimmen. Man schwätzt sich um Kopf und Kragen und am Ende wird man von den Polizisten durch die Straßen gescheucht; ich habe mich dann lieber mit Freunden getroffen.


Sie werden im Sommersemester als Samuel Fischer Gastprofessor ein Seminar an der FU veranstalten. Was haben Sie geplant?

Das Konzept heißt „Literature to go“ – wie beim Kaffee. Ich werde Prominente aus dem öffentlichen Leben einladen, von Redenschreibern über Pressesprecher bis zu Literaturkritikern und Feuilletonisten, die ihr Literaturverständnis vermitteln sollen. Sie können andere Gäste mitbringen und sich mit ihnen auf dem Podium unterhalten. Sie können aus eigenen Büchern vortragen, aus Lieblings- oder Hassbüchern zitieren. Die Gäste sollen sich ohne Hoffnung auf Honorar Gedanken machen und sich auslassen. Zugesagt haben bislang Maxim Biller und Volker Weidemann. Eingeladen habe ich noch Verona Feldbusch, Hendrik M. Broder, Lilo Wanders. Auch Johannes B. Kerner, der ist jetzt mal dran! Ich war bei Kerner, jetzt will ich mal sehen, wenn er sich denn auf dieses Spiel einlässt, wie er sich verhält, wenn er Rede und Antwort stehen muss.


Sie haben ja eigentlich ganz was anderes studiert, nämlich Kunst und Humanmedizin. Jetzt unterrichten Sie angehende Literaturwissenschaftler. Hätten Sie dieses Fach studiert?

Ich bin der typische Studienabbrecher, deswegen wäre ich sehr unglaubwürdig wenn ich jetzt Vorgaben machen wollte, für Studenten, die später dann auf dem Felde der Literatur – auf welcher Seite auch immer – kämpfen wollen. Ich habe bis zu meinem 29. Lebensjahr nur Schund- und Schandliteratur gelesen. Ich hatte so viel gelesen, dass ich nichts mehr aufnehmen konnte. Dann legte ich los. Jetzt, nach neun Jahren Literaturabenteuer, kann ich sagen, der Hunger wird nicht gestillt. Im Gegenteil, plötzlich entdeckt man, was man alles erzählen möchte. Für manche Literaturkritiker ist der folgende Satz vielleicht schlimm, aber ich glaube, man muss mit weiteren Büchern von mir rechnen!


Was ist denn Ihre Schreibmethode?

Ich schreibe alles auf der elektrischen Schreibmaschine. Meine Emotionen dürfen dabei nicht im Vordergrund stehen, vielmehr muss ich die Leser stimulieren. Literatur muss so präpariert sein, dass sie hochinfektiös ist, ohne anzubiedern. Deshalb muss ich beim Schreiben stocknüchtern sein.


Das klingt gar nicht nach einem aufregenden Schriftstellerleben!

Sie wissen ja gar nicht, was ich Ihnen alles verheimliche! (lacht) Nein, es ist sehr aufregend – manchmal denke ich, ich komme um vor Aufregung! Ich schreibe die Notizhefte voll mit Ideen zu Geschichten, Theaterstücken und ich kann von Glück reden, wenn ich einen Zehntel davon verwerten kann. Das Schriftstellerleben ist ruinös und kräftezehrend, ist ein Glücksspiel, es geht wirklich, und das ist jetzt nicht hohles Pathos, um alles oder nichts. Darauf muss man sich einlassen. Ich habe Jahre gebraucht, das nicht nur zu verstehen, sondern auch noch gut zu finden. Ich lege großen Wert auf öffentliche Lesungen. Da geht man raus und muss vor dem Publikum bestehen. Natürlich ist es hart, wenn man dann die Zeitung aufschlägt und eine harsche Kritik lesen muss oder auf der Bühne steht und einige Leute ihrem Zorn freien Lauf lassen.


Sie haben sich in der Vergangenheit ziemlich spöttisch über Neuberliner und Zugereiste geäußert, und jetzt zählen Sie bald selbst dazu...

Ich werde mich nicht in Berlin niederlassen. Mit den Zuzüglern verhält es sich wie mit Spätkonvertiten: Sie sind besonders dogmatisch und geben sich besonders große Mühe, den Haupstädter abzugeben. Man merkt es ihnen an.


Woran?

Man merkt es an gewissen äußeren Stilelementen. An der Art und Weise des Posing kann man viel erkennen. Wenn Sie in Mitte sind, müssen Sie auf die Sonnenbrillen bei den Frauen achten und bei den Jungs gucken, wie sich mit dem Hosensaum und -schlag verhält. Als Szeneforscher bleibt einem nichts anderes übrig, als genau hinzugucken. In Clubs und Cafes machen meine Freunde und ich uns den Spaß und raten, wer denn Berliner ist und wer Zugereister – meistens liege ich richtig.

Das Gespräch führte Gesche Westphal.

Foto: Fischer Verlag/Melanie Grande

(Gekürzte Fassung. Den vollständigen Wortlaut des Interviews lesen Sie in der Beilage der Freien Universität im Tagesspiegel vom 13. April 2004)


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