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[Wenn Haare brenne, stechen, kämmen...]

Rapunzels Haare schützten sie nicht nur vor Hitze und Kälte, sondern verhalfen ihr sogar zum Liebesglück. Die Funktionen von Haaren bei Mensch und Tier sind bekannt. Der Botaniker Maximilian Weigend von der Freien Universität Berlin beschäftigte sich hingegen mit den weniger erforschten Pflanzenhaaren. Er fand heraus, dass auch sie verschiedene Funktionen erfüllen und dabei perfekt an die Lebensumgebung der Pflanze angepasst sind. Im Rahmen des von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) mit 120.000 Euro geförderten Projekts „Die Evolution der Blumennesselgewächse“ wurden unterschiedliche Haartypen untersucht, deren Formen und Funktionen bisher weitgehend unbekannt waren. Sie dienen dem Verdunstungsschutz, der Wasseraufnahme aus der Luft, der Ausbreitung der Früchte und dem Schutz vor Fressfeinden.

Mentzelia aspera – Spitze eines Hakenhaares von der Frucht, mit der sie an Tieren haftet. Die rückwärts gerichteten Haken sind ca. 0,05 mm lang.

Das Haarkleid der Blumennesseln besteht aus mindestens drei unterschiedlichen Haartypen, die sich nur unter dem Rasterelektronenmikroskop genauer untersuchen lassen. Der Haartyp, mit dem fast jeder schon unliebsame Erfahrungen gemacht hat, sind die Brennhaare. Wie kleine Injektionsnadeln dringen sie bei jeder Berührung tief in die Haut und führen zu einem schmerzhaften Ausschlag. Daneben treten Drüsenhaare auf. Für Botaniker am spannendsten sind jedoch die so genannten glochidiaten Haare (frei übersetzt: Hakenhaare) und die scabriden Haare (ebenfalls frei übersetzt: raue Haare). Beide Haartypen sind nur zwischen 0,1 und fünf Millimeter lang und erheblich kürzer als die Brennhaare. Sie kommen in dieser speziellen Form nur bei den Blumennesseln und einer ihr verwandten Pflanzenfamilie, den Hartriegelgewächsen, vor.

Raue Haare von der Blattoberseite. Die langen Haare sind ca. 0,5 mm lang.

Die Blumennesseln haben viele verschiedene Frisuren. Einzelne Arten besitzen fast nur Brenn- und Hakenhaare, andere schmücken sich mit zahlreichen Drüsenhaaren. Wieder andere besitzen nahezu keine Brennhaare, dafür aber wenige und sehr kurze raue Haare. „Auf den ersten Blick erscheint die Verteilung der Haartypen willkürlich“, sagt Maximilian Weigend. „Im Rahmen von umfangreichen Untersuchungen, insbesondere an der erst im Jahr 1997 beschriebenen Gattung Nasa, haben wir zahlreiche Beobachtungen machen können, die ein noch vorläufiges, aber dennoch recht komplexes Bild ergeben.“ Auf insgesamt zehn Forschungsreisen in sieben Ländern hat das FU-Team zwischen 1992 und 2003 die Pflanzen in ihrem natürlichen Lebensraum in Südamerika untersucht. „Bereits bei einem oberflächlichen Studium der Haarspektren zeigt sich, dass die Haardichte und -länge der verschiedenen Blumennesseln deutlich mit dem Lebensraum korreliert und dass unterschiedliche Organe der Pflanzen sehr unterschiedliche Haarspektren haben“, erklärt der Botaniker.

So fand Weigend heraus, dass Blumennesseln aus trockenen Lebensräumen ein relativ dichtes Haarkleid haben. Pflanzen, die in feuchten Lebensräumen wachsen, neigen zu „Glatzen“ und haben nur kleine und kaum ausgebildete Haare. „In trockenen Lebensräumen finden wir vorwiegend Hakenhaare und raue Haare auf den Pflanzen, die zum Teil so dicht stehen, dass die ganze Pflanze weiß erscheint“, erzählt Weigend. „Hierbei handelt es sich offensichtlich um einen Sonnen- und Verdunstungsschutz.“

Den Nebel kämmen

Dichte Haarpracht mit rauen Haaren schmückt Pflanzen, die in Regionen der Küstenwüste mit häufigem Nebel wachsen. „Wir gehen davon aus, dass die Haare den Nebel aus der Luft auskämmen, der dann über die Blätter aufgenommen werden kann.“ Diese zusätzliche Wasserquelle in den extrem niederschlagsarmen Gebieten erlaubt den Pflanzen ein Vordringen in sonst nahezu vegetationsfreie Bereiche. Je feuchter die Lebensräume der einzelnen Arten sind, desto kürzer und spärlicher wird der Haarwuchs. Einige Arten aus sehr feuchten Bergwäldern sind auf den ersten Blick fast kahl – erst unter dem Rasterelektronenmikroskop finden sich stark zurückgebildete kleine Härchen.

Stark reduzierte raue Haare auf der Blattunterseite einer Art aus dem immerfeuchten Nebelwald. Das gesamte Haar ist 0,02 bis 0,03 mm lang.


Früchte im Pelzmantel

„Auffallend ist“, meint Weigend, „dass selbst die Fruchtknoten von fast kahlen Pflanzenarten sehr dicht mit Haaren bedeckt sind, wobei vor allem Brennhaare auftreten, aber auch viele raue und Hakenhaare.“ Der Fruchtknoten ist der wichtigste Teil einer Pflanze. Hier werden die Samen gebildet; sie müssen vor Fressfeinden geschützt werden. „Die dichte Bedeckung der Knoten mit harten und zum Teil brennenden Haaren dient wahrscheinlich dem Schutz der sich entwickelnden Samen“, schlussfolgert Weigend. Darüber hinaus bleiben bei einigen Arten die Samen zunächst in der Frucht eingeschlossen, und die Fruchtkapsel wird als ganzes ausgebreitet. „In diesen Fällen soll die Frucht an vorüber kommenden Tieren befestigt werden. Dazu muss sichergestellt werden, dass die Tiere die Fruchtknoten berühren und sie sicher im Fell oder in den Federn der Tiere haften bleiben.“ Das klettenhafte Prinzip erfordert eine Haarform, die es den Fruchtknoten ermöglicht, möglichst gut an Fell oder Federn zu haften. Dazu dienen Haare mit besonders ausgebildeten ankerförmigen Spitzen.

Ilka Seer

Fotos: Weigend



Hakenhaare, ca. 0,3 mm lang


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