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FU-Nachrichten 6-2000
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Muslime im Cyberspace

Was ist eigentlich...


Linkliste zum Seminar
"Muslime im Cyberspace"

http://userpage.fu- berlin.de/~cybislam


Die Interdisziplinäre Kommission Moderner Vorderer Orient gibt seit diesem Semester ein neu gestaltetes kommentiertes Vorlesungsverzeichnis heraus.
Prof. Dr. Gudrun Krämer, Institut für Islamwissenschaft, Altensteinstr. 40, 14195 Berlin, Tel. (0 30) 838 52 486

   

von Susanne Weiss

Im interaktiven islamwissenschaftlichen Seminar von Albrecht Hofheinz erkunden die Studierenden den islamischen Cyberspace zwischen digitalem Dschihad, virtueller Demokratie und Allah.com

Cybertagebuch, 12. Mai 2000, Cristofer Burger:
www.almanar.net, die Internetversion des neuen Leuchtturms wird von der IANA (Islamic Assembly of North America) betreut, die auch eine fatwa-hotline anbietet. Die IANA scheint (ihrer eigenen Darstellung zufolge) eine reformistisch geprägte Organisation zu sein und unterhält unter anderem einen Islamischen Internet-Radiosender.

Wer bei fatwa-hotline zuerst an Todesurteile und Mullah-gesteuerte Killerkommandos und bei Internet nur an "westliche" Welten und Werte denkt, hat zu kurz gedacht.

Mit dem Islam ist es ähnlich wie mit dem Internet: Alle reden darüber, doch die wenigsten wissen, womit sie es tatsächlich zu tun haben. Identifizierungen einzelner Teile mit dem Ganzen gehören zu den üblichen Alltagsirrtümern – im Fall Islam nicht immer nur aus Unkenntnis.

Ob von Arabesken Karl May'scher Prägung umstellt oder von Bildern mordbrennender Banden – der Islam wird immer noch gern in einem vortechnischen, unaufgeklärten "Mittelalter" angesiedelt. Doch der Beduine braucht kein schnelles Pferd mehr. Mit dem Laptop auf den Knien verlässt er flugs satellitengestützt den heimatlichen Wüstensand. Werbefachleute hier zu Lande haben den Reiz dieser Spannung längst entdeckt, um Produkte der Kommunikations- und Unterhaltungstechnologie zu verkaufen.

Die werbeträchtige Lifestyle-Komponente ist ein Aspekt in der aktuellen Debatte über "Moderne und Islam". Die unterschiedlichen Auswirkungen auf Kultur, Religion und Politik beim Zusammentreffen eines hypermodernen "westlichen" Mediums mit "traditionellen" Gesellschaften und autoritären Staaten sind oft überraschend. "... eine auf High-Tech gestützte Mullah-Herrschaft ist kein unmöglicher Gedanke." (H. Schnädelbach) – ebenso wenig wie der Widerstand dagegen.

Als der Islamwissenschaftler Dr. Albrecht Hofheinz 1996 damit begann, das zu dieser Zeit neue Phänomen "Muslime im Cyberspace" zu untersuchen, fragten ihn Fachkollegen, ob er nicht lieber "was Richtiges" machen wolle. Inzwischen ändert sich das Bild. Hofheinz, seit Oktober 1999 Fellow am Berliner Wissenschaftskolleg, bot dem Institut für Islamwissenschaft der FU für das Sommersemester 2000 verschiedene Lehrveranstaltungen an, darunter "Islamische mystische Bewegungen im 18. Jahrhundert", doch gegen "Muslime im Cyberspace" hatten sie keine Chance.

Mit dem Islam ändert sich die Wissenschaft von ihm. "New media in the Muslim world" avanciert zum respektablen Thema, dem "Internet and Islam's new Interpreters" werden erste Aufsätze und Monographien gewidmet. Die gedruckte Literatur in Hofheinz' Seminar ist so neu wie das Phänomen. Surfen gehört zum Unterricht – die Ergebnisse werden im Cybertagebuch notiert, in eine Mailing-Liste gepostet und dort auch außerhalb der regulären Seminartermine diskutiert. "Es ist seit Beginn meines Studiums die erste an diesem Institut angebotene Veranstaltung, die etwas über den traditionellen Islamwissenschafts-Tellerrand hinausblickt", sagt Cristofer Burger, auch Astrid Brix hat schon lange keine Lust mehr auf die "Text lesen und dann reden wir mal drüber Seminare". In diesem "interaktiven" Seminar erkunden die Studenten den islamischen Cyberspace zwischen digitalem Dschihad, virtueller Demokratie und Allah.com.

Nach schleppendem Start breitet sich das Internet seit wenigen Jahren in den Ländern mit muslimischer Bevölkerungsmehrheit unaufhaltsam aus. Außer dem unter Hightech-Boykott stehenden Irak sind inzwischen alle diese Länder am Netz. Im Weltmaßstab hinkt die Region zwar deutlich hinterher. Der E-Commerce treibt aber auch hier die Entwicklung voran. 10 Millionen Menschen sind online in Indonesien und Malaysia; in der arabischen Welt sind es etwa 2 Millionen, 0,7% der Bevölkerung. Einige Golfstaaten sowie der Libanon erreichen 6-17% und liegen damit über dem Weltdurchschnitt von ca. 5%. Im Jahre 2002 werden schätzungsweise 12 Millionen Araber im Cyberspace sein: Die Rate verdoppelt sich jährlich. Auch hier – wenig überraschend – ist das Internet eine Männerdomäne.

Die hohen Kosten für Ausstattung und Anschluss und das zu 70 – 80% englischsprachige Angebot machen das Netz in der Region derzeit noch zu einer Veranstaltung für einige Wenige. Aber wo anfangs nur Forschungsinstitute, Behörden und Firmen Zugang hatten, schießen immer mehr Cyber-Cafes aus dem Boden, und in der arabischen Welt gehen inzwischen über 70% aller Nutzer von zu Hause aus ins Netz.

Cybertagebuch, 25. Mai 2000,
Albrecht Hofheinz:

Foto: Glöwing

Sowohl "Ankaboot" wie auch "The Iranian" sind in Kalifornien registriert - dem Zentrum der iranischen Diaspora in den USA. The Iranian liegt auf Servern der Global Publishing Group, einer in Kalifornien ansässigen Web-Server Firma, die offenbar auch einem Iraner gehört. "Ankaboot" liegt bei einer anderen kalifornischen Firma. "The Iranian" wurde im September 1995 als Online-Zeitschrift gegründet; "Ankaboot" ist ein späterer Ableger davon. Ob genau diese Seiten im Iran lesbar sind oder nicht, vermag ich nicht mit Sicherheit zu sagen. Es ist aber bekannt, dass die Iranische Regierung den Zugriff auf missliebige Seiten über Filter zu unterbinden sucht.

Das Internet verstärkt die Bedeutung transnationaler und translokaler Kommunikation. Insbesonders Oppositionsgruppen nutzen die neuen Möglichkeiten, sich zu vernetzen und auf sich aufmerksam zu machen. Der muslimischen Diaspora wuchs im neuen Medium eine im Vergleich zu den etablierten Zentren islamischer Gelehrsamkeit ungleich gewichtigere Rolle zu – eine Entwicklung, die zu stoppen oder gar umzukehren die alten Zentren sichtlich Mühe haben.

So verändern sich traditionelle Hierarchiestrukturen, betont Hofheinz. Althergebrachte Interpretationsmonopole werden in Frage gestellt; die Rechtsgelehrten 1000-jähriger Universitäten müssen plötzlich mit Kollegen konkurrieren, die ihr Wissen – weltweit abrufbar – online zur Verfügung stellen. Durch die Veränderung der Informationsbeschaffungsstrukturen wird es möglich, sich von institutionellen Meinungsführern zu emanzipieren, es gibt einen "Markt von Ideen und Identitätsmodellen". Dazu gehören die offizielle Taliban-Seite mit militärischen Tarnfarben als Hintergrund und der Auftritt der Hisbollah mit digitaler Agitation gegen Israel ebenso wie die Seite der jordanischen Königin Noor, die über ihr Leben nach dem Tod von König Hussein berichtet oder www.islam.tc, wo es Links für richtiges soziales Verhalten und den "Bart im Islam" neben "Geek Info", den Seiten für die Computer-Freaks, gibt. Die für den westlichen Betrachter verwirrende Gleichzeitigkeit von Lifestyle-Angeboten und elektronischen Tugendwächtern auf ein und derselben Seite ist Merkmal vieler Auftritte.

Cybertagebuch, 17. Mai 2000, Arvid Vormann:
arabia.com ist in Englisch und Arabisch gehalten und beinhaltet eine Suchmaschine, darüber hinaus aber auch einen Nachrichtenüberblick mit Fokus auf arabische Länder und zahlreiche Diskussionsforen. Um sich dort äußern zu können, muss man sich mit Passwort anmelden. Alle Foren sind "supervised". Besonders interessant sind die Foren zu politischen Themen wie z. B. "Syrische Präsenz im Libanon" oder "Frieden mit Israel ja oder nein". Nach Ländern sortiert, stößt man beispielsweise unter Marokko auf das Thema Korruption, das dort frei diskutiert wird. Außerdem gibt's noch die Rubriken Chat und Shop. arabia.com wird von der Firma Arabia.On.Line aus Amman/Jordanien zur Verfügung gestellt.

Wo die Diaspora und Internet-begeisterte Individuen Pionierarbeit leisteten, drängen inzwischen immer mehr kommerzielle Anbieter auf den Markt. Zum Teil sind es die etablierten Telefongesellschaften, wie die halbstaatliche sudanesische SudaTel, die sich profitable Anteile am guten Geschäft sichern, zum Teil Betreiber von Satellitenfernsehstationen, die nun auch im Internet Komplettangebote vorlegen: Sie stellen die technische Infrastruktur und die Inhalte zur Verfügung. Arabia.On.Line, eines der ersten Webangebote aus der Region, befindet sich mittlerweile zum Teil im Besitz eines saudiarabischen Medienmoguls, Prinz al-Waleed bin Talal, mit Ambitionen in arabischer Radio- und Fernsehunterhaltung.

Cybertagebuch, 10. Mai 2000, Albrecht Hofheinz:
Laut http://sudanshop.co.uk/Business/buscomputing.htm gibt es jetzt schon mindestens neun Internet-Cafés im Sudan, alle in Khartum und Umgebung. Als ich im Juni 1999 das Land verließ, waren es erst zwei (im Friendship Palace Hotel und in Sharia Afriqiya gegenüber dem Flughafen). SudaNet bietet seit Februar 1998 vollen Internet Service an. Für den Durchschnittsbürger ist es aber mit 50 US-Dollar sehr teuer.

Die Remonopolisierung der neu entstehenden Meinungsvielfalt durch wirtschaftliche Konzentration ist eine Gefahr, die nicht erst in der arabischen Welt erfunden wurde. Anhaltende Hochpreispolitik bei Accounts und Ausstattung hält regierungskritisches Potenzial und den – vorgeblich – befürchteten Kulturschaden in Grenzen. Weniger "marktwirtschaftliche" Zensurmethoden nennt die Menschenrechtsorganisation "Human Rights Watch": Länder wie der Jemen, Saudi Arabien oder die Vereinigten Arabischen Emirate errichten mit filterbewehrten Proxy Servern Grenzen im Cyberspace. Unter dem Verdacht, per E-Mail politische Informationen ins Ausland geschmuggelt zu haben, saß ein Bahraini ein Jahr lang im Gefängnis. Für Marokkaner, Algerier und Palästinenser hingegen ist das Internet Privatangelegenheit, staatliche Autoritäten mischen sich nicht ein.

"Der" Islam ist kein monolithischer Block; Zensur und offene Diskussionskultur, tiefe Religiosität und Profanität existieren nebeneinander – wie geschaffen fürs Internet.

Im Seminar von Albrecht Hofheinz verschaffen sich die Studenten nicht nur einen Überblick über "muslimische" Angebote im Netz der Netze samt deren technischen Voraussetzungen und ökonomischen Verflechtungen. Am Ende werden sie über 'westliche' und 'islamische' Werte diskutieren und über die Kontroversen zwischen "Aufbruch in den Cyberspace" oder "Untergang des Morgenlandes".

Ein Friseur aus Berlin-Wedding wirbt für sein Geschäft: "Für muslimische Frauen geeignet, da nicht einsehbar". "Im Namen des Erhabenen" wird man herzlich willkommen geheißen auf muslim-markt.de, "dem Startpunkt ins Internet von und für deutschsprachige Muslime".

Cybertagebuch, 10. Mai 2000, Astrid Brix
www.muslim-markt.de sind eine Art "Gelbe Seiten" für muslimisches Leben in Deutschland. Hier kann man Vereine, Organisationen, Firmen (auch Ärzte, Hotels, Restaurants, Bibliotheken, Kindergärten, Friseure), Stellengesuche, Heiratsannoncen, Informationen über Speisen etc. finden. Ebenso stehen Veranstaltungen und Hinweise auf Jugendarbeit auf dem Programm.

Bei allen Tipps, wie man hier zu Lande ein islamisch korrektes Leben führen kann: fatwas gibt es auf muslim-markt.de nicht.

Gute Adressen sind fatwa-online.com oder www.Islam-Online.net/fatwa/, um die Rechtsmeinung eines islamischen Gelehrten zu erhalten, denn nichts anderes ist eine fatwa.

 
 
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