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FU-Nachrichten 6-2000
Hochschule

Archive des Theaterwissen- schaftlichen Instituts

Dr. Dagmar Walach

Tel. (0 30) 838 50 347

   

von Susanne Weiss

"Diese Augen, sehen Sie sich diese Augen an!" Dagmar Walachs Begeisterung breitet sich aus wie ein Kraftfeld. Die Augen gehören Albert Bassermann, einem der Großen des Theaters, einem, der bei Reinhardt am Deutschen Theater die ganz großen Rollen gespielt hat, der sich nach der Emigration 1938 in Hollywood durchschlug. Vierfach identisch blickt er einem entgegen, wenn man das Theaterwissenschaftliche Institut in der Grunewaldstraße betritt – fast wie von Andy Warhol arrangiert. "Er ist schon so etwas wie ein Heiliger für mich", gibt Walach zu. Und sie verehrt einen, den sie nur in der Reproduktion, in der Abbildung kennt. Reinhardt schloss einen Brief an Bassermann: "Ich liebe Sie."

Der Nachlass von Albert Bassermann (1867 – 1952) ist Teil einer der bedeutendsten theaterhistorischen Privatsammlungen in Deutschland, die jetzt in den festen Händen Dagmar Walachs ist, der wissenschaftlichen Leiterein der Archive am Institut. Walter Unruh, Likörfabrikant und – Theaterliebhaber ist zu wenig gesagt – vermachte sie 1950 der Stadt Berlin, die ihr Unterkunft im Charlottenburger Schloss gab. Professor Knudsen holte sie Anfang 1954 als Dauerleihgabe an die kaum sechs Jahre alte Freie Universität. Die Sammlung sollte der Ausbildung dienen, der Verbindung von Theorie und Praxis, nicht dem musealen Gedanken.

In Zeiten, in denen die Freie Universität das Ziel vieler Hochgesinnter und eines der Zentren eines Aufbruchs war, gab es am Theaterwissenschaftlichen Institut eine Studentengruppe "Die sozialistische Alternative". Dagmar Walach lacht, als sie den Namen nennt. Sie war Mitglied der Gruppe, und sie hatte einen Vertrag als studentische Hilfskraft, zuständig für die Sammlung Unruh, die sie mit großem Erfolg bearbeitete. Das Geheimnis: "Wir machten Subotniks zum Aufbau der Sammlung. Es war nicht einfach ein Job." Man räumte die Bücher in die Regale und schluckte dabei den Staub der Revolution. Die Belohnung war das gute Gewissen der guten Tat. Unter viel Unruh und viel Politik litt Walachs Promotionsvorhaben. Deshalb fiel die Entscheidung in den 70-er Jahren gegen die Sammlung, gegen die Politik. Das Ergebnis war die Dissertation mit dem Titel "Der aufrechte Bürger, seine Welt und sein Theater". "Da guckt überall Bloch raus", schmunzelt sie, "heute sehe ich vieles anders".

Ab 1981 (in diesem Jahr wird auch der Sohn geboren) hat Dagmar Walach Lehraufträge am Institut, außerdem arbeitet sie für den Reclam-Verlag. "Ich bin zur Hälfte Literaturwissenschaftlerin", sagt sie. Eine der Traditionen ihres Fachs.

Doch nach fast zehn Jahren Lehrtätigkeit fragt sie sich: "Wie wecke ich sie bloß auf?" Es wurde schwer, Kontakt zur neuen Studentengeneration herzustellen. Also verlässt sie die Universität und arbeitet in verschiedenen Projekten. Eines davon ist die Aufarbeitung des Gemeindearchivs von Lübars anlässlich des 750. Geburtstag des nördlichen Berliner Dorfes. Pfarrer Luther bat sie, ein Theaterstück zu schreiben. Die Aufführung in der Dorfkirche war das Ende des Projekts.

Der Grundstein der Theaterhistorischen Sammlung Walter Unruh war dessen theaterwissenschaftliche Bibliothek, erweitert durch Schenkungen und Ankäufe von Dokumenten ganz unterschiedlicher Art. Zu Unruh kam Biedermann: Der Freiherr begründete mit seiner Stiftung den Aufbau einer Sammlung von Theaterzetteln und Programmheften. Die Bestände stiegen stetig. Heute zählt die Sammlung einen Buchbestand von 20.000 Bänden, die Autographensammlung umfasst 6000 Briefe und Karten, in 100 Archivkästen liegen die Theaterzettel, die Programmhefte in 200 Ordnern – und es gibt an die 10.000 Bilder. "Zehntausend Bilder, das sind Hunderte von Mimen. Nun ruhen sie beieinander, die wahrscheinlich im Leben als Nebenbuhler vor Eifersucht barsten. Im Bild haben sie Frieden geschlossen", schreibt der Berichterstatter des Telegraf 1954 anlässlich der Übergabe der Sammlung an die Freie Universität.

Seltene Publikationen wie die Theatergeschichten von Plümecke aus dem 18. Jahrhundert zählen ebenso zum Bestand wie eine Schrift "wider die Sittenverderbnis durch das Theater" des Lessing-Gegners Goeze, Hauptpastor in Hamburg. Große Kostbarkeiten wetteifern um den Titel "größte Kostbarkeit": der Kostümkodex des Meininger "Theaterherzogs" Georg II. oder ein von Helene Thimig gestiftetes Regiebuch Max Reinhardts zu "Dantons Tod".

Aber auch zu so trivialen Dingen wie der Gestaltung der Theater-Eintrittspreise gibt es Zeugnisse: In schlimmsten Inflationszeiten teilt der Direktor des Schlossparktheaters Albert Berthold mit, dass aufgrund der starken Teuerung der teuerste Platz nunmehr ein Pfund Butter, der billigste hingegen 2 Eier koste.

1996 übernahm Erika Fischer-Lichte die Leitung des Theaterwissenschaftlichen Instituts. Sie beantragte bei der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) Projektmittel für die Erschließung der Unruh-Sammlung, die während längerer Phasen nicht recht blühte. Fischer-Lichte holte Dagmar Walach zurück ans Institut. Ein "Klassenfeind" aus alten Tagen überraschte sie mit der Begrüßung: "Schön, dass sie wieder da sind".

Den neuerlichen Beginn der Arbeit an der Unruh-Sammlung beschreibt sie so: "Ärmel hochkrempeln und malochen. Ich sah immer aus wie aus einem Kohlenpott." Zusammen mit der Studentin Birgit Rasch richtete sie das Archiv ein. Dieses Archiv im Keller des Theaterwissenschaftlichen Instituts ist gut gesichert, aber offen: für Studierende ohnehin, für die interessierte Öffentlichkeit außerdem. Kooperationen gibt es mit allen Berliner Bühnen – die Intendanten der wichtigsten Häuser sind im künstlerischen Beirat des Instituts – eng ist derzeit die Kooperation mit dem Deutschen Theater, aber auch mit der Staatsbibliothek. Als diese 1998 den Nachlass von Gustaf Gründgens erwarb, ließ Dagmar Walach, Expertin erster Wahl, sich nicht lange bitten, ihn zu bearbeiten. Ergebnis war unter anderem eine Ausstellung, die der Öffentlichkeit den Gründgens-Nachlass ohne Auslassungen vorstellte. Sie lief von Dezember 1999 bis 12. Februar 2000 mit großem Erfolg in Berlin, ging weiter nach Bonn und wurde am 30. Mai 2000 in Hamburg eröffnet. Mit Sondergenehmigung arbeitete Walach auch nachts an der Ausstellung, und irgendwann passierte es. – Beim Erwachen eines Morgens stellte sie gerührt fest: "Der Nachtwächter der Staatsbibliothek saß vor dem Ausstellungsraum und bewachte meinen Schlaf." Dr. Antonius Jammers, Generaldirektor der Staatsbibliothek, wird sie bei der Eröffnung als "leidenschaftlich engagierte Theaterwissenschaftlerin" vorstellen.

In Zukunft wird Walach auch die Redaktion von "ars theatralis" besorgen, einer neuen Editionsreihe des Theaterwissenschaftlichen Instituts. Der erste Band von wird Albert Bassermann und seinem Freund, dem Publizisten Jakobsohn gewidmet sein.

Irgendwann will sie "was machen zum Thema Revue", mit Julius Freunds Libretti für das Metropoltheater und den schönsten der tanzenden Damen. "Wahnsinnige Bilddokumente" besitzt auch das Zirkusarchiv des Instituts – aus Zeiten, in denen man noch an die Echtheit von Bilddokumenten glauben konnte. Eines davon zeigt die Hagenbeck Clowns vor der Cheopspyramide. Dagmar Walach: "Das ist echt!" Solche Schätze auf Papier und Karton sind oft das Einzige, was das flüchtige Medium Theater hinterlassen hat. Darum hat Dagmar Walach eingeführt, dass die empfindlichen Kostbarkeiten mit Handschuh und feinem Staubpinsel bearbeitet werden, dass sie in säurefreien Kästen gelagert werden, dass nichts mit Uhu oder Tesafilm geklebt wird – "das gebietet die Achtung vor dem Gegenstand", erklärt sie. Vorsichtig öffnet sie eine kleine Schachtel: "Und das ist mein Bassermann!" Es sind Tintenklecksbilder. "Erinnern die nicht an ETA Hoffmann"? Sie tun es.

Im Foyer des theaterwissenschaftlichen Instituts kann man die Stimme von Albert Bassermann hören: als Attinghausen in Wilhelm Tell, als Theaterdirektor Striese im Raub der Sabinerinnen, als Hauptmanns Michael Kramer. Virtual reality mit Cyberhelm ist nichts dagegen.

 
 
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