Arbeitstitel: Berlin: Hundert,6 entläßt mehr als die Hälfte der Mitarbeiter und wird zum Oldie-Sender - Reaktion auf Verlust der Marktführerschaft in Berlin - SFB: "Adieu Hundert,6"


(epd) Der Berliner Kommerzsender Hundert,6 hat am 19. August sein Programm völlig umgestellt. Der Musikanteil wurde nach Angaben seines Chefs Georg Gafron von bisher siebzig auf 85 bis neunzig Prozent erhöht und auf ein Oldie-Format geändert. Insgesamt siebzig Mitarbeiter seien entlassen worden, gab Gafron am 15. August vor Journalisten bekannt, der Neustart erfolge nun mit fünfzig Mitarbeitern. SFB-Hörfunkdirektor Jens Wendland kommentierte den Wandel seines kommerziellen Konkurrenten am 21. August mit den Worten: "Adieu Hundert,6".

Der seit fast zehn Jahren bestehende Sender Hundert,6 hatte bei der letzten Media Analyse (MA 96) die langjährige Marktführerschaft in Berlin an das Musikprogramm 104.6 RTL abgeben müssen (Kifu 45/96). Danach hatte er angekündigt, das verlustreiche Projekt eines deutsch-amerikanischen Senders "Radio Charlie" aufzugeben (Kifu 51/96). Einige Wochen zuvor hatte Gafron bereits das Scheitern seiner Strategie eingestanden, ein kommerzielles Funkhaus mit einer Senderfamilie aus drei Stationen zu bilden (Kifu 39/96). Der Medienrat der MABB hatte die Lizenz für die von Hundert,6 übernommene Station Soft Hit Radio nicht erneuert, sondern die Frequenz an das geplante Evangelische Kirchenradio "Paradiso" vergeben (Kifu 36, 55 und 57/96).

Hundert,6 hatte bislang ein an breite Zielgruppen gerichtetes, keinem der gängigen Formate zuzuordnendes Musikprogramm aus Schlagern und Pop mit einem im Vergleich kommerzieller Radios hohen Wortanteil verbreitet. Den Neustart begründete Georg Gafron mit der "veränderten Marktlage": Im diversifizierten Radiomarkt gebe es keine eindeutige Marktführerschaften mehr. Mit den Entlassungen habe die Station ihre Personalkosten von 16,5 auf 6,5 Millionen Mark gesenkt. Nur die Werbeabteilung sei von der Kündigungswelle verschont geblieben, hieß es. Mit drei Ü-Wagen und einer "Task-Force" sollten künftig journalistische Schwerpunkte gesetzt werden, kündigte Gafron an. SFB-Pressesprecher Thomas Strätling bezeichnete diese Ankündigung am 15. August als "unglaubwürdig" angesichts des Personalabbaus und der Erhöhung des Musikanteils.

Es stimme traurig, so SFB-Hörfunkchef Wendland am 21. August, daß der ehemalige Marktführer in Berlin "nicht mehr im publizistischen Wettbewerb gemessen" werden könne. Der SFB stehe mit seinem "journalistisch geprägten Stadtradio" für Berlin (88 8) nun alleine. Alle "Informationsoffensiven" der kommerziellen Sender in Berlin seien gescheitert. Der Radiomarkt rechne sich "in seinen publizistischen Formen" nicht, sondern verdränge diese eher. Dies sei auch ein Thema für die Medienanstalt Berlin-Brandenburg, meinte Wendland, der an das Ende des privat-kommerziellen Inforadios trotz guter Reichweiten erinnerte. Die Betreiber des ersten Inforadios hatten seinerzeit den Sender aufgegeben, weil er nicht schnell genug in die schwarzen Zahlen kam. (mr)


Martin Recke <mr94@zedat.fu-berlin.de>

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