Arbeitstitel: Himmlisches im Äther - Die Evangelische Kirche will einen eigenen Radiosender einrichten


(epd) Der Name verspricht Blumiges: Als "Radio Paradiso" soll das Vollzeit-Kirchenradio auf dem Radiomarkt der Republik erscheinen. Blumige Versprechungen macht Rainer Thun, Direktor des Evangelischen Presseverbands Nord, auch für das Programm: Ein "völlig neues Radiokonzept" wird avisiert, das "elektronische Pendant zum Kirchentag": "Ewige Wahrheiten und die südliche Leichtigkeit des Seins" sollen zusammenkommen. Sein Konzept überzeugte den Medienrat der Berlin-Brandenburgischen Medienanstalt MABB, der nicht für leichtfertige Entscheidungen bekannt ist und dem mit Ernst Benda der Präsident des Evangelischen Kirchentages vorsitzt: Die sieben Medienräte wählten Anfang Mai aus dreiundzwanzig Bewerbern den Evangelischen Presseverband aus und nahmen eine Lizenz für dessen "gemeinnütziges christliches Radio für Berlin" in Aussicht.

Wenn das Gremium Ende dieser Woche wieder tagt, dann steht zur Debatte, welche Frequenz dem himmlischen Projekt gewährt werden soll, die leistungsstarke 98,2 oder die eher reichweitenschwache 106,8. Auf letzterer sendet der SFB derzeit sein Multikulti-Radio, auf erstere erhebt er Anspruch und klagt in dieser Sache gegen die MABB. Die 98,2 jedoch bestrahlt zur Zeit noch das von Georg Gafron und Hundert,6 übernommene Soft Hit Radio mit einem Progrämmchen, das den Medienräten dürftiger erschien als die Ideen Thuns. Thun bekam Zeit bis September, um die Gesellschafterstruktur für seine Station zusammenzuzimmern. In der vergangenen Woche beschloß die Nordelbische Kirchenleitung, sich zu beteiligen; die Höhe ihrer finanziellen Anteile am Radioprojekt behielt sie für sich.

Weniger zurückhaltend war, Zahlen betreffend, die Leitung der Evangelischen Kirche in Berlin-Brandenburg (EKiBB): Sie steigt mit 10.000 Mark Eigenkapital ins Radiogeschäft ein -- für den Betrieb jedoch wird, dem Beschluß vom 5. Juli folgend, keine müde Mark aus ihren Kassen kommen. "Ein hinhaltender Beschluß", meint ein Beobachter. Zudem knüpfte die Kirchenleitung Bedingungen an ihr Ja-Wort: Sie will sichergestellt sehen, daß die Mehrheit der Anteile bei kirchlichen oder diakonischen Trägern liegt. Und ein "finanziell und inhaltlich tragfähiges Konzept (einschließlich Programmschema)" wollen die Berlin-Brandenburger auch erst noch sehen, bevor sie in Thuns Boot steigen. Dabei, so die Beschlußlage, soll auch mit der Katholischen Kirche gesprochen werden. Deren Rundfunkbeauftragter im Bistum Berlin, Joachim Opahle, hat bereits Interesse bekundet -- und im gleichen Atemzug mit Versuchen gedroht, sich bei der Medienanstalt um ein "katholisches Gegenstück" zu bemühen.

Opahle warnt Thun vor "Fettnäpfchen", und tatsächlich scheint der Kieler Radiomacher in spe wohl bisher an einigen davon nicht vorbeigekommen zu sein: Der Berliner Kirchenleitungsbeschluß spricht in seiner Zurückhaltung Bände. Zwar verteidigt Konsistorialpräsident Uwe Runge das Radio-Konzept und besteht darauf, daß es mit seiner Landeskirche abgestimmt gewesen sei. Im kircheninternen Medienumfeld hingegen bleibt die Begeisterung in engen Grenzen. So kritisiert Manfred Voegele, Redakteur des Evangelischen Rundfunkdienstes, daß die Journalisten innerhalb des kirchlichen Raumes bislang "nur aus der Gerüchteküche" von den Radioplänen erfuhren. Jörg Hildebrandt vom ORB-Kirchenfunk schrieb einen bitterbösen Kommentar im Sonntagsblatt "Die Kirche" und geißelte den zu erwartenden "Soft-Musik-Mix-Brei", der vermutlich keinen Platz für Musik von Schütz, Pepping oder Distler bieten werde. Der Chefredakteur desselben Blattes, Lutz Borgmann, kanzelte Thuns Finanzierungspläne, die für spätere Zeiten auch Werbegelder vorsehen, brüsk als "Bauernfängerei" ab und verwies auf den knapper werdenden Werbemarkt. Borgmann steht im Nebenberuf dem Rundfunkrat der brandenburgischen Landesrundfunkanstalt ORB vor. ORB-Intendant Hansjürgen Rosenbauer befürchtete bei ähnlicher Gelegenheit bereits ein "Anknabbern" des öffentlich-rechtlichen Rundfunks +von der anderen Seite her".

Ihre Unzufriedenheit mit und Distanz zu den Öffentlich-Rechtlichen verhehlen umgekehrt weder Thun noch Runge. Der Berliner Konsistorialpräsident hat beim Sender Freies Berlin in den letzten zwanzig Jahren einen starken Rückgang kirchlicher Äußerungsmöglichkeiten beobachtet: Vor allem die Morgenandachten seien eine nach der anderen gekürzt worden. Und der Kieler Presseverbands-Direktor stellt lakonisch fest, daß die Rundfunkanstalten erst jetzt lernen würden, wirtschaftlich zu arbeiten, spricht von seinen Erfahrungen mit kirchlichen Sendungen im norddeutschen Kommerzfunk und meint, dabei habe man gelernt, wie Privatsender aufgebaut sind. Dementsprechend beziffert er am Telefon seinen angepeilten Jahresetat auf "unter vier Millionen" Mark und nennt sein Projekt ein "low-budget-Radio". Die Berliner Zentralredaktion wird anfangs nur fünf bis sechs Leute umfassen, ansonsten steht Thun zufolge ein "sehr ansehnlicher" Etat für freischaffende Moderatoren und Mitarbeiter bereit.

Woher die Millionen kommen sollen, war jedoch bislang nicht zu ermitteln. Neben den beiden Landeskirchen und dem Presseverband stehen bislang zwei norddeutsche Diakonie-Einrichtungen, die Evangelisch-Freikirchliche Gemeinde Berlin-Schöneberg, die Berliner St.-Elisabeth-Stiftung, eine "Widukind Medien GmbH" aus Minden, die Detmolder Ev. Familienfürsorge und der Automobil- und Verkehrssicherheitsclub Bruderhilfe Kassel auf der Gesellschafterliste; bei der Landeskirche in Baden soll demnächst die Entscheidung fallen. Eine Kirchen-Bank, die Evangelische Darlehensgenossenschaft in Kiel, zählt ebenfalls zu den Teilhabern. Konsistorialpräsident Runge dachte bereits öffentlich an Mittel des Medienfonds, den das Frankfurter Gemeinschaftswerk der Evangelischen Publizistik (GEP) verwaltet, das auch Kifu herausgibt. Das Paradiso-Konzept sieht neben Eigenmitteln auch Sponsorengelder und Spenden vor, die ein eigens zu gründender Hörer-Verein "Paradiso e.V." zusammentrommeln soll. Die angestrebte Gemeinnützigkeit des Radios soll es den Sponsoren erlauben, ihre Zahlungen von der Steuer abzusetzen. Mittelfristig und im Erfolgsfall schwebt Thun ein "Return On Investment" für die Gesellschafter vor, erreicht durch Werbefinanzierung. Die Rede ist von Anfangsinvestitionen in Höhe von 500.000 Mark und einem Studio auf dem neuesten Stand digitaler Technik.

Sein Kirchenradio soll am Ende, so die Idee, möglichst im ganzen Bundesgebiet verbreitet werden. Überall, wo Lizenzen ausgeschrieben werden, da will sich Thun bewerben. Die lokale und regionale Verwurzelung des Programms fällt in der Papierform daher eher schwach aus: Statt eines Radios "aus den Gemeinden heraus", wie es Rundfunkdienst-Redakteur Voegele vorschlägt, sieht das Paradiso-Konzept einen "Service für die Seele" vor, setzt eher auf ein professionelles Medienprodukt und will die diversen Ressourcen innerhalb der Evangelischen Kirche nutzen: Schon heute werden in etlichen kircheneigenen Studios Radiobeiträe produziert, hauptsächlich für den Kommerzfunk. Im norddeutschen Raum ist die Kirche auf den meisten privat-kommerziellen Frequenzketten mit eigenen Sendungen am Sonntagmorgen präsent. "Technisch", so Thun, +sind die meisten Kirchenfunkredaktionen gar nicht ausgelastet." Studios würden zum Teil vermietet. Diese Kapazitäten soll Radio Paradiso nutzen: "Wir haben die Profis."

Die schnelle Entscheidung der MABB hat Rainer Thun kalt erwischt: Er müsse jetzt seine "Hausaufgaben machen", sagt er. Vor allem das Programmkonzept ist bislang mehr als vage. So soll sich die Musikfarbe an "moderner Popmusik" orientieren, aber etwas anderes bieten als die Mehrheitssender. "Christliche Pop- und Rockmusik" kann Thun sich vorstellen, Gottesdienst-Übertragungen und die Bach-Kantate am Sonntagmorgen. Auf dem Papier schwärmt Pfarrer Thun von einem "Reiseführer, der Stationen nennt auf der Lebensreise", vom Programm als "moderne Variante zum Stundenbuch". Information, Bildung, Lebenshilfe, Unterhaltung und Verkündigung soll Radio Paradiso bieten, ein "elektronischer pontifex" sein und Brücken schlagen zwischen Ost- und Westberlin, Berlin und Brandenburg und zwischen Religionen und Konfessionen. Die Zielgruppe will Thun nicht eng umreißen: Von den "Gebildeten unter den Verächtern" der Religion (Schleiermacher), den intellektuell Interessierten soll die Hörer-Bandbreite bis zu den "Schwachen" reichen, die in seelischer und materieller Not sind.

Die Zeit sei reif für ein "Spezialprogramm" wie dieses, meint der Paradiso-Initiator. Und der nordelbische Bischof Karl Ludwig Kohlwage sieht darin "ein medienpolitisches Ereignis" mit Bedeutung für die ganze evangelische Kirche. Tatsächlich steht die Kirche dabei vor einem medienpolitischen Dilemma, das vor allem in Berlin die Kontroverse gefördert hat: Soll sie selbst mitwirken an der unablässigen Differenzierung der elektronischen Medien, an der Segmentierung der Publika, obwohl sie dieser Entwicklung stets skeptisch gegenüberstand? Im Gegensatz zur Nordelbischen Kirche hat die EKiBB eine eigene Beteiligung am Kommerzfunk in dessen Gründerjahren strikt abgelehnt: Der Evangelische Rundfunkdienst arbeitet demzufolge in Berlin vor allem mit dem öffentlich-rechtlichen Rundfunk zusammen, nur beim Lokalfernsehen Puls TV (vormals IA) hat er ein Bein in der Tür, in Gestalt einer dort arbeitenden Redakteurin.

Beim Kommerzradio Hundert,6 kam auf diese Weise der freikirchliche Evangeliums-Rundfunk aus Wetzlar zum Zuge, der allsonntäglich in der Frühe seine Sendung "Meet me in church on Sunday" ausstrahlt. Bei der EKiBB war Gründer Ulrich Schamoni seinerzeit auf Granit gestoßen. Die Praxis des bisherigen Kirchenfunks ist in einer solchen Sackgasse, daß die kirchlichen Institutionen meinen, alles sei besser als der status quo, folgert Rundfunkdienst-Redakteur Manfred Voegele aus den Paradiso-Plänen. Und die heftigen innerkirchlichen Kontroversen haben darin wohl ihre Ursache. "Das ganze Arsenal der Privatfunk-Bekämpfungswaffen" sei in der Debatte wieder ausgepackt worden, so Rainer Thun. Sein Start in Berlin, ohnehin eher zufällig durch die Frequenzausschreibung angeregt, wurde dadurch nicht leichter.

In einem sind sich Befürworter wie Gegner in der Evangelischen Kirchen offenbar einig: Der Versuch mit dem eigenen Radio gilt als erster und letzter zugleich. Bleibt es ohne Akzeptanz, dann ist die Kirche um eine Erfahrung reicher. Sie muß dann, meint Thun, auch ihren eigenen gesellschaftlichen Stellenwert geringer einschätzen. Gelingt es dagegen, eine nennenswerte Hörerzahl zu erreichen, dann soll Radio Paradiso mittelfristig zum bundesweiten Sender ausgebaut werden. Der Radio-Pfarrer an der Förde will sich, sollte der Start in Berlin glücken, auch um die in diesem Herbst zu vergebende vierte Frequenzkette im nördlichsten Bundesland bemühen.

Als Berater hinter Radio Paradiso fungiert Hermann Stümpert, der in Berlin nach zwei Radioprojekten kein Unbekannter mehr ist. Die Beteiligung des früheren Privatfunkers Stümpert hat offenbar bereits das Gerücht entstehen lassen, die Evangelische Kirche würde hier nur vorgeschickt, um eine Frequenz für eines der norddeutschen Kommerzradios FFN oder R.SH zu ergattern. Letzteres zumindest ist auf dem Berliner Hörfunkmarkt bereits vertreten: mit einer starken Minderheitsbeteiligung an r.s.2. (mr)


Martin Recke <mr94@zedat.fu-berlin.de>