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Botaniker der FU erforschen die Pflanzenwelt Kubas

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Botaniker der Freien Universität erforschen die Pflanzenwelt Kubas


Kultivieren und Bewahren

BURGHARD HEIN

Die Rote Liste der International Union for Conservation of Nature (IUCN) von 1997 verzeichnet für Kuba 23 ausgestorbene und 330 hochgradig bedrohte Pflanzenarten. Weitere 500 Arten gelten als gefährdet. Zum Vergleich: Für Deutschland verzeichnet die gleiche Liste drei Arten als direkt bedroht und 14 als gefährdet. Die Zeit drängt also, zumal der Anteil der Endemiten, also der Arten, die nur auf Kuba vorkommen, mit über 50 % ausgesprochen hoch ist. Insgesamt umfasst die Flora von Kuba etwa 7000 Arten Gefäßpflanzen – drei Mal so viel wie Mitteleuropa.

Wie in den meisten Entwicklungsländern erfolgte die botanische Erforschung von Kuba zunächst von außen. Sammler aus Nordamerika und Europa bereisten die Insel, vor 200 Jahren schon Alexander von Humboldt. Die ohnehin schwach entwickelte landeseigene Botanik erfuhr durch die Umwälzungen der sozialistischen Revolution (1959) zunächst einen Rückschlag. Hilfe war also höchst willkommen. Da fügte es sich gut, dass der Jenaer Botaniker Johannes Bisse, wissenschaftlicher Enkel des früheren Direktors des Berliner Botanischen Gartens, Adolf Engler, die Chance für die ostdeutsche Botanik zur Erforschung eines tropischen Landes erkannte.

Seine Initiative führte schließlich zu einem 1974 zwischen Kuba und der DDR vereinbarten Projekt zur Erforschung der kubanischen Pflanzenwelt mit dem Ziel einer umfassenden Bearbeitung in einer neuen "Flora". Wissenschaftlich getragen wurde das Projekt von der Universität Havanna, der kubanischen Akademie der Wissenschaften, der Friedrich-Schiller-Universität in Jena und der Humboldt-Universität zu Berlin.

Ein lebhafter Austausch von Wissenschaftlern begann. Kubanische Botaniker lernten in der DDR eine gut entwickelte Botanik kennen. Ostdeutsche Botaniker lernten gemeinsam mit den ortskundigen Kubanern ihr neues Arbeitsgebiet kennen und beteiligten sich an der Ausbildung. Es setzte eine intensive Sammeltätigkeit ein, die bis heute anhält. 80.000 Kollektionen sind bis jetzt katalogisiert. Wie heute allgemein bei Sammeltätigkeit in der Dritten Welt üblich, wurde der Verbleib der Kollektionen genau geregelt: Ein Exemplar erhielt das Herbar der Universität Havanna, eines ging an die Akademie der Wissenschaften, und Zigtausende von Aufsammlungen waren groß genug für Dubletten in Jena und Berlin. Erstmals entstand in Kuba ein erstklassiges Herbar, auch im Computer-Zeitalter die unentbehrliche Grundlage für die Erforschung der Pflanzenwelt. In Havanna entstand der mit 600 ha größte Botanische Garten Lateinamerikas.

Die wissenschaftliche Arbeit zur Publikation einer Flora von Kuba umfasst nicht nur die Untersuchung der neu gesammelten Kollektionen, sondern möglichst aller in den Herbarien der Welt liegenden Aufsammlungen von der Insel. Die immense Literatur musste kritisch eingearbeitet werden, Daten über Chromosomenzahlen und Biochemie ergänzt, Abbildungen angefertigt werden usw. Etwa 70 Wissenschaftler waren beteiligt.

Und dann fiel die Mauer. Vorher privilegiertes Vorzeigeprojekt der DDR-Botanik, geriet die Arbeit nun in ein völlig verändertes wissenschaftliches und politisches Umfeld. Zudem wuchsen in Kuba die rein materiellen Probleme für eine kontinuierliche Arbeit. Auf deutscher Seite wurde nach der Wiedervereinigung die Forschungslandschaft umstrukturiert, das Schicksal der HU-Botanik schien ungewiss.

In dieser Phase beschloss die Humboldt-Universität 1993 die Übertragung der Kuba-Sammlungen und der beteiligten Wissenschaftler an den Botanischen Garten und das Botanische Museum Berlin-Dahlem (BGBM). Hier fand das Berliner Standbein des Florenprojektes nicht nur eine sichere institutionelle Grundlage, sondern durch eine hervorragende Bibliothek und ein umfangreiches Herbar auch ausgezeichnete Arbeitsbedingungen. So konnte auch die von Dr. Birgit Mory seit 1979 an der HU aufgebaute Sammlung lebender Pflanzen in den Dahlemer Botanischen Garten übernommen werden. Die HU bewahrte ihre partnerschaftlichen Beziehungen zur Universität Havanna und war in formloser und effizienter Weise bei der Belebung der Kontakte zu den kubanischen Kollegen behilflich, so dass auch der Austausch von Wissenschaftlern wieder in Gang kam.

Prof. Dr. Werner Greuter, Leitender Direktor des BGBM und Mitherausgeber der auf Spanisch erscheinenden "Flora de la República de Cuba", weist auf die besonderen Probleme hin, für Botaniker mit unterschiedlicher Wissenschaftstradition eine gemeinsame Form und einheitliche Standards für die Publikation zu finden. Zwei Bände konnten schließlich Ende 1998 erscheinen, Band 3 und 4 Anfang dieses Jahres. Eine Form ist also gefunden, ein Anfang gemacht. Die von der HU mitgetragenen Humboldt-Jubiläumsfeiern in Havanna Ende Februar waren ein schöner Anlass, die neu erschienenen Bände vorzustellen. Es lässt sich derzeit noch nicht absehen, wann die auf über 100 Bände geschätzte Flora vollständig vorliegen wird, aber es wächst jetzt ein Werk heran, das nicht nur wegen seines wissenschaftlichen Wertes von großer Bedeutung ist, sondern für zahlreiche Anwendungsgebiete eine moderne Grundlage bietet, nicht zuletzt für den Artenschutz.

Botaniker des BGBM reisen jetzt nicht nur nach Kuba, sondern auch zu den benachbarten Inseln der Karibik, um den Blick zu weiten und beispielsweise Verbreitungsangaben abzuklären. Drei kubanische Kollegen kamen 1999 zu mehrmonatigen Arbeitsbesuchen ans Botanische Museum, der nächste Gastforscher ist für den 27. März angesagt. Diese Auslandsreisen sind für die kubanischen Botaniker auch deshalb so wichtig, weil sie nur dort Zugang zu den für Botaniker so wichtigen älteren Pflanzensammlungen erhalten.

Falsch wäre die Vorstellung, mit dem vollständigen Erscheinen des jetzt in Arbeit befindlichen Florenwerks wäre die Pflanzenwelt Kubas wirklich erforscht. Dr. Christa Beurton, am Florenprojekt fast von Anfang an beteiligt, bearbeitet unter anderem die Gattung Zanthoxylum (Gelbholz) mit ihren 25 kubanischen Arten. 13 davon sind bisher nur von Kuba bekannt. Einige Arten wurden nur einmal gesammelt und nie wieder gefunden. Von anderen kennt man immer noch nicht die Blüten oder die Früchte, und das, obwohl es sich um gut sichtbare Bäume oder Sträucher handelt! Der Grund: Die Arten haben zum Teil außerordentlich kleine Verbreitungsgebiete.

Eine Kenntnis der Pflanzenwelt, wie wir sie von europäischen Ländern gewohnt sind, ist "von außen" nicht zu leisten, der Erhalt der Arten noch weniger. In den Gewächshäusern des Botanischen Gartens werden etwa 100 kubanische Arten kultiviert, darunter etliche bedrohte Arten. Der im Rahmen des Projektes geförderte Aufbau des Botanischen Gartens von Havanna wird mit geringerem Aufwand wirkungsvolle Schutzmaßnahmen ermöglichen und die Bevölkerung für den Naturschutz sensibilisieren. Man kann den kubanischen Kollegen nur wünschen, dass die mit diesem Projekt geschaffenen Grundlagen zur Erforschung und Bewahrung ihrer Pflanzenwelt erhalten bleiben. Der BGBM hofft für die Zukunft auf eine Fortsetzung der fruchtbaren Kooperation.

Ausstellung

Dem früheren Direktor des Botanischen Gartens ist die Ausstellung "Die Welt in einem Garten; Adolf Engler – ein Leben für die Botanik”.gewidmet. Sie läuft seit dem 7. April im Botanischen Museum und ist bis zum 30. September 2000 täglich geöffnet von 10.00 –17.00 Uhr, Königin-Luise-Straße 6-8, Berlin-Dahlem.