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FU-N 3-4/2000
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FU-Physiker stellen ihr Fach vor

Klinische Pharmazie -
eine junge Disziplin

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Klinische Pharmazie – eine junge Disziplin


Patienten-orientierte Ansätze für die Tumortherapie

Ein zwischen Arzneipflanzen, alkoholischen Lösungen und aromatischen Ölen mit dem Mörser hantierender Apotheker, der nach eigenen Rezepturen Salben und Tinkturen herstellt, ist ein Bild aus der Vergangenheit. Heute werden Arzneimittel überwiegend von der Pharmazeutischen Industrie produziert, die Analytik obliegt meist Speziallabors. Der Berufsalltag des Apothekers hat sich grundlegend gewandelt. Eine individuelle Beratung der Patienten und die Therapiebegleitung, auch in Zusammenarbeit mit den behandelnden Ärzten, stehen nun im Vordergrund – sowohl in öffentlichen Apotheken als auch im Krankenhaus. Ob es um die Wirksamkeit neuer "Wunderpillen" geht, die Nebenwirkungen von Johanniskraut, eine neue Formuladiät oder die Beratung bei Bluthochdruck und Diabetes: "Fragen Sie Ihren Arzt – oder Apotheker."

Um den veränderten Anforderungen gerecht zu werden, wurde bereits 1997 das Fach Klinische Pharmazie auf persönliche Initiative von Prof. Walter Schunack an der FU etabliert. Im Gegensatz zur Klinischen Pharmakologie, deren Wurzeln in der Medizin (Anatomie, Physiologie und Pathophysiologie) liegen – die Diagnose bestimmt hier die Therapie –, definiert sich die Klinische Pharmazie völlig anders. Ihre Grundlage sind die Naturwissenschaften. Die Chemie und Biologie (Struktur) eines Wirkstoffes, seine Biochemie (Proteinbindung) und Pharmakologie (Wirkung) bestimmen das Therapiekonzept.

Die Forschung der stark am Patienten orientierten Disziplin konzentriert sich an der FU auf die Optimierung der individuellen Arzneimitteltherapie – mit Schwerpunkt auf Antitumormitteln zur Behandlung von Leukämien und anderen Krebserkrankungen des Blutes. Bisher wurden Chemotherapien nach einem empirisch festgelegten Schema durchgeführt. Aber die Pharmakokinetik eines Arzneistoffes – d.h. wie die Substanz vom Patienten resorbiert, im Körper verteilt, verstoffwechselt und wieder eliminiert wird – ist sehr individuell. Es kommt zu ganz unterschiedlichen Reaktionen auf eine Therapie, und die Folgen können lebensbedrohlich sein. Ein zusätzliches Problem ist, dass die Zellen der Patienten verschieden empfindlich auf einen Arzneistoff reagieren (Pharmakodynamik).

Derzeit entwickelt der Arbeitskreis ein Bestimmungssystem, mit dem bereits im Vorfeld der Therapie ex vivo, an Blutzellen von Patienten, die Wirksamkeit der Zytostatika überprüft werden kann. Der individuelle Verlauf einer Chemotherapie wird damit exakt beschreibbar und vorhersehbar. Arzt und Pharmazeut können gemeinsam die optimale Dosis des effektivsten Medikaments und den Zeitverlauf der Therapie festlegen. Dadurch bleiben dem Patienten unnötige und überdosierte Behandlungen mit den extrem toxischen Zytostatika erspart.

Noch ist die junge Disziplin nicht Bestandteil der Approbationsordnung für Apotheker, aber nach dem neuesten Referentenentwurf soll sie demnächst als 5. Prüfungsfach darin aufgenommen werden.

Ungeachtet dessen werden bereits seit vier Jahren Lehrveranstaltungen in Klinischer Pharmazie an der FU abgehalten. Mit einem Pflichtseminar (1 SWS) und einem freiwilligen einwöchigen Ferienkurs (ab dem 7. Semester) wird das Fach eingeführt. In Zusammenarbeit mit den Klinischen Pharmazeuten des Virchow Klinikums, des Urban Krankenhauses und des Krankenhauses Moabit lernen die Studierenden an konkreten Patientenfallbeispielen aktuelle Probleme der Arzneimitteltherapie kennen. Mit Hilfe ihres pharmazeutischen Wissens sollen sie Patientendaten auswerten, Therapieempfehlungen geben und den Verlauf der Therapie beobachten und begleiten. Visiten zur Arzneimittel-Anamnese auf den Krankenhausstationen gehören ebenso zum Programm wie Rollenspiele zur Patientenberatung in öffentlichen Apotheken oder zum Therapiegespräch zwischen Arzt und Pharmazeut.

Warum war ausgerechnet die FU Berlin Vorreiter für die neue Disziplin? Dr. Charlotte Kloft, die das Fach von Anfang an mit aufbaute und, nach zweijähriger Industrietätigkeit, seit Mitte 1999 als neue Leiterin den Arbeitskreis übernommen hat, ist etwas überrascht. "Gute Frage. Es bedurfte eines großen Fachbereichs, der nicht nur über die nötigen finanziellen Mittel, sondern auch über entsprechende Räumlichkeiten verfügt. Außerdem verlangt die Etablierung eines neuen Lehr- u. Forschungsbereiches viel Engagement und Improvisationstalent." Prof. Schunack und ihr Vorgänger, Dr. Ulrich Jaehde, verfügten über beides. Letzterer wurde dafür mit dem ersten Lehrstuhl für Klinische Pharmazie in Deutschland, an der Universität Bonn, belohnt.

Catarina Pietschmann