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Was kostet eine Magisterarbeit?

Von Irene Portnoi

Wer sich als Prüfling einem Ghostwriter anvertraut, lebt gefährlich.
Deshalb: Selber lernen macht erfolgreich
Foto: Portnoi

Ein Gespenst geht um in der Universität. Es geistert durch Prüfungsbüros, streift die vergeistigten Hallen der Büchereien, spukt im Internet...

„Rent a ghost! Mit spitzer Feder frisiere ich Ihre Diplomarbeit oder schreibe sie komplett neu. Diskretion: Ehrensache” – prangt es von einem Zettel neben der Germanistik-Bibliothek.

„Ghostwriter-Service: kompetent, diskret, fix. Biete Hilfe bei Problemen mit wissenschaftlichen Arbeiten. Auch Komplett-Erstellung“ lockt eine Kleinanzeige in der „Zitty“. In der „Welt“ verspricht ein Doktor phil. für 10.000 Mark eine Doktorarbeit à la carte. Auch im Internet findet der potenzielle Schummler Abhilfe bei Schreibhemmungen – fertige Abschlussarbeiten warten auf Käufer per Mausklick. Herunterladen, umformulieren, umformatieren – fertig. Ein BWLer, den die Suchmaschine beim richtigen Stichwort sofort präsentiert, bietet sogar eine Geld-zurück-Garantie bei Nichtgefallen seiner individuell erstellten wissenschaftlichen Arbeit. Schreibt überhaupt noch jemand selbst?

„Es werden nur selten Fälle aufgedeckt. Die Ghostwriter hüllen sich in Schweigen, die Prüflinge auch, aber sie sitzen auf einer tickenden Bombe, denn irgendwann kommt die Täuschung heraus“, sagt Hardy Grafunder vom Rechtsamt der Freien Universität, der manchmal als uni-interner „Ghostbuster“ unterwegs ist. Er inspiziert schwarze Bretter, nimmt verdächtige Annoncen ab und lässt Kollegen bei dem einem oder anderen potenziellen Geistschreiber „undercover“ anrufen. Gefasst hat er noch keinen auf diese Weise. „Die Grenzen zwischen erlaubter und unerlaubter Hilfe sind fließend. Da ist es schwer, Täuschung nachzuweisen.“

Ghostwriter gibt es, solange es die Wissenschaft gibt. Anke Biemer hat nach ihrem Studium bei einer Nachhilfe-Agentur gejobbt und kam so zum Schreiben für andere: „Viele Studenten verfangen sich in unstrukturierten Notizen und bringen keinen klaren Satz aufs Papier. Andere sind sehr gut, haben aber keine Zeit, selbst zu schreiben. Ich habe auch Kunden, die erfolgreich im Beruf stehen und den Doktortitel dringend brauchen, um weiter aufzusteigen.“

Zeit ist kostbar. Und Wissenschaft kostet Zeit. Selbst einen Text zu verfassen, wäre ja ökonomischer Unsinn. Dafür kann man sich junger Wissenschaftler bedienen, die angesichts der heutigen Arbeitsmarktlage für jeden Job dankbar sind.

Grundsätzlich gilt die Regel: Je mehr Freunde von dem Coup wissen, desto mehr potenziert sich die Gefahr. Schon manch ein Student bekam arge Probleme mit dem Rechtsamt der FU, als seine Liebesbeziehung zu Bruch ging: „Ex-Partner bringen die schönsten Geheimnisse ans Licht. Sie sind die besten Quellen“, sagt Grafunder. Es gibt aber auch extrem unvorsichtige Schummler: „Ein Student erschien mit einem Tennisschläger in der Jura-Bibliothek und fragte vor allen Leuten seinen Ghost, ob er mit seiner Hausarbeit vorankomme. Kommilitonen haben ihn dann gemeldet“, erzählt der Geisterjäger aus seiner Praxis.

„Ghostwriter bewegen sich am Rande der Legalität“, sagt Dr. Klaus Hebbel von den Akademischen Diensten Berlin, der sich als „privater Tutor“ bezeichnet und „schnell, preiswert, stressfrei, kreativ bei Doktorarbeiten, Staatsexamen, Magister, Diplom, Referaten und Hausarbeiten“ Hilfe verspricht. Das Wort Ghostwriter nimmt er gar nicht erst in den Mund: „Probleme kann ich nicht gebrauchen.“ Denn noch Jahre nach der Prüfung kann der akademische Grad aberkannt werden. Der Ghost macht sich ebenso schuldig wie sein Auftraggeber: „Er benimmt sich wissenschaftlich unehrenhaft und verdient deshalb seinen Grad nicht”, sagt Grafunder.

Dabei beschäftigt fast jeder Politiker seinen persönlichen Ghostwriter, und nur die wenigsten Firmenchefs schreiben ihre Reden selbst. Präsidenten, Kanzler, Minister und Konzernchefs beschäftigen oft eine ganze Ghostwriter-Mannschaft, die sie meist „Referenten“ nennen. Auch an der Universität.

Viele Fremdschreiber sind arbeitslose Akademiker – Geisteswissenschaftler, Sprachkünstler, die den Sprung von der Uni in die Praxis nicht geschafft haben. Nur Wenige rühmen sich im Fernsehen damit, pro Jahr an die 15 Magister- und Doktorarbeiten in allen Fachbereichen zu produzieren. „Ich glaube es denen nicht. Für eine richtige Doktorarbeit würde ich so lange wie für meine eigene brauchen – mindestens zwei Jahre. Es ist kein dolles Geschäft“, sagt Hebbel. Sein Leben lang hat er studiert – von Medizin über Jura bis Linguistik und Philosophie. Alles hat ihn interessiert, Einiges hat er auch abgeschlossen, und er ist promoviert. Von seiner Schreibtätigkeit für Studenten allein kann er allerdings nicht leben: „Studenten haben wenig Geld, erwarten aber sehr viel. Ich übersetze noch viel und mache andere Dinge. So kann ich mich über Wasser halten“, sagt er. „Ich setze da an, wo Professoren in der Massenuniversität versagen und biete persönliche Betreuung. Und diese kann manchmal schon sehr weit gehen.“

Die Denkfabrik „Gantert & Partner“, die sich auf akademisches Ghostwriting spezialisiert hat, beschäftigt sogar mehrere Hochschulprofessoren und ist stolz auf ihre „Kapazitäten“. Wer nicht aufpasst, kann also seinen eigenen Doktorvater mit dem Schreiben der Arbeit beauftragen.

„Ich rate jedem davon ab, einem Ghostwriter zu vertrauen. Sie verhalten sich kriminell, sie sind zum Lügen und Täuschen bereit. Man begibt sich in ein lebenslanges Abhängigkeitsverhältnis zu diesen Menschen, macht sich erpressbar. Vielleicht fällt ja dem Ghostwriter ein, dass er einen Anteil an der Karriere haben möchte ...“, sagt Grafunder.

 
 
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