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Verpflegungs- und Personallisten, Anweisungen der Zentralregierung und Gerichtsprotokolle – geschrieben auf Holztäfelchen wie diesen – geben Auskunft über das Leben in Agrargarnisionen

   
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Dietrich von Richthofen

„Wüste Gobi” ist eigentlich eine Tautologie. Denn „Gobi” heißt schon „Wüste” – auf mongolisch. Als könnte man gar nicht ausreichend betonen, wie trocken, wie karg und weitläufig diese steppenartige Landschaft in Mittelasien ist.

Mit der Untersuchung von Pflanzenpollen, Gesteinsproben und alten Schriftstücken wollen die Wissenschaftler der schweigenden Landschaft ihre Geheimnisse entlocken
Foto: Bernd Wünnemann

Fragt man Hans-Joachim Pachur, Professor am Institut für Geographische Wissenschaften, erfährt man, dass das nicht immer so gewesen ist. Seit Dezember 1999 ist er Initiator und Sprecher eines von der DFG finanzierten Gemeinschaftsprojekts mehrerer Fachbereiche der FU und anderer Universitäten. Ziel des Projekts ist eine Rekonstruktion der Umwelt im Gebiet der Gobi zu verschiedenen Zeiten der Erdgeschichte. Pachur: „Wir versuchen nachzuweisen, dass es in einigen Gebieten der Gobi sehr fruchtbare Perioden mit hohen Niederschlagsmengen gegeben hat. Auch in der Sahara hatten sich vor mehr als 9000 Jahren Seen und Flussläufe gebildet, die wieder verschwanden, nachdem das Klima vor etwa 4800 Jahren umschlug. Heute sind die Flüsse meist vertrocknet, die Becken der ehemaligen Seen werden vom Wind ausgeblasen.”

Aber die Geowissenschaftler können die Vergangenheit nicht allein rekonstruieren. Acht Projekte verschiedener Fachbereiche arbeiten zusammen: Geophysiker, Geologen, Botaniker, Bodenkundler, Nomadismusforscher und Sinologen. Die chinesischen Kollegen, die das Projekt intensiv begleiten, kommen von der Universität in Lanzhou, der Hauptstadt der im Nordwesten Chinas gelegenen Provinz Gansu, und aus der Autonomen Region Innere Mongolei.

Foto: Bernd Wünnemann

Bauern und Soldaten

Vor 2000 Jahren – während der Han-Dynastie – erlebte das „Reich der Mitte” eine Zeit der Blüte. Es erstreckte sich von den tibetischen Hochebenen im Westen bis zum Gelben Meer im Osten, von der südlichen Meeresküste bis zu den mongolischen Steppen im Norden. Zur Sicherung der nördlichen Grenze und zur Nutzbarmachung des unwirtlichen Landes siedelten die chinesischen Herrscher dort Soldaten an, die zugleich Bauern waren, und zwar recht erfolgreiche. Es wird vermutet, dass diese Agrargarnisonen zeitweise mehr produzierten, als sie selbst verbrauchten. Trotzdem wurden sie um 140 n. Chr. zurückgezogen.

War dies ein erstes Anzeichen für den 40 Jahre später einsetzenden Zerfall des Reiches, oder gab es ökologische Ursachen, wie einige Hinweise vermuten lassen?

Die Sinologen Prof. Erling von Mende und Enno Giele vom Ostasiatischen Seminar der FU sichten – die zum großen Teil nur fragmentarisch erhaltenen – Originaldokumente aus der damaligen Zeit: 23.000 beschriftete Holzstäbchen oder Täfelchen sind zu begutachten. Amtliche Anweisungen der Zentralregierung, Gerichtsprotokolle, Briefe. „Dokumente wie Verpflegungs- und Personallisten oder Aufstellungen über die Ausrüstung geben uns Auskunft darüber, wieviele Menschen in diesen Posten lebten, was sie gegessen haben, was sie zur Verteidigung benutzten. Gelegentlich kann man anhand von Briefwechseln oder Gerichtsprotokollen kleine Geschichten aus dem Alltag der Leute verfolgen”, sagt Enno Giele, der seit 1995 in Taibei wohnt. Er nutzt für seine Forschung die digitalen Datenbanken, die es in der taiwanesischen Hauptstadt gibt. Einige der alten Dokumente liegen hier auch in der Übersetzung in westliche Sprachen vor. Gelegentlich verlässt der Sinologe den Computer in Richtung Innere Mongolei, in die Gegend des Flusses Ruo Shui. Dort stehen die 2000 Jahre alten Ruinen der Wehranlagen, deren genaue Standorte er mit Hilfe des satellitengestützten Global-Positioning-Systems (GPS) festlegt. Eine wertvolle Information für die Physischen Geografen im Projekt, die Verlauf und Abgrenzung der ehemaligen Seen und Flussläufe erkunden möchten.

Politik oder Natur?

Besonders bei der Forschung vor Ort greifen die Forschungen der verschiedenen Disziplinen ineinander. „Die Pflanzen sind Indikatoren für Klima und Boden”, sagt Harald Kürschner, der Botaniker im Team. Deshalb wird er hellhörig, wenn in den Dokumenten der Sinologen eine Pflanzenart erwähnt wird, die in dieser Region heute nicht mehr wächst und bei den heutigen klimatischen Bedingungen auch gar nicht mehr gedeihen könnte.

Die Botaniker können die Umweltveränderungen „nur” bis zur Eiszeit, die vor ungefähr 10.000 Jahren zu Ende ging, zurückverfolgen. Das Team der Physischen Geografie dringt viel weiter in die Vergangenheit vor: Durch über 200 m tiefe Bohrungen werden verborgene Erdschichten erschlossen mit fossilen Resten der Pflanzen- und Tierwelt, unterschiedlichen Bodenarten und See-Sedimenten. Die Schnecken und kleinen Krebse, die im Gestein eingeschlossen sind, lassen sich auf ein Alter von bis zu 950.000 Jahren zurückdatieren. Unter den Einschlüssen sind auch Mikrofossilien, Einzeller und Kleinstlebewesen, die von den FU-Paläontologen analysiert werden. Untersucht man die Proben aus der Tiefe mit starken Mikroskopen, findet man Pollen, die von der damaligen Pflanzenwelt übrig geblieben sind. Spezialisierte Botaniker der Universität Göttingen zählen die Pollen und identifizieren die Pflanzen, von denen sie stammen. Daraus kann man Rückschlüsse auf die Zusammensetzung der Vegetation ziehen.

Fayez Alaily, Bodenkundler von der TU Berlin, untersucht die Böden der Region auf ihren Salzgehalt und ihre Fruchtbarkeit hin. Für Erling von Mende und Enno Giele sind der botanische und der bodenkundliche Befund wiederum wichtig für die inhaltliche Interpretation der Texte.

So formt sich nach und nach aus den fragmentarischen Informationen, die die Forscher zusammentragen, das Gesamtbild des früheren Klimas und der vergangenen physischen Beschaffenheit einer Region, die heute Wüste genannt wird.Und vielleicht klärt sich

auch die Frage, ob es eine politische Entscheidung der Kaiser war, die nördlichen Stellungen aufzugeben, oder eine Verödung des Landes, hervorgerufen durch Erosion und Versalzung der bebauten Böden, oder gar ein Klimawechsel, der die Grenzposten in die Knie zwang.

 
 
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