FU Berlin
FU-Nachrichten
 
Navigationsbalken

FU-N 1-2/2000
Wissenschaft

Ökotoxikologen der FU entwickeln Tests für den Bodenschutz

Otto-Klung-Preis für den Göttinger Physiker Roland Ketzmerick

Drei Millionen für Kernresonanzspektrometer

FU-Wissenschaftler auf den Spuren indianischer Identität

Botanischer Garten: Vorbereitung für den Auftritt der Königin

Arabistik: Wissen und arabische Biographie

   
  Vorheriger Artikel

Arabistik
"Wissen und arabische Biographie"


Auch ohne modernste Kommunikationstechniken haben sich islamische Gesellschaften im Mittelalter als "Wissensgesellschaften" verstanden. So lautet zumindest eine Hypothese, die im Forschungsprojekt "Wissenstradierung in arabischen Biographien des 13. Jahrhunderts. Computergestützte Analyse und Dokumentation der Lebenswege von Ibn Khallikan und seinen Zeitgenossen" überprüft werden soll.

Wissen ist denn auch das Schlagwort, unter dem Ende des Wintersemesters 1999/2000 die Arabistik-Professorin Dr. Renate Jacobi und ihr wissenschaftlicher Mitarbeiter Dr. Gerhard Wedel im Seminar für Semitistik und Arabistik (Fachbereich Geschichts- und Kulturwissenschaften der FU Berlin) ein von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) gefördertes Projekt beginnen. In diesem Projekt geht es neben Begriffsbestimmungen auf der Basis historischer Texte vor allem um die praktische Rolle von Wissen im Leben von historischen Personen, die ihr Wissen als "kulturelles und soziales Kapital" einsetzten, um sich in einer multi-ethnischen und multi-religiösen Gesellschaft zu behaupten. Da Wissenstradierung als ein sozialer Prozess zu verstehen ist, werden nicht nur individuelle Biographien untersucht, sondern auch die sozialen Netze, in denen die Wissenstradenten agierten.

Um die Lebensläufe von Personen aus dem 12. und 13. Jahrhundert in Damaskus, Kairo und Baghdad rekonstruieren zu können, wird ein herausragendes Werk der arabischen Biographik analysiert. Der Verfasser war Schams ad-Din Abul-Abbas Ahmad ibn Muhammad Ibn Khallikan, – so ein Teil seines arabischen Namens. Er wurde 1211 in Irbil im Nordirak geboren, lebte allerdings bis zu seinem Tod 1282 vorwiegend in Syrien. Dieser Ibn Khallikan sammelte leidenschaftlich biographische Informationen von Personen aus sieben Jahrhunderten und trug sie in etwa 900 Artikeln in seinem biographischen Lexikon unter folgendem Titel zusammen: "Wafayat al-a`yan wa-anba’ abna’ az-zaman", worunter "Biographien verstorbener Persönlichkeiten und Nachrichten über die Zeitgenossen" zu verstehen ist. Zwei Originalhandschriften des Autors liegen in der British Library in London, eine englische Übersetzung erschien 1842-1871 und eine Auswahl biographischer Artikel in deutscher Übersetzung 1984.

Die Wahl fiel auf Ibn Khallikan, weil seine Daten als besonders zuverlässig gelten und weil er ein ungewöhnlich breites soziales Spektrum von Personen beschrieben hat. Das hängt mit seinem Berufs als Richter und Lehrender zusammen, durch den er unterschiedlichste Personen kennen lernte. Außerdem lebte Ibn Khallikan in einer Zeit großer historischer Umbrüche für den Nahen Osten: Die Mongolen überrannten die östlichen islamischen Reiche und führten den Untergang des Kalifats von Bagdad herbei, die kiptschakischen Mamluken beendeten nicht nur die einst von Saladin begründete Herrschaft der kurdischen Ayyubiden in Ägypten und Syrien, sondern auch den Vormarsch der Mongolen in Syrien und nicht zuletzt die politische Selbständigkeit der letzten Kreuzfahrerstaaten.

Dieser Textkorpus umfasst etwa 3.500 Buchseiten, so dass systematische Analysen allein mit Computerunterstützung durchführbar sind. Doch nicht allein der Umfang von Wortschatz und biographischen Daten sprechen dafür, sondern die Notwendigkeit, die digitalisierten arabischen Texte ständig als Referenz für Text- und Inhaltsanalysen zur Verfügung zu haben. Angefangen vom Scannen der arabischen Texte, über die Erschließung der Lebenswege in einer Datenbank und die Text- und Inhaltsanalysen bis hin zur Dokumentation der Ergebnisse auf CD-ROM werden Computerprogramme eingesetzt, die arabische Zeichensätze verarbeiten können.

Die zeitliche Begrenzung des Projekts auf vorerst zwei Jahre erfordert die Konzentration auf die 100 Zeitgenossen Ibn Khallikans, die er als seine Lehrer, Kollegen, Freunde und Bekannten beschrieben hat.

Gerhard Wedel