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FU-Wissenschaftler auf den Spuren indianischer Identität
Böser Wilder oder edler Naturmensch?


VON IRMELIN EHRIG

Konferenzraum des Kennedy-Instituts: Der erste Vortrag der Konferenz "Mirror-Writing, (Re-) Constructions of Native American Identity" an der Freien Universität Berlin hat soeben begonnen, als sich der Blackfoot-Indianer M.S.L. kurz erhebt, eine Handkamera in Richtung des Referenten hält und schnell viermal hintereinander abdrückt. Es bedurfte keines Wortes, die Botschaft wurde von allen verstanden. Denn einen Tag zuvor hatte es ein regelrechtes Blitzlichtgewitter gegeben, als M.S.L. und einige Vertreter anderer Indianerstämme in traditioneller Kleidung ins Museum für Völkerkunde in Berlin-Dahlem kamen, um dort zur Ausstellungseröffnung "Indianer Nordamerikas: Vom Mythos zur Moderne" die Ausstellungsobjekte zu weihen und traditionelle Tänze aufzuführen.

Die Geste des Blackfoot macht die Vorstellung der Westlichen Welt vom "Indianer" sichtbar: Der exotische Fremdling – ein Fotomotiv. Das schwarz-weiße Bild vom "bösen Wilden" und "edlen Naturmenschen" hat sich seit Columbus erhalten. Populärstes Beispiel des tapferen und heroischen Indianers ist immer noch "Winnetou", der Apachenhäuptling, den Karl May kurzerhand aus dem Südwesten der USA in die Plains-Ebene versetzte. Dabei machte er aus dem Getreidebauern einen nomadischen Indianer mit Friedenspfeife und Federschmuck, der bis heute als Prototyp des Indianers in unseren Köpfen herumgeistert.

Ein Coyote alsZigarrenladeninhaber (li)
Die Friedenspfeife: die zeremoniellen Pfeifen der Sioux (re)

Am John-F.-Kennedy-Institut (JFKI) der Freien Universität Berlin sind die Indianer Nordamerikas längst zum Forschungsthema geworden. Den damit beschäftigten Wissenschaftlern liegt auch die Korrektur der verbreiteten Klischees am Herzen. FU-Dozentin Dr. Maria Moss, die den Kongress "Mirror Writing" zusammen mit ihrem Kollegen Dr. Thomas Claviez initiiert und durchgeführt hat, zieht das Fazit: "Positiv und negativ zugleich war die Tatsache, dass in diesem Rahmen auf zwei verschiedenen Ebenen diskutiert wurde: einerseits von der Seite westlicher Wissenschaft, andererseits von Seiten indianischer Lebenswirklichkeit. Die Beobachtungen und Wahrnehmungen von Indianern und Wissenschaftlern waren fast nie kongruent und allen Beteiligten wurde bewusst, dass es einen großen Unterschied gibt zwischen dem westlichen Reden über das Selbstverständnis der Indianer und dem Verständnis der Indianer von sich selbst."

Moss ist Literaturwissenschaftlerin der Amerikanistik und beschäftigt sich insbesondere mit indianischer Literatur. Das gegenwärtige Selbstbild der Indianer Nordamerikas zeigt – wenigstens in den Romanen – ein starkes Bewusstsein der eigenen indianischen Kultur, zugleich aber auch den Willen zur Integration. Die Repräsentanten indianischer Reservate – und diese Ansicht ist auch auf der Konferenz von den Vertretern indianischer Stämme vehement vertreten worden - halten dagegen eine stärkere Integration von ihrer Seite für problematisch. Sie haben die Erfahrung gemacht, dass eine bedingungslose Eingliederung in das ökonomisch bestimmte Wertesystem der Amerikaner und Kanadier ihre indianische Existenz gefährdet.

Wenngleich fast alle heutigen Indianer nur noch einen Bruchteil indianischen Blutes in sich haben, fühlen sie sich oft in der westlichen Welt fremd. Doch in den letzten Jahrzehnten haben sich viele Indianer wieder auf die alten Traditionen und ihre indianischen Werte besonnen. Sie kehrten in ihre Reservate zurück und versuchten, im Abseits der amerikanischen Gesellschaft ein neues Leben zu beginnen. Auch die Literatur hat sich dieser Thematik angenommen, so z.B. Leslie Marmon Silkos "Ceremony" oder der Roman, der die Renaissance der indianischen Literatur eingeleitet hat und als einziger von einem Indianer geschriebener Roman den Pulitzer Preis gewann: N. Scott Momadays "House Made of Dawn". Was den Protagonisten in der Literatur gelingt, gelingt jedoch nur wenigen in der Wirklichkeit. Einer der kleinsten Stämme, die Pequot in Neuengland, schaffte es jedoch, im "Big Business" mitzumischen und gilt heute als mit Abstand wohlhabendster Stamm der USA. Mehr als eine Milliarde Dollar Jahresumsatz springt heraus – das Reservat der Pequot ist seit den 70-er Jahren das Paradies der Spieler in den Vereinigten Staaten. Da Glücksspiele dort – von wenigen Ausnahmen abgesehen – verboten sind, haben die Pequot eine Marktlücke entdeckt und verstanden, sie zu nutzen. Denn in indianischen Reservaten sind Glücksspiele gesetzlich erlaubt, weil sie in der Kulturtradition der Indianer fest verankert sind.

Die meisten der knapp 600 anerkannten Indianerstämme Nordamerikas leben dagegen in bitterer Armut: "Das ist nicht mehr dritte, sondern vierte Welt", meint Moss. "Viele Menschen leben in Wellblechhütten ohne fließendes Wasser. 60- 80% der Indianer sind arbeitslos und ebenso hoch ist die Alkoholismusrate." Da viele Stammesmitglieder von Sozialhilfe leben, gelten sie bei einem Großteil der amerikanischen Bevölkerung als Schmarotzer des Staates, als nichtsnutzig und kriminell. Das erschwert wiederum die Integration. "Indianer sind in ganz Nordamerika die am schlechtesten sich integrierende Minderheit. Schwarze, Asiaten und Europäer haben nicht diese Probleme", stellt Moss fest. Über den Grund kann sie nur spekulieren: "Ich vermute den Kern des Konflikts darin, dass die innere Haltung der Indianer der westlichen Lebensweise diametral entgegengesetzt ist. Bei uns muss es immer Fortschritt geben. Ständige Innovation gehört zu unserer Lebensweise. Es gibt geradezu eine Angst vor dem Stillstand. Die indianische Kultur ist dagegen eine Kultur des Bewahrens." Dahinter steht, wie Moss glaubt, ein elementares Verhältnis der Indianer zur Natur. Ihre religiöse Auffassung macht die Natur dem Menschen nicht untertan, sondern begreift seine Existenz als Teil der zyklischen Natur. So war es bei vielen Stämmen Nordamerikas üblich, sich nach der Tötung eines Tieres bei der Natur zu entschuldigen und sich beim Geist des Tieres für seine Opferung zu bedanken. Diese unvereinbaren Mentalitäten führen nach Moss zu permanenten Missverständnissen zwischen der westlichen und indianischen Zivilisation.

"Karl May", so Moss, "hat trotz seiner Verfälschung des Indianerbildes dafür gesorgt, dass in Deutschland ein weitgehend positives Bild der Indianer dominiert und dass in Deutschland – verglichen mit anderen Nationen – ein überdurchschnittliches Interesse an der indianischen Kultur besteht, auch im wissenschafltlichen Bereich."

Fotos: Museum für Völkerkunde