FU|Nachrichten 10/99 Hochschule Die FU diskutiert über ihr Leitbild Ringvorlesungen Marketing und Sponsoring an der Freien Universität |
Die FU diskutiert über ihr Leitbild
VON DIETER LENZEN Es gibt Erwartungen, denen man sich kaum entziehen kann, auch wenn man deren Grundlagen nicht umstandslos teilt. Die öffentliche Erwartung an die Universitäten, sich ein Leitbild zu schaffen, gehört dazu. Viele Universitäten sind deshalb der Aufforderung nachgekommen, sich solche Visionen für Hochglanzbroschüren zu schreiben ad usum delphini zur Verteilung bei Feierlichkeiten, an Besucherdelegationen, für Neuberufene und aus anderen rituellen Anlässen. Die Formulierungen solcher Leitbilder befinden sich, damit sie konsensfähig und unanstößig sind, deshalb auf einem hohen Abstraktionsniveau und unterscheiden sich voneinander kaum. Unsere Mitarbeiter im VW-Projekt "Hochschulinterne Steuerungsmodelle" haben eine Auswahl solcher Formulierungen miteinander verglichen, und es stellt sich schnell heraus, dass die meisten Leitbilder bestimmte Kategorien ausfüllen und darunter ähnliche Ziele formulieren. In jedem Leitbild erscheinen mindestens die Kategorien "Internationalität", "Regionale Einbindung", "Wissenschaftsfreiheit", "Bildung", "Förderung des wissenschaftlichen Nachwuchses", "Gesellschaftliche Verantwortung", "Praxis- und Berufsbezug", "Kooperation". Was sich hinter diesen Kategorien verbirgt, kann von jedem anständigen Wissenschaftler unterzeichnet werden, z.B. "Internationalität": "...fördert den Austausch und koordiniert Aufgaben mit in- und ausländischen Universitäten mit dem Ziel der Kompetenzverbesserung..." (Universität Basel) oder: "Weltoffene Internationalität" (Universität Hamburg) oder: "...pflegt internationale Zusammenarbeit" (Universität Zürich).
Derartige Formulierungen eignen sich indessen kaum für die Zwecke, für die Leitbilder eigentlich ersonnen werden. Diese entstanden ursprünglich in den sechziger Jahren im Raum der Industrieunternehmen, als diese in wirtschaftliche Schwierigkeiten gerieten. Eine Besinnung auf "Kernkompetenzen" sollte zur Konsolidierung durch Motivierung der Mitarbeiter beitragen, diesen klarmachen, was für ihr zukünftiges Handeln bedeutsam sei und eine Schärfung des Profils gegenüber Konkurrenten gewährleisten. Man geht davon aus, dass solche Zielformulierungen den Zusammenhalt der Unternehmensangehörigen fördern, zentrale und dezentrale Entscheidungen koordinieren helfen, eine Organisation zur Veränderung führen und das Unternehmen nach außen besser darstellbar machen. Im Bereich der Unternehmenskultur werden dabei häufig verschiedene Zielarten unterschieden, die Bestandteil des Leitbildes sind, z.B. "Leistungs- und Entwicklungsziele, Verhaltens- und Handlungsziele sowie Akzeptanz- und Imageziele" oder "Grundwerte, Trendwerte und Orientierungswerte". Die ganz überwiegende Zahl großer Unternehmen besitzt inzwischen solche Leitbilder, und deren Effektivität wird im allgemeinen positiv eingeschätzt, wenngleich die zu ihnen hinführenden Prozesse und ihre Erfolge einen langen Atem voraussetzen. Auch wenn deutsche Universitäten (noch) keine Unternehmen sind, teilen sie in wachsendem Maße doch Eigenschaften mit ihnen. Sie haben wirtschaftliche Probleme, Identitätsprobleme, Schwierigkeiten mit der Mitarbeitermotivation, sie sind in eine Profil voraussetzende Konkurrenz mit anderen Universitäten geschickt worden, und im Rahmen einer Dezentralisierung von Entscheidungen wächst der Bedarf an Kohäsion. Dieses gilt auch und besonders für die Freie Universität. Da sie im Rahmen des Erprobungsmodells Dezentralisierung, Budgetierung und Zielvereinbarungen zwischen Präsidium und Fachbereichen versuchen möchte, bedarf es eines Leitbildes für diese Vereinbarungen, damit die in den Zielvereinbarungen zu treffenden Absprachen nicht willkürlich, sondern demokratisch legitimiert und nachvollziehbar sind. Darüber hinaus besteht gerade in Berlin angesichts der großen topographischen Nähe verschiedener Universitäten zueinander ein großer Bedarf an Distinktion, damit die Öffentlichkeit, allen voran die Studierenden, sich überhaupt orientieren kann und damit bloße Doppelung und Verdreifachung desselben unterbleibt. Im Gegensatz zur Humboldt-Universität, die eher auf dem Wege eines Top-Down-Modells zu ihrem Leitbild gelangen will, indem sie eine Arbeitsgruppe mit dessen Entwicklung betraut hat, habe ich dem Akademischen Senat vorgeschlagen, den Weg von unten nach oben zu gehen. Aufgrund eines dem Senat und den Dekanaten vorgelegten Kataloges denkbarer Profilelemente, die als Gegensatzpaare formuliert waren, hat der Akademische Senat vorläufig eine Reihe von Leitbildelementen identifiziert (s. Kasten). Auf dieser Grundlage werden die Zielverhandlungen dieses Jahres mit den Fachbereichen probeweise erfolgen. Wir wollen dabei schauen, ob diese noch sehr allgemeinen Formulierungen sich operationalisieren lassen, so dass sie handlungsorientierend (nicht steuernd!) sein können, und wir wollen aus den Erfahrungen mit diesen Gesprächen dem Akademischen Senat weitere Vorschläge für die endgültige Fixierung des Leitbildes der Freien Universität vorlegen, die im Jahre 2000 erfolgen soll.
Die Fixierung des Leitbildes soll im Jahr 2000 erfolgen.
Ein solcher "Bottom-Up-Prozess" ist aus meiner Sicht das einzige Verfahren, aufgrund dessen ein Leitbild eine Chance auf Umsetzung besitzt. Es muss von den Angehörigen dieser Universität selbst formuliert werden, damit es akzeptiert werden kann. Die Rolle des zuständigen Vizepräsidenten kann nur die eines Moderators für die Selbstfindung dieser Organisation sein. Diese Rolle umschließt aber auch die Aufgabe, einen womöglich allzu mimetischen Prozess der Analogisierung unserer Universität mit einem Industrieunternehmen zu verhindern. Denn eines darf nicht übersehen werden: Die deutsche Universität und die Freie Universität zumal hatten immer schon ein Leitbild, noch pointierter: Sie verdanken ihre Existenz einem solchen Leitbild, dessen Wurzeln bis in die Antike zurückreichen. In der Geschichte des europäischen höheren Bildungswesens lassen sich Reformen höherer Bildungsinstitutionen nämlich immer dann finden, wenn eine andersartige Bearbeitung epochaler Probleme aussichtslos erschien, weil keine anderen Lösungen erarbeitet wurden, weil solche Lösungen undurchsetzbar schienen oder weil sie schlicht zu teuer waren. Dieses gilt beispielsweise für die Entstehung der griechischen Paideia als der Grundlage des alteuropäischen Bildungsdenkens, die eine bildungsspezifische Antwort auf die Krise der griechischen Polis im vierten Jahrhundert war. Dieses gilt für die Etablierung der Klerikerbildung im Spätmittelalter als Antwort auf die theologische Erosion der Erbsündelehre, es gilt für die Entstehung des in der deutschen Universitätsidee gipfelnden klassischen Bildungsdenkens als Antwort auf die Katastrophe der Napoleonischen Kriege, und es gilt für die Reformkonzepte der deutschen Universität am Ende der Weimarer Zeit, wie sie von Carl Heinrich Becker verfolgt wurden. Nach 1945 hat der Strukturplan für das deutsche Bildungswesen 1965 in seinen Vorschlägen für die Demokratisierung der Universitäten diese Funktion gehabt, und es scheint so, als ob die gegenwärtigen intensiven Bemühungen um Leitbilder und Stukturveränderungen für die deutschen Universitäten (und nicht nur für sie) einem ähnlichen Zusammenhang entstammen, wobei die gegenwärtige Krise zwar in erster Linie als ökonomische wahrgenommen wird, obgleich bereits in den achtziger Jahren eine verbreitete Sinnkrise als eine weitere Causa für die gegenwärtigen Bemühungen um eine Veränderung der Universitäten angesehen werden kann. In allen diesen und weiteren Fällen der Geschichte gab es einen strukturell vergleichbaren Mechanismus, der etwa so charakterisiert werden kann: Auf eine außeruniversitäre Krise reagiert das Hochschulwesen mit einem Modernisierungsschub, der ganz unterschiedliche Formen gehabt hat. Dieser jeweilige Modernisierungsschub hatte allerdings neben vielen Differenzen immer eine Gemeinsamkeit: Er bestand im Wesentlichen in einer Korrektur der Substanz der Lehre (und später der Forschung). Wie im Falle der griechischen Paideia, des Arteskanons der mittelalterlichen Fakultäten oder des deutschen Bildungsbegriffs wurde davon ausgegangen, daß die Reform der Universität in einer Korrektur des Kanons, aber damit verbunden auch immer des Umgangs von Lehrenden und Lernenden miteinander und seit dem 19. Jahrhundert, beginnend mit dem Enzyklopädismus, der Forschungsgegenstände und methoden sein sollte. In diesem Sinne verdankt sich auch die Freie Universität einem Modernisierungsschub, der aus einer nicht wirtschaftlichen, sondern politischen Krise resultierte. Insofern besitzt die Freie Universität bereits ein Leitbild, wie es in ihrem Siegel veritas iustitia libertas seinen Ausdruck gefunden hat. Darin steckt aber auch ein Problem: Dieses Leitbild antwortet nicht mehr oder allenfalls teilweise auf die gegenwärtige Krise. Diese ist eine wirtschaftliche, die selbst auf eine Akzeptanzkrise von Wissenschaft als solcher zurückgeht. Der Entzug öffentlicher Mittel, die publikumswirksame Diskussion über faule Professoren und dumme Studenten, kurz der z.T. schamlose Umgang mit den höchsten Bildungseinrichtungen unseres Landes kann durch die überbrachten Leitbilder offenkundig nicht mehr verhindert werden. Das Wahrheitsprinzip als solches hat zu erodieren begonnen, von Gerechtigkeit kann in einer Massenuniversität kaum immer gesprochen werden, allenfalls von "Ungleichheit für alle" (Heydorn), und der Wert der Freiheit scheint nicht mehr so bedroht, dass er als einziges Movens wissenschaftlicher Tätigkeit taugt. Und für so profane Dinge wie Budgetierungsgespräche ist er gänzlich untauglich. Wir benötigen also eine Klammer, die mehrere Bedingungen erfüllt: Sie muss anschlussfähig sein an die Geschichte des europäischen Bildungswesens,
Und: Sie muss eine Illusion vermeiden, die insbesondere Politiker gern pflegen: Als ob es möglich wäre, das konkrete Handeln von Menschen an abstrakten Normen so auszurichten, dass das dabei herauskommt, was man den Wählern versprochen hat. Diese Suggestion ist logischer Unfug, weil Handlungen aus Normen nicht deduziert werden können, sie ist politisch inakzeptabel, weil man das Handeln von Wissenschaft nicht von außen steuern darf, wenn der Verfassungsgrundsatz der Wissenschaftsfreiheit Bestand haben soll und sie ist glücklicherweise empirisch falsch: Der Geist weht nicht nur wo, sondern auch, wie er will. Unsere Leitbilddiskussion wird sich daran zu messen haben, ob sie ihm einen Raum dafür bewahrt, aber auch daran, dass sie ihn überhaupt motiviert aktiv zu sein.
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