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Der Ausflug in das Reich des Kapitals ist leider beendet (siehe Artikel im DEFO-Info Nr. 43 zur Allianz) und ich machte mich auf zur armen dritten Gewalt, zum Sozialgericht. Aus den Erfahrungen in der freien Wirtschaft wusste ich, dass eine Bewerbung möglichst zeitig abgeschickt werden muss. Ich bewarb mich also schon im Februar schriftlich für einen Praktikumsplatz. Aber die Mühlen des Gerichtes laufen langsam. Es passierte gar nichts. Aus Gründen der Planungssicherheit (siehe Hochschulverträge) rief ich einfach mal an, um mich zu erkundigen. Natürlich wurde meine Bewerbung nicht vergessen. Nur es war so viel zu erledigen und bis zum Juli war auch noch etwas Zeit. Man schickte mir einen Fragebogen, den ich bloß nicht zu schnell ausgefüllt zurücksenden sollte. Eine Woche vor Beginn erhielt ich meinen zuständigen Richter genannt und die Sache konnte starten. Äußerlich erscheint das Sozialgericht als ehrwürdiges altes Gebäude. Leider setzt sich das Alter bis in die einzelnen Büros fort. Hier gab es keine modernen Büromöbel mit Computern und Internetzugang. Das gesamte Gericht war im Look der späten fünfziger Jahre: Riesige alte Schreibtisch und Linolium auf den Fußböden. Dafür gab es kleine Waschbecken in den Richterzimmern, die einen ganz besonderen Charme versprühten. Auch die Klimaanlage fehlte. Die technische Ausrüstung war sehr bescheiden. Die Homepage des Sozialgerichts in Berlin vermittelt einen kleinen Einblick in den Entwicklungsstand. Es gab nur wenige Computer und der Zugriff auf JURIS oder das Internet war nicht möglich. Ich glaube, dass JURIS die Arbeit wirklich erheblich vereinfachen würde. Dafür fand ich Unmengen von Akten, die überall waren und ständig hin und her transportiert wurden. Einen Einblick in das Aktenbearbeiten erhielt ich, als ich einen Tag in der Geschäftsstelle tätig war. Die Arbeit der Damen und des einen Herren ist phänomenal, denn überall lagen Akten. Jetzt kam die Post und all die Schreiben der Ärzte und Richter mussten zu den richtigen Akten geordnet werden. Ich hatte ein kleines Glückserlebnis, als ich auch eine richtige Akte gefunden hatte. Die Bearbeitung der Akten ging relativ flott voran und ich durfte einige Erfahrungen machen im Lesen von langen ärztlichen Gutachten und merkte, dass der Gesetzgeber sich gar nicht so unverständlich ausdrückt. Mein mir zugeordneter Richter nahm sich viel Zeit und erklärte sehr ausführlich die einzelnen Schritte des Verfahrens und ging meine ersten Aktenvermerke durch. Als erste juristische Herausforderung sollte ich einen Beschluss hinsichtlich einer Erinnerung zur Kostenfeststellung schreiben. Dies durfte im Urteilsstil geschehen. Es war eine wahre Freude: Endlich keine ewigen Subsumtionen - sondern es ist halt so, weil ich es aus diesen Gründen für richtig halte. Der Anwalt tat mir etwas leid, denn Reichtum lässt sich mit dem Sozialrecht wirklich nicht ernten. Aber ich hatte meine ersten Erfahrungen mit der BRAGO machen können. Der Höhepunkt der Woche war der Sitzungstag. Die Fälle hatte ich mir durchgelesen und mit meinem Richter die wichtigsten und interessantesten Probleme erörtert. Es war also so weit: Am Donnerstag startete meine erste Verhandlung und es passierte wirklich nichts spannendes. Der Richter erklärte dem Anwalt, dass die Klage vollkommen aussichtslos ist, und fragte nach, ob er sie nicht lieber zurückziehen möchte. Dies hätte vielleicht zu Problemen mit der Rechtsschutzversicherung geführt, so musste trotzdem ein Urteil gefällt werden. Aufregend wurde es, wenn der juristische Laie persönlich vor Gericht erschien. Aus Erzählungen weiß ich, dass alle Freunde der großen Gefühle sich mal einen Tag in die Pflegeversicherungskammer setzen sollten. Hier werden menschliche Schicksale in juristische Begriffe gefasst und dann abgeurteilt. Es soll grausam sein. Unsere Kammer war bedeutend angenehmer, denn die meisten Fälle waren Anträge auf eine Verletztenrente nach einem Berufsunfall. Ich muss zugeben, dass die Berufsgenossenschaften wirklich sehr gut ermitteln und die meisten Ablehnungen begründet waren. Bei den meisten Klägern lag also der kleine Verdacht vor, dass die Begehrensvorstellung ausschlageben ist. Einige Fälle waren hochkomplex, da auch schwierige psychiatrische und medizinische Gutachten vorlagen. Aus Sicht eines Juristen ist es erstaunlich, dass die Berufsgruppe der Mediziner sich jeglicher Verständlichkeit entzogen hat, da ich bisher dachte, dies wäre ein Privileg der Juristen. Als Zugabe wurde vom Gericht eine kleine AG eingerichtet, in der man die anderen Praktikanten kennenlernte und kleine Fälle behandelte. Die meisten Praktikanten kamen an das Sozialgericht, weil man hier ziemlich schnell einen Praktikumsplatz bekam und eine lange Voranmeldung nicht nötig ist. Mit dem Sozialrecht hatte fast keiner Kontakt aufgenommen. Aufgrund der fehlenden Kenntnisse und des mangelnden Interesses schleppte sich die AG nur von Minute zu Minute. Diskussionen kamen sehr selten zustande und der zuständige Richter tat mir etwas leid, denn eigentlich hatte er in dieser AG keine Chance. Das Sozialgericht als Platz für ein Pflichtpraktikum kann ich jedem empfehlen, der sich in die Wahlfachgruppe X stürzen möchte, und allen, die nur schnell eine einfache Stelle suchen, vier Wochen ihrer Pflichtpraktikumszeit zu erschlagen. Jörn Hökendorf (erschienen im DEFO-Info Nr. 44 vom WS 2001 / 2002) |
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