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[ Zum Tode von Johannes Agnoli (1925-2003) ]

Er war unerschrocken und listig, ein Meister des aufrechten Gangs. Er belehrte und hörte zu. Uns Deutschstämmigen hat Johannes Agnoli sein Heimatland Italien als irgendwie gelobtes, fortgeschritteneres Land nahezubringen versucht. Freunde nannten ihn „Giovanni“. Aber er blieb in Deutschland, wollte Deutscher sein, wollte abarbeiten, dass er als jugendlicher Faschist aus dem Veneto verbohrt genug gewesen war, mit der zerbrechenden Hitler-Armee in deren Heimatland noch mitzuziehen. Er wurde dann im Schwäbischen – Urach, Tübingen – ein Philosoph und ein Linksradikaler. Er studierte gründlich Hegel, Kant, Fichte und Marx. Seine Intelligenz konnte keinem professoralen Förderer verborgen bleiben. Agnoli war Assistent bei berühmten konservativen Professoren in Tübingen und Köln; Theodor Eschenburg, Eduard Spranger und Ferdinand A. Hermens nutzten seine Dienste. Bei letzterem ging das irgendwann nicht mehr gut. 1962 holte Ossip K. Flechtheim ihn an das Otto-Suhr-Institut nach Berlin. Agnoli hat dort durch das gesprochene polemische und ironische Wort gewirkt, lange bevor er Professor wurde. Als 1966 OSI-Studierende streikten, um gegen die Entlassung von Ekkehart Krippendorff durch den damaligen Rektor zu protestieren, ließ der Assistent Agnoli sich auf einen Disput mit dem Institutsdirektor ein, den er eindeutig gewann. Der Institutsdirektor fand, dass ein Streik der Studierenden kein echter Streik sei, weil er sich gegen die Interessen der Studierenden richte. Wenn hingegen Ärzte streikten, damals gerade in Belgien, dann sei das ein wirklicher Streik. Agnoli hielt dagegen, man müsse dies anders sehen: Arbeitsverweigernde Ärzte würden Patienten, die medizinische Behandlung nötig hätten, aussperren – und Aussperrung sei das Gegenteil von Streik.

Dass man die Dinge auch andersherum sehen könnte – und müsste! – war ein Leitmotiv des Dialektikers und Ironikers Agnoli. „Transformation der Demokratie“, sein erstes Hauptwerk, gemeinsam mit dem Mit-Dissidenten Peter Brückner aus Hannover verfasst und 1967 erschienen, war ein Musterbeispiel dafür: Mit Transformation meinte Agnoli nicht etwa den Aufbruch in eine heilere Welt, sondern eine Involution, eine Rückbildung der bürgerlichen Demokratie zu mehr Herrschaft, Unterwerfung und Kapitalabhängigkeit des Staats. Unter Staat verstand er nicht ein zivilgesellschaftlich oder liberal zu gestaltendes Gemeinwesen, sondern eher so etwas wie einen prinzipiellen Fehlversuch und auf jeden Fall eine ständige Bedrohung. Er war im Prinzip Anarchist und Kommunist, auch wenn ihm philosophisch und theoretisch die Synthese zwischen diesen beiden klassischen Hauptrichtungen der Linken ebensowenig wie anderen Theoretikern der Arbeiterbewegung gelang. Diese Synthese war für ihn auch eher eine Sache der Praxis. Als Wissenschaftler, als Philosoph, stand er auf der Seite der Kritik. Kritik war für ihn nicht nur wichtiger als „das Positive“ – sie war das eigentlich Positive. Bis zu seinem Tod am 4. Mai war er sicher und glücklich, ohne „das Konstruktive“, ohne jedwede hilfreiche, „relevante“, „produktive“ Politikberatungsidee glänzend auszukommen.

Prof. Bodo Zeuner
Der Autor ist Geschäftsführender
Direktor des OSI

 

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